Buch des Monats: Januar 2018

Blume, Michael

Islam in der Krise. Eine Weltreligion zwischen Radikalisierung und stillem Rückzug.

Ostfildern: Patmos 2017. 192 S. ISBN 978-3-8436-0956-2.

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»Der Islam« ist seit längerem ein öffentliches Thema – in Politik, in Bildung und im Recht. Dabei klafft eine große Kluft zwischen massenmedialer Kommunikation – selbst in überregionalen Zeitungen erscheinen Beiträge, die wenig religionswissenschaftliche Sachkunde erkennen lassen – und islamwissenschaftlichen Einsichten. Nicht zuletzt populistische, nationalorientierte Politiker machen sich dies zunutze mit Warnungen vor einer – angeblich – drohenden Dominanz des Islam.
In dieser Situation leistet der Band des religionswissenschaftlich promovierten, im württembergischen Staatsdienst an islambezogenen Problemen arbeitenden Blume einen wichtigen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion. Er ist gut lesbar geschrieben und eignet sich so auch für die Verwendung in Erwachsenenbildung oder in gymnasialen Oberklassen. In jedem der sechs Kapitel wird eine Einsicht bzw. ein Argument anschaulich dargestellt.
Eingangs relativiert B. den Eindruck von der großen Zahl von »Muslimen« in Deutschland. Denn in manchen Statistiken hierzulande werden alle aus islamisch geprägten Ländern zugezogenen Menschen als »Muslime« bezeichnet (und vereinnahmt). Im Gegensatz zu den statistischen Angaben etwa zu den Christen, die sich an der Kirchenmitgliedschaft orientieren, gibt es bei dieser Art von Zählung für Muslime keine Möglichkeit zum Austritt. Würde man ähnliche Kriterien wie für die Zählung der Christen in Deutschland auch für Muslime anlegen – etwa finanzielles Engagement wie bei der Kirchensteuer –, würde deren Zahl auf etwa eine Million schrumpfen (15). In den arabischen Ländern werden die dort ebenfalls zu beobachtenden Säkularisierungstendenzen durch einen Mangel an Religionsfreiheit verdeckt.
Im zweiten Kapitel macht B. auf ein tiefgreifendes Bildungsproblem aufmerksam. Historisch weist er darauf hin, dass das – bis ins 18. Jahrhundert aufrecht erhaltene – Verbot des Drucks arabischer Lettern durch Sultan Bayazid II. um 1485 fatale, bis heute reichende Konsequenzen hatte (56–64). So konnte der islamische Kulturkreis nicht an der »geistigen Dynamik« teilnehmen, die der Buchdruck in der christlich geprägten Welt auslöste. Die so initiierte Literalisierung der in der römischen Tradition stehenden Gesellschaften, befördert durch die Reformation und ihre Betonung von Bildung, ermöglichten einen geistigen Aufbruch, der an den islamisch bestimmten Ländern vorbeiging.
Eine politische Perspektive verfolgt das dritte Kapitel: »Warum in der islamischen Welt so selten Demokratien gelingen?« Am Beispiel Saudi-Arabiens lassen sich die Probleme anschaulich zeigen, die der hohe Ölverbrauch mit sich bringt. B. spricht sogar von einem »Fluch des Öls« (79). Denn dadurch können Rentierstaaten erhalten werden, in denen eine kleine Oberschicht mittels der Öl-Einnahmen ihren Untertanen – bzw. Klienten – ein auskömmliches Leben ermöglicht, ohne Arbeit, aber auch ohne demokratische Mitbestimmung und Verantwortung.
Gesellschaftspolitisch und kulturell begünstigen viertens die skizzierten Probleme Verschwörungstheorien gegenüber dem »Westen«, deren Resultat u. a. gegenwärtige terroristische Bewegungen sind (94–111). Damit hängt der von B. bei Tätigkeiten in arabischen Ländern gewonnene Eindruck einer »Erkrankung« der islamischen Religion zusammen (geschildert am Beispiel einer ägyptischen Fernsehsendung 118–122).
Das fünfte Kapitel fügt noch eine demografische Perspektive hinzu. Vor allem der in fast allen islamischen Gesellschaften zu beobachtende Einbruch der Geburtenraten – sowie die Auswanderung vieler junger Muslime – wird hier analysiert.
Insgesamt konstatiert B.: »Mangelhafte Religionsfreiheit, die Nachwirkungen des Buchdruck-Verbotes ab 1485, die insbesondere arabischen Ölrentenstaaten und die auch bildungsbedingte Verbreitung von Verschwörungsmythen bilden somit ein ganzes Krisenbündel, zu dem auch der derzeit schnelle Geburtenrückgang und der (noch) überwiegend ›stille‹ Rückzug von Muslimen aus dem Islam erfolgt. […] dass der real gelebte Islam in einer zunehmend bedrohlichen Krise zwischen stillem Rückzug einerseits und fanatisch-verschwörungsgläubiger Radikalisierung andererseits steckt, ist meines Erachtens kaum mehr zu leugnen.« (141)
Doch führen diese Beobachtungen und Analysen nicht zu einem hochmütigen Herabsehen auf den Islam. Der selbst mit einer Muslima verheiratete Autor ist vielmehr – auch in persönlichem zivilgesellschaftlichem Engagement – um einen interreligiösen Dialog bemüht. So schließt das Buch mit dem sechsten Kapitel »Was Muslime und Nichtmuslime tun können, um die Krise des Islams zu überwinden«, die das kritisch Analysierte positiv aufnehmen.

Christian Grethlein (Münster)

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