Was ist eine gute Rezension?

Natürlich können die Mitarbeiter der „Theologischen Literaturzeitung“ sich diese Frage selbst beantworten. Aber eventuell will der eine oder andere wissen, ob er dabei mit der ThLZ-Redaktion übereinstimmt. Und wer zum ersten Mal eine Rezension veröffentlichen will oder sich als Studierender bisher noch nie an dieses bei näherem Hinsehen nicht einfache Geschäft gewagt hat, liest die Hinweise vielleicht