Buch des Monats: Juni 2017

Bernd Janowski

Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen

4. Aufl. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 2013. XVI, 460 S. m. Abb. 8°. EUR 35,00. ISBN 978-3-7887-2698-0.

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Bernd Janowskis Buch »Konfliktgespräche mit Gott«, 2003 erschienen, nimmt seine Leser-schaft mit auf den Weg: vom Leben zum Tod und zum »Tor der Tiefe«, um dann die Gegenbewegung anzutreten, den Weg zum Leben. Innerhalb dieses breiten Rahmens finden sich programmatische Abschnitte zum Ansatz einer historischen Anthropologie, zahlreiche Auslegungen einzelner Psalmen, Ausführungen zu anthropologischen Stichworten, einzelne Meditationen zu Bildern und Gedichten, und die Texte, die Verbindung zur Theologie Luthers aufzeigen. Die Bedeutung des Werkes spiegelt sich auch in der Tatsache, dass es seit dem Erscheinen mehrmals neu aufgelegt und auch ins Englische (2013) und Französische (2008) übersetzt wurde.
Bernd Janowski eröffnet sein Werk mit zwei programmatischen Abschnitten: In »Grundfragen alttestamentlicher Theologie« (1–34) formuliert der Autor seinen Anspruch, einer ahistorischen Auffassung vom Menschen des alten Israel zu entgehen; nicht »anthropologische Grundkonstanten« sollen bei dieser Betrachtung der Psalmen im Vordergrund stehen, sondern vielmehr »die Besonderheit von Erfahrungen und Verhaltensweisen, die den Beter der Psalmen (sc. als Menschen des Alten Israel) in elementaren Lebenskonflikten zeigen, die er klagend und bittend zu bestehen versucht« (2). So wird also zunächst prinzipiell und zu Recht auf die Distanz zwischen dem Menschen heute und dem Menschen des Alten Israel verwiesen. Dies ist allerdings nicht im Sinne einer radikalen historischen Distanzierung zu verstehen, sondern dient letztlich dazu, dem gegenwärtigen Rezipienten Neues zu erschließen:
»Gefordert ist also die historische Arbeit des Verstehens, die ihrerseits [...] weder auf ein ›erweitertes Gefühl‹ noch auf ein ›tieferes Mitempfinden‹ verzichten kann und muß. Wer aber nur auf die Ähnlichkeit unserer Anschauungen mit denen des Alten (und Neuen) Testaments aus ist und die antiken Texte, wie bei den sog. Feindpsalmen immer wieder geschehen, gar an unseren Moralvorstellungen misst, verspielt die Chance, die andersartige und z.T. fremde Wirklichkeitssicht der Bibel mit der unsrigen ins Gespräch zu bringen, um so das Fremde zu verstehen. Das aber muß das Ziel eines Unterfangens sein, das vergangene Sinnbildungen, ihre Problemstellungen und Wahrnehmungs-horizonte, für die Gegenwart fruchtbar zu machen.« (5)
In einem zweiten Teil folgen Ausführungen zur Sprache der Psalmen, wie sie insbesondere durch deren Metaphorik und ihren Weltzugang über den Parallelismus membrorum gegeben sind. Hier beschreibt Janowski die Psalmen als »anthropologische Grundtexte«, die das Dasein des Menschen in einem Koordinatennetz von »Ich«, »Gemeinschaft« und »Gottesbeziehung« und in der Spanne zwischen Leben und Tod verorten (35–52). Vor diesem Hintergrund erschließt sich auch die Gesamtanlage des Buches.
Der erste Hauptteil (53–214) thematisiert zunächst den Weg vom Leben in den Tod, wenn auf der Basis detaillierter Exegesen von Ps 13, Ps 59,8, Ps 7 und Ps 51 Grundsituationen menschlicher Not dargelegt werden können. Der »klagende Mensch« fragt nach Gott in der Situation der Gottferne; der »angefeindete Mensch« steht vor der »Unfasslichkeit des Bösen«, »der verfolgte Mensch« ringt mit der Frage der Gerechtigkeit und der »kranke Mensch« mit der Erfahrung der Hinfälligkeit seines Leibes. Detaillierte Einzelexegesen und Darlegungen traditionsgeschichtlicher Art, so zum »Sehen und Hören«, zur »Rache« oder zu »Herz und Nieren« erschließen den Reichtum der alttestamentlichen Texte und stellen diese in den Horizont der Denkwelt des Alten Israel und seiner Anthropologie. Darüber hinaus werden aber auch (wenn oft meist implizit), Elemente dieser Gebete für Menschen des 21. Jahrhunderts sinnfällig. Hier sei exemplarisch auf die Einsichten zum sog. Stimmungsumschwung verwiesen, den die klassische Exegese mit dem Phänomen des »priesterlichen Heilsorakels« erklärt hat. Dagegen wendet Janowski ein, dass eine solche Sicht dem »Prozeßcharakter der Klagelieder des einzelnen nicht gerecht« werde.
