Buch des Monats: Dezember 2023

Werner, Florian

Verhalten bei Weltuntergang. Mit Bildern von Nikolaus Heidelbach.

München: Nagel & Kimche 2013. 156 S. Kart. EUR 19,90. ISBN 9783312005819.

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Das Ende von Zeit und Geschichte ist in der biblischen Überlieferung durchgängig präsent, sofern man die Eschatologie nicht »als Finale, sondern als Ferment der Theologie« (G. Sauter) versteht. Mit der Flutgeschichte wird (probeweise) ein solches Ende schon einmal anvisiert, auch wenn es vorerst noch in eine konditionierte (»solange die Erde steht«) Entwarnung mündet. Szenarien endzeitlicher Katastrophen finden sich wiederholt in der prophetisch-apokalyptischen Literatur. Ausgeführte, bizarre Bilder bieten 2Petr 3,10–13 und die Offenbarung des Johannes. Vor allem die Visionen des Sehers von Patmos haben stimulierend gewirkt und zu immer neuen Ausmalungen angeregt. Aus ihnen speist sich fortan das Thema »Weltuntergang«, das zum Hintergrundrauschen aller Zeitdeutungen wird, die einen skeptischen Blick auf den Gang der Geschichte werfen.
Dieses Rauschen bringt Florian Werner zu Gehör und zieht dabei sämtliche Register, die Satire zu bieten hat. Wenn man sein Buch aufschlägt, hat der count down schon begonnen: die Seiten zählen von 156 auf 0 herunter; vor der Seite 156 prangt auf einem leeren Blatt das Ω, auf Seite 1 folgt in gleicher Dominanz ein Blatt mit dem Buchstaben A. Dazwischen entfaltet sich ein launiges Spiel mit »apokalyptischem Denken«, das in seinen vielfältigen Facetten betrachtet und als ein allgegenwärtiges Phänomen vorgestellt wird: »Die Sprache des Weltuntergangs strukturiert unsere Konzepte von Gut und Böse, unsere Vorstellungen von Zeit und Geschichte, unsere politischen Diskurse, unsere Ängste und Hoffnungen.« (155) Dabei kleidet der Autor sein Sachbuch in das Gewand eines literarischen Ratgebers: Wie soll man sich auf den Weltuntergang einstellen? »Beginnen wir mit dem Ende!«
Eine erste Auflistung von »Vorzeichen«, versehen mit der Regieanweisung »Unzutreffendes streichen«, füllt die biblischen Prodigien mit solchen aus Literatur und Popkultur auf. Ihr folgt ein kleines Bestiarium (»Was faucht denn da?«), in dem sich Drachen, Behemot und Leviatan, Chimären aller Art, aber auch Insekten und Bakterien ein Stelldichein geben; der Mensch (»die zahlenmäßig stärkste Großsäugerart des Planeten und damit mutmaßlich die größte Gefahr für den Fortbestand der Welt«) ist in diese bedrohliche Gesellschaft eingefügt. Was es mit apokalyptischer Zahlensymbolik auf sich hat, klärt ein »Kleinmaleins«, in dem neben den prominenten biblischen Zahlen vor allem die 0, die 666 und die 1000 im Blick sind. Erwartungsgemäß nimmt die Frage, ob und wie man das Ende berechnen könne, breiten Raum ein. Mit Hilfe einer »apokalyptischen Algebra« wird die Problematik von Vaticinien durchgespielt, deren sich Endzeitpropheten für gewöhnlich bedienen und an der sie regelmäßig scheitern. Denn: »Der Weltuntergang existiert ausschließlich im Text, nur dadurch, dass von ihm gesprochen wird ...« (102). Was folgt, ist eine kleine Schulung für Endzeitpropheten: »Sag die Wahrheit!« (allerdings nur eine verborgene); »Keine Widerrede!« (weil die Botschaft autoritär ist); »Sei nicht du selbst!« (da die Verantwortung bei der Gottheit liegt); »Denke positiv!« (hinsichtlich des hoffnungsvollen Ausblicks für die Erwählten); »Argumentiere irrational!« (wie es apokalyptischem Denken entspricht); »Bleib dabei!« (von allen gegenläufigen Erfahrungen unbeirrt); vor allem aber: »Sei der Letzte!« (weil das die ultimative Bestätigung wäre). Eine kleine Textvorlage für ein Schreiben an die Gottheit mahnt deren baldiges Kommen an: »Sollten Sie bereits auf dem Weg sein, so betrachten Sie dieses Schreiben bitte als gegenstandslos.« (96) Vom Ratgeberduktus wechselt der Ton wieder in den des Chronisten, der »lauter letzte Tage« referiert: Weltuntergangstermine zwischen dem sumerischen Flutepos und dem Maya-Kalender führen ein buntes Potpourri fehlgeschlagener Berechnungen vor Augen. Den eingangs schon aufgelisteten Vorzeichen schließt sich ein »Desasterkataster« an (72), in dem vorzugsweise katastrophale Erscheinungen aus dem Bereich des Ökosystems zu finden sind. Das ist auch der Ort, die Warum-Frage zu stellen: »Warum aber blicken wir so gern in den Abgrund? Weshalb scheinen wir unser Ende nachgerade herbeizusehnen?