Buch des Monats: Oktober 2016

Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung. Lutherbibel revidiert 2017: Standardausgabe. Mit Apokryphen.

Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 2016. 1536 S. Geb. EUR 22,00. ISBN 978-3-438-03310-9.

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Luthers Bibel, urteilte einst Friedrich Nietzsche, „war bisher das beste deutsche Buch“. Zwar wird man bezweifeln dürfen, ob ihm der mit dem Wörtchen „bisher“ angedeutete Versuch, jenen Superlativ durch sein eigenes Buch „Also sprach Zarathustra“ zu antiquieren, tatsächlich gelang. Unbestritten bleibt hingegen die von Nietzsche attestierte hohe kulturgeschichtliche Bedeutung der Lutherbibel. Dieses theologische und literarische Hauptwerk des Reformators brachte eine über Jahrhunderte hinweg bis heute vital gebliebene spirituelle und sprachliche Wirkungsgeschichte hervor. Wenn die revidierte „Lutherbibel 2017“ am 19. Oktober 2016 mit einer Startauflage von rund 260.000 Exemplaren auf den Markt kommt, ist nicht auszuschließen, dass sich die Erfolgsgeschichte des „besten deutschen Buches“ auf Jahrzehnte hinaus weiter fortsetzen wird.
Bis ins 19. Jahrhundert gab es von der Lutherbibel keine übereinstimmende, kirchlich autorisierte Textgestalt. Weil zuletzt aber bis zu elf unterschiedliche Versionen in Gebrauch waren, sah man sich 1892 veranlasst, die erste einheitliche Fassung dieses evangelischen Basisbuchs zu erstellen. Sie wurde fortan mehrfach revidiert, zuletzt, nach dem Skandal des „NT ’75“, das nach einem Bonmot Dietrich Rösslers nicht auf den Altar, sondern in den Ofen gehörte, im Jahr 1984. Die jetzt vorliegende erneute Revision hat die Übersetzung Luthers erstmals durchgehend auf ihre biblische Texttreue geprüft.
Den Anstoß gab die Deutsche Bibelgesellschaft. Aufgrund eigener Vorarbeiten regte sie im März 2006 den Rat der EKD zu einer Überprüfung der gängigen Lutherbibel an. Damit kam der Stein ins Rollen: Nachdem eine alsbald installierte Expertengruppe in dieser Hinsicht definitiven Handlungsbedarf attestiert hatte, nahm der Rat der EKD die organisatorischen und kriteriologischen Vorbereitungen auf. Im Januar 2010 berief er drei Arbeitsgruppen (jeweils eine für das Alte Testament, die Apokryphen und das Neue Testament) sowie einen von Bischof Christoph Kähler geleiteten Lenkungsausschuss. Alle in diesen Gremien zu fällenden Entscheidungen sollten jeweils mit Zwei-Drittel-Mehrheit getroffen werden. Die gründliche Revisionsarbeit an dieser lutherischen „Septuaginta“ wurde von ca. 70 Fachexegeten geleistet. Ihnen standen germanistische und (leider nur wenige) kirchenhistorische Spezialisten zur Seite. Am 16. September 2015 konnte dem EKD-Ratsvorsitzenden das abgeschlossene Manuskript übergeben und der Prozess der Drucklegung initiiert werden.
Insgesamt hat nahezu jeder zweite Vers der Lutherbibel von 1984 eine Veränderung erfahren, freilich von sehr unterschiedlichem Ausmaß und Gewicht. Die Eingriffe erstrecken sich von minimalen Varianten der Interpunktion über den Austausch einzelner Wörter bis zur vollständigen Neuübersetzung eines Satzes. Dabei kehrte immerhin rund ein Drittel der Änderungen von früheren Revisionsgestalten wieder zum Textbestand derjenigen Lutherbibel, an die der Reformator 1545 letzte Hand angelegt hatte, zurück.
Die Überprüfung der Lutherübersetzung war drei Prinzipien verpflichtet. Deren erstes drängte auf Treue zum biblischen Ausgangstext. Auch wenn sich Luther seinerzeit erfolgreich um die besten ursprachlichen Vorlagen bemüht hatte, galt es nun, die erheblichen Fortschritte der biblischen Textkritik und exegetischen Wissenschaft zu berücksichtigen. So werden hebräische Perfektformen, die Luther präsentisch oder futurisch übersetzt hatte, wieder in ihre ursprüngliche Tempusgestalt revidiert, und die Mauer, auf welcher nach Auskunft von Amos 7,7 der Herr stand, war nicht mehr „mit einem Bleilot gerichtet“ (Luther 1984), sondern „von Zinn“ (Luther 2017).
