Buch des Monats: September 2015

Lambert, Wilfred G.

Babylonian Creation Myths

Eisenbrauns: Winona Lake, Indiana 2013. XVI + 640 S., 72 Tafeln. = Mesopotamian Civilizations, 16. Geb. $ 99.50. 21,6 x 28 cm. ISBN 978-1-57506-247-1

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Wer, wie der Verfasser dieser Buchempfehlung Anfang der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts Akkadisch gelernt hat und als Studierender der Theologie, vor allem des Alten Testaments, gerne bald das sogenannte babylonische Schöpfungsepos Enuma elisch übersetzen wollte, wurde darauf verwiesen, dass es davon bisher lediglich einen Keilschrifttext gebe, den W. G. Lambert erstellt und S. B. Parker kopiert hätte. Diese Ausgabe von 1966 blieb für lange Zeit die einzige und sie war für Nicht-Assyriologen unbenutzbar, die dementsprechend auf Übersetzungen des berühmten Textes angewiesen waren. Zugleich wurde den Studierenden der altorientalischen Sprachen mitgeteilt, dass W. G. Lambert, eine unumstrittene Autorität seines Faches, an einer umfassenden Edition und Kommentierung des Enuma elisch arbeite, die „bald“ erscheinen werde. Mit der hier anzuzeigenden Buchveröffentlichung ist dieses Versprechen, auf dessen Einlösung die wissenschaftliche Welt mehr als 40 Jahre gewartet hat, nun wahr geworden.

Es liegt eine magistrale Edition des Textes vor, die für kommende Generationen ähnlich wegweisend werden dürfte, wie die 1960 von Lambert vorgelegte Ausgabe zentraler Texte der „Babylonian Wisdom Literature“, ein Buch, das mit seiner Präsentation von Werken wie Ludlul bel nemeqi „Ich will preisen den Herrn der Weisheit“ und der sog. Babylonischen Theodizee entscheidende Impulse für die Erforschung der Bezüge zwischen mesopotamischer und biblischer Literatur (vor allem des Hiobbuches) vermittelte. Lambert (geb. 1926, gest. 2011) war Assyriologe und lehrte bis zu seiner Emeritierung 1993 an der Universität Birmingham; einen wesentlichen Schwerpunkt seiner Forschertätigkeit widmete er den babylonischen „Schöpfungstexten“ und dabei besonders dem Enuma elisch, das seit seiner Entdeckung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als wesentliche Parallele zu den biblischen Schöpfungstexten in Gen 1-11 erkannt wurde. Allerdings war die Popularität dem Verständnis nicht nur zuträglich. Schon die Kennzeichnung als „Weltschöpfungsepos“ ist mehr der biblischen Perspektive geschuldet, als der Eigenart des babylonischen Textes, wie Lamberts Buch nun umfassend zeigt.

Das Enuma elisch gehört zu den am meisten übersetzten Werken mesopotamischer Literatur. Viele Theologen und Altertumswissenschaftler haben es durch die leicht zugängliche Fassung von Lambert in TUAT (Bd. III/4, 1994, 565-602) kennengelernt, der jetzt posthum die auch dort (569) angekündigte „kritische Bearbeitung“ gefolgt ist, mit der alle Fragen im Zusammenhang des Textes in extenso bedacht und einer abwägenden Antwort zugeführt werden. Der unter großen editorischen Mühen v.a. durch die beiden Schüler Lamberts Andrew George und Wayne Horowitz seit 2010 vorbereitete Band bietet neben der in Teil 1 (mit eingehender Einleitung auf S. 3-44) enthaltenen Textedition des Enuma elisch (S. 45-144, unter Einschluss aller bekannten Tafeln und Fragmente) einen umfangreichen Teil 2 (S. 147-277), der das Bild des babylonischen Hauptgottes Marduk, wie es das Epos entwirft, religions- und literaturgeschichtlich kontextualisiert und kommentiert. Behandelt werden zum einen die Bedeutung der 50 Namen Marduks, die Traditionen zur Erschaffung des Weltgebäudes, v.a. die Einrichtung des Himmels, und zum anderen die Motive und Mythen des Götterkonflikts („Chaoskampfes“), die im Epos verarbeitet wurden, darunter v.a. die Ninurta-Mythen. Abgeschlossen wird Teil 2 durch die umfassende Behandlung der Frage nach „The Rise of Marduk in the Sumero-Babylonian Pantheon“, die vor allem das historische Material bereitstellt, aufgrund dessen die zeitliche Einordnung des Enuma elisch vorgenommen werden kann. Dazu hatte Lambert sich in seinen der Edition vorausgegangenen Veröffentlichungen immer wieder geäußert und liefert nun die eingehende, differenzierte Begründung für eine mittelbabylonische Datierung nach (am ehesten Zeit Nebukadnezars I., Ende 12. Jh. v.Chr., als frühestes mögliches Datum, gegenüber 900 v.Chr. als spätestes [442f.]). Doch bevor er in Teil 5 die Erwägungen zu Zeit, Ort, Zweck und Autor anstellt (er rechnet mit einem einzigen gelehrten Verfasser, der zahlreiche ältere Textelemente und Traditionen aufgegriffen und in seine Komposition einbezogen hat), bietet er in Teil 3-4 seines opus magnum noch Neueditionen zu 17 weiteren „Babylonian Creation Tales“, die die Sonderstellung, aber auch die Einbettung des Enuma elisch in die Traditionen Babylons beleuchten (281-401) sowie „Other Material Related to Enuma elish“, v.a. die Theogonien von Enlil und Anu (405-436). Dem umfassenden „Summary“, das jedem interessierten Leser zum Überblick empfohlen sei (Teil 5, 439-465) folgen Textanmerkungen mit einer Fülle an v.a. philologischen Details, 72 Tafeln mit Keilschriftkopien und ausführliche Register, die Wayne Horowitz mit Mitarbeitern erstellt hat. Die Indices stellen ein unentbehrliches Hilfsmittel für die Erschließung des außerordentlichen Bandes bereit, für den man nicht genug danken kann. Jeder an altorientalischer Kultur und Altem Testament Interessierte muss in Zukunft zu diesem Buch greifen.

Abschließend sei noch erwähnt, dass die 2012 erschienene Edition des Enuma elisch durch Thomas R. Kämmerer und Kai A. Metzler (AOAT 375) sowie die Neuübersetzung des Textes in TUAT.NF 8 (2015), 88-132, von Karl Hecker, die beide Lamberts große Monographie noch nicht benutzen konnten, vor allem deutschsprachigen Lesern weitere wertvolle Zugänge zum Epos bieten. Wir sind heute insofern im Blick auf das „Babylonische Weltschöpfungsepos“ mit einem Mal in einer äußerst komfortablen Lage.

Friedhelm Hartenstein (München)

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