« (79) Vor dem Ende steht in der Regel die Figur eines »Widersachers« oder des »Antichristen«. In großer Ausführlichkeit passieren die aussichtsreichsten Kandidaten seit Antiochos IV. und Nero Revue, mit einem offenen Ende beim Internet sowie bei Niemand und Jedermann – ein Punkt, um erneut den Ratgebermodus zu aktivieren. Anhand einer Umrechnungstabelle verschiedener Buchstaben-Zahlen-Systeme wird das Lesepublikum instruiert, die Zahl 666 passgenau auf jede missliebige Figur ihrer Zeit zu applizieren. Nach Vorzeichen und Desastern leuchtet eine Auflistung von endzeitlichen Qualen unter dem Label »Drohkulisse« Gerichtsszenarien aus. Sie leitet über zur Erkundung von Raumvorstellungen bzw. zu der Frage, aus welcher Richtung das Weltende zu erwarten sei. Damit wird es Zeit für weitere Ratschläge in Gestalt einiger Floskeln Aramäisch: Wie sagt man z.B. »Ich bin es nicht gewesen!« in der mutmaßlichen Sprache des Parusiechristus? Der letzte Abschnitt (»Schwanengesang«) spielt die Begleitmusik aller Untergangsvisionen ein. Hier schlägt das Herz des Autors besonders vernehmbar, was sich in einer gut sortierten Hitliste namentlich aus der Popmusik äußert. Ein letztes Mal Ratgeber: »Sie können das Buch als Wurfgeschoss gegen Angreifer verwenden. Sie können es wegwerfen und versuchen, sich in Sicherheit zu bringen. Sie können es wegwerfen und beten. Sie können es wegwerfen.« (8) Bei allem satirischen Vergnügen endet der Text nachdenklich: »Was bleibt?« Vielleicht die Welt nach dem Menschen, wahrscheinlich das Schweigen. »Schluss mit dem Ende. Keine weiteren apokalyptischen Prophezeiungen. Kein Wort mehr vom Untergang. Keine Silbe, keinen Hauch. Nicht ein einziges ... A.«
Florian Werner, promovierter Anglist, Texter und Musiker, ist mit dem Thema bestens vertraut. Im Hintergrund steht seine Tübinger Dissertation aus dem Jahr 2006 unter dem Titel »Rapocalypse now« (publiziert als: Rapocalypse. Der Anfang des Rap und das Ende der Welt, Bielefeld 2007). Besonders in dem Kapitel »Schwanengesang« schöpft er mit vollen Händen aus diesem Fundus. Als Mitglied der Gruppe »Fön« ist er musikalisch aktiv, in einer Mischung aus »leichtfüßigem Jazz und lyrischen Texten«. 2009 wurde er für das Wissenschaftsbuch des Jahres (Die Kuh. Leben, Werk und Wirkung) ausgezeichnet. In seiner »Rapocalypse« hatte Werner akribisch aufgespürt, was die Satire nur andeuten kann: Die Wurzeln des Rap und seiner Neigung zu Endzeitthemen stecken tief im nordamerikanischen Millenialismus; zu seiner Vorgeschichte gehören Spirituals, Rastafarian music, Blues und anderes, was sich aus biblischen Motiven speist. In diese schillernde Welt lädt auch das vorliegende Büchlein ein.
Sprachliche Bilder verlocken dazu, gestaltet zu werden. Zu keinem biblischen Buch gibt es so viele Illustrationen wie zur Apokalypse des Johannes. Da liegt es in der Natur der Sache, auch das vorliegende Buch mit Illustrationen auszustatten. Nikolaus Heidelbach hat sich des Stoffes mit sichtlicher Lust angenommen. Für seine Bilderbücher vielfach ausgezeichnet, ist er in dem Metier schon seit langem zu Hause. Er versteht es, Monstren und düstere Szenarien zu entwerfen, umrahmt von morbider Ornamentik und mit nicht weniger augenzwinkernden Anspielungen versehen als der Text, auf den er sich bezieht.
Das Thema hat unterdessen nichts von seiner Aktualität verloren. Seit dem Wettrüsten der 1960er Jahre ist »Apokalyptik« auch von der Theologie neu entdeckt worden. Was die grundlegende Studie von Ulrich H. J. Körtner (Weltangst und Weltende. Eine theologische Interpretation der Apokalyptik, Göttingen 1988) bündelte, entfaltet sich in zahlreichen neuen Kommentaren zur Offenbarung des Johannes sowie in einer Flut von Editionen und Monographien zu den frühjüdischen Quellentexten. Kunst und Popkultur haben diesen Boom flankiert. Körtners Ansatz, Apokalyptik als eine Form der »Seelsorge an den Geängstigten« zu beschreiben, baut dazu Brücken. Nicht in der Fixierung auf Katastrophen, sondern in der Bearbeitung von Ängsten und im Mut zur Verantwortung liegt das Potential der apokalyptischen Bildsprache. Hier schließt sich auch das Buch von Werner und Heidelbach an. Von theologischen Detailfragen unberührt (wie wäre etwa »apokalyptisches Denken« genauer zu beschreiben?) präsentiert es mit leichter Hand ein schwergewichtiges Thema. Der Weltuntergang, so bedrückend real er in religiösen Vorhersagen und wissenschaftlichen Prognosen auch erscheinen mag, stellt sich vor allem als Ausdruck urmenschlicher Ängste dar. Seine Bildsprache rüttelt auf, irritiert, rutscht in Banalitäten und Plattheiten ab – und bleibt doch ein Faszinosum. Wer mit der theologischen Apokalyptik befasst ist, wird sich auch mit Werner und Heidelbach gern ins Benehmen setzen.
Als Motto steht dem Buch ein Zitat aus Offb 10,9 voran: »Und ich ging hin zu dem Engel und sprach zu ihm: Gib mir das Büchlein! Und er sprach zu mir: Nimm und verschling’s! Und es wird dir bitter im Magen sein, aber in deinem Munde wird’s süß sein wie Honig.« Treffender lässt sich dieses unterhaltsame wie nachdenkliche Lektüreangebot kaum bewerben.

Christfried Böttrich (Greifswald)

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