»Der einzelne Klagepsalm ist die zeitlich geraffte Darstellung eines Prozesses, d. h. eines Durchgangs durch die Stadien: Not – Bitte – Gewißheit, der im jeweiligen Leben des Beters Zeit braucht. Er kann Tage und Nächte, Wochen und Monate dauern und darf nicht von außen her formelhaft verkürzt werden. Eine obligatorische Kultinstitution wie das ‚priesterliche Heilsorakel‘ aus altisraelitischer Zeit würde da eine empfindliche Schwelle bedeuten – ganz abgesehen davon, daß es keinen Beleg für sie gibt. Die Klage¬lieder haben vielmehr eine bestimmte Weise des Existierens in Blick, die gleichsam zur conditio humana gehört: Es ist die Situation zwischen Klage und Lob, die nur im Vertrauen auf Gott zu bestehen ist, aber auf keinen Fall überspielt werden darf.« (83)
Faszinierend ist das »Zwischenstück« des Werkes: »Das Tor zur Tiefe« (215–224), in dem Janowski Verbindungslinien zwischen Paul Klees Bildern »Angstausbruch« und »Das Tor zur Tiefe« sowie Paul Celans »Psalm« und einem Gedicht Ingeborg Bachmanns (»Lieder auf der Flucht II, B.E.) zu einzelnen Klageaussagen in den Psalmen aufzeigt. Aussagen zu mensch¬licher Not und Schmerz in den Psalmen, zunächst Teil einer historischen Anthro¬pologie, finden so überraschend ein Pendant in Werken der Kunst des 20. Jahrhunderts. Im zweiten Haupt¬teil führt der Weg zurück ins Leben (225–374). Beispieltexte sind nun Ps 88: der vergängliche Mensch; Ps 30: der lobpreisende Mensch; Ps 16: der begnadete Mensch und Ps 22: der Mensch Gottes. Paradigmatische Leiderfahrung findet ihren Ausdruck in der Klage und Anklage vor Gott, dem »Konfliktgespräch«, um schließlich im Lobpreis der Geretteten zu enden. Dankbarkeit und Gotteslob erscheinen hier als elementare Ausdrucksweisen menschlicher Existenz, die in »der Zuwendung des barmherzigen Gottes, der vom Tod errettet und ins Leben führt« (373) gründet.
»Konfliktgespräche mit Gott« ist zunächst ein Buch, das durch seine präzisen exegetischen Auslegungen und seine Ausführungen zu zentralen Themen alttestamentlicher Theologie und Vorstellungswelt besticht, insofern hier Themen wie die alttestamentliche Königsvorstellung, die Tempel- und Opfertheologie, die Solarisierung des JHWH-Glaubens oder Vorstellungen zu Recht und Gerechtigkeit entfaltet werden – viele Aspekte sind hier versammelt, und so hat das Buch etwas Schillerndes und Herausforderndes, in dem Leserinnen und Leser immer neu Entdeckungen in einer fremden und fernen Welt machen können. Darüber hinaus werden Leserinnen und Leser immer wieder aufs Neue zum Nachdenken herausgefordert, wie sich der Ansatz einer historischen Anthropologie mit der Gegenwartsrelevanz der Texte verbinden lässt. Durch den Diskurs mit der philosophischen Anthropologie und Bezügen zur spirituellen Dimension der Psalmen kann das Buch auch als eine Brücke dienen, die von der anspruchsvollen alttestamentlichen Fachexegese hin zur Praktischen Theologie, zu den Kulturwissenschaften, zur modernen Literatur und zur Kunstgeschichte führt und somit nachdrücklich die wissenschaftliche und existentielle Relevanz alttestamentlicher Gottesrede ins Bild setzt.

Beate Ego (Bochum)

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