Das zweite Prinzip forderte dort, wo sich eine Wortbedeutung aufgelöst oder verschoben hatte, die Wiederherstellung der lexischen Verständlichkeit. So mutierte beispielsweise die „Wehmutter“ (Gen 35,17) zur „Hebamme“ und das „Erbgut“ (Num 18,20) zum „Erbteil“. Eine sanfte Annäherung an das Gender-Mainstreaming lässt sich etwa darin erkennen, dass in den Gemeindeanreden der Episteln die „Brüder“ um ihre „Schwestern“ ergänzt oder das „Weib“ zur „Frau“ aktualisiert worden sind.
Besonderes Gewicht lag auf dem dritten Prinzip, das, wo immer es möglich war, die urtümliche Sprache Luthers zu hüten empfahl. Tatsächlich erweisen sich etliche der früher vorgenommenen Revisionen als unnötig und darum ihrerseits revisionspflichtig. Luthers „Otterngezücht“ (Mt 12,34) ist ebenso verständlich wie die dafür als Ersatz gebotene „Schlangenbrut“ (Luther 1984), das temporale „da“ muss durchaus nicht durch „als“ ersetzt werden, und Luthers bevorzugt gebrauchtes „auf dass“ büßt gegenüber dem vormals applizierten „damit“ keineswegs an Verständlichkeit ein. Das hätte übrigens auch für die Konjunktion „darum dass“ gelten können, die nun überflüssigerweise zumeist durch „weil“ modernisiert worden ist. Umso nachhaltiger soll hingegen die Entscheidung begrüßt sein, den Satzbau Luthers nicht durch die penetrante Endstellung des Verbs zu verhunzen, weil damit die sinntragende „Semantik des Rhythmus“ (diesen glücklichen Ausdruck hatte der Germanist Theo Schumacher geprägt) empfindlich gestört würde.
Nun ließen sich diese drei Grundregeln aber längst nicht überall harmonisieren. Die Revisoren waren gut beraten, im Konfliktfall nicht eine starre Generalregel anzuwenden, sondern sich um Einzelfallentscheidungen zu bemühen. So ist etwa das hebräische goijm, das Luther gerne mit „Heiden“ übersetzte, zwar oft, dem Urtext entsprechend, mit „Völker“ dargestellt worden, doch behielt man in Fällen, die eine dezidiert religiöse Feindschaft zum Ausdruck brachten, Luthers „Heiden“ bewusst bei. Entlastung gewährte zudem die Möglichkeit, in einer Fußnote entweder die von der korrekten Übersetzung abweichende Dolmetschung Luthers oder, wenn der Fließtext die lingua Lutheri bevorzugte, die wörtlich korrekte Übersetzung der Stelle zu bieten. Außerdem suchte man auf die Vertrautheit mit beliebten oder zentralen Textstücken Rücksicht zu nehmen und beließ darum die überkommene Version von Ps 23 oder des Vaterunsers unangetastet. Gewisse Grenzen dieser weichen Regelung treten etwa bei dem lutherisch üblichen Kanzelgruß (Phil 4,7) zutage, den die Lutherbibel künftig futurisch ausweist, der Liturg aber weiterhin präsentisch zu sprechen befugt ist.
Besondere Sorgfalt wurde auf die Druckgestalt der neuen Lutherbibel verwendet. Der Fließtext erscheint in einer eigens dafür entwickelten Serifenschrift, von der sich die redaktionellen Beigaben (Überschriften, Fußnoten etc.) typographisch abheben. Der Psalter wird, anders als die übrigen Teile, erfreulicherweise in einspaltiger Wiedergabe geboten, „darum dass“ sich dergestalt die meisten Verse in einer einzigen Zeile darstellen lassen. Übrigens ist dabei auch der hebräische Parallelismus membrorum durch Einrückung des zweiten Halbverses kenntlich gemacht worden.
Haben wir nun also endlich wieder „das beste deutsche Buch“? Das dürfte, jedenfalls für den liturgischen, schulischen und privatreligiösen Gebrauch, stark zu vermuten sein, und dem ästhetischen Puritaner bleibt es weiterhin unverwehrt, nicht nur Nietzsches „Zarathustra“, sondern auch Luthers „Biblia / das ist / die gantze Heilige Schrifft / Deudsch“ in der Originalgestalt zu goutieren.

Albrecht Beutel (Münster)

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