Buch des Monats: Dezember 2017

Klepper, Jochen. Mit einem Nachwort hrsg. v. Matthias Luserke-Jaqui.

Katharina von Bora. Fragment eines Luther-Romans.

Zell/Mosel: Rhein-Mosel-Verlag 2017. 146 S. Kart. EUR 9,90. ISBN 978-3-89801-352-9.

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Der Pfarrersohn, Journalist und Schriftsteller Jochen Klepper (1903–1942) ist literarisch vor allem als Verfasser geistlicher Lieder bedeutsam geblieben. Von seinen Prosawerken fanden und verdienen die beschaulich-heitere Idylle „Der Kahn der fröhlichen Leute“ (1933) und „Der Vater. Roman des Soldatenkönigs“ (1937) besondere Aufmerksamkeit. Der erste Teil eines Luther-Romans, an dem Klepper zuletzt arbeitete, wurde 1951 unter dem Titel „Die Flucht der Katharina von Bora“ erstmals aus dem Nachlass ediert. Nach etlichen weiteren Ausgaben, die inzwischen allesamt vergriffen sind, ist das Fragment nun pünktlich zum Reformationsjubiläum wieder verfügbar geworden.
Die Vorarbeiten zu diesem Werk, von dem Klepper ahnte, dass es sein letztes sein werde, begannen im Sommer 1935. Bei seinem frühen Tod war, nach langen Unterbrechungen, nur die einleitende Erzählung der Klosterflucht von Luthers späterer Ehefrau zu literarischer Reife gediehen. Dem Herausgeber dieser Neuausgabe ist der wichtige Hinweis zu danken, dass in Alfred Döblins 1936 erschienenem Essay „Der historische Roman und wir“ das präzise poetologische Programm von Kleppers geplantem Luther-Roman zu entdecken ist, auch wenn sich zwischen den beiden Schriftstellern ein persönlicher oder rezeptiver Umgang nicht nachweisen lässt.
Anders als den meisten literarischen Fragmenten kommt dem von Klepper hinterlassenen Anfangsteil die Besonderheit zu, dass man ihn als einen geschlossenen poetischen Text goutieren und lesen kann. Geschildert wird darin die berühmte, historisch verbürgte Flucht von zwölf Nonnen aus dem Zisterzienserinnenkloster Marienthron zu Nimbschen (nahe Grimma), die sich in der Osternacht des Jahres 1523 zutrug. Als Hauptperson agiert dabei selbstverständlich die pragmatisch nüchterne, glaubensfeste, daseinstreue Katharina von Bora, in der Klepper, wie er im Tagebuch mehrfach andeutet, seine eigene Ehefrau, die Jüdin Johanna („Hanni“) Klepper geb. Stein, zu portraitieren suchte. Neben ihr ist freilich bereits in dieser Roman-Ouvertüre Martin Luther als die eigentliche, abwesend höchst präsente Hauptperson zu entdecken.
Gleich eingangs wird das Sternbild des Schwans und mit ihm das bekannte Symbol des Reformators beschworen. Immer wieder kommen dann heimlich beigebrachte Lutherschriften und Reformationsbotschaften ins Spiel. Und am Ende erfolgt, unverkennbar gegenwartskritisch, eine programmatische Profanisierung Luthers: „Doktor Martinus ist ein Mensch. [...] Ja, ein Mensch“ (133). Als vordergründige Hauptperson verweist auch Katharina von Bora mehrfach auf den wirklichen Protagonisten: Sie betet Psalmverse in Luthers Übersetzung und zitiert nahezu wörtlich eine Kernstelle aus Luthers Schrift „Von den Mönchsgelübden“.
Dem „Fragment eines Luther-Romans“, so die treffliche Kennzeichnung des Herausgebers, eignet dreifacher Historizität. Seine Entstehung liegt acht Jahrzehnte, sein Gegenstand ein halbes Jahrtausend zurück, und der von Klepper gewählte Sprachduktus wirkte von Anfang an, verstärkt durch immer wieder eingestreute anachronistische Wortbildungen, altertümlich und zeitversetzt manieriert.
Dass der Text gleichwohl weder literarisch trivial noch kitschig erscheint, liegt nicht zuletzt an der behutsamen Einspielung von Sprachmustern, Bildern und Stoffen der Lutherbibel. So wird etwa das neutestamentliche Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen (Mt 25,1–13), das die Nonnen in der Osternacht lesen, zugleich zum Interpretament ihrer eigenen, gegenwärtigen Flucht. Darin tritt durchaus, wie der Herausgeber festhält, „ein erzähltechnischer Trick“ (140) zu Tage, erst recht aber, darüber weit hinaus, ein Grundmotiv der von Luther geübten Bibelauslegung. Klepper hatte sich während der Arbeit an diesem Buch intensiv mit der Predigtwerk Luthers vertraut gemacht, und dieses lässt die Hörer und Leser in den biblischen Geschichten allenthalben den Deutungsrahmen der eigenen Lebens- und Glaubensgeschichte entdecken.
Das Format des historischen Romans bot Klepper die Möglichkeit, den Gang in die innere Emigration mit literarischer Widerspenstigkeit gegen das nationalsozialistische Regime zu verbinden. So wird man auch das dem Buch vorangestellte Motto „Fürchte dich nicht, glaube nur“, für das als Referenzbeleg nicht eine konkrete neutestamentliche Stelle, sondern, auf Allgemeingültigkeit pochend, schlicht „Die Bibel“ genannt wird, gleichermaßen als Handlungsmotiv der Katharina von Bora wie als persönliche Selbstermutigung des Verfassers ansehen können.
Matthias Luserke-Jaqui, in Darmstadt lehrender Ordinarius für Neuere deutsche Literaturwissenschaft, der im Jubiläumsjahr der Reformation die Neuausgabe des Klepper-Fragments vorlegte und um ein kluges, kundiges Nachwort anreicherte, hat damit der Geschichts- und Religionskultur einen guten, dank- und ruhmwürdigen Dienst erwiesen.

Albrecht Beutel (Münster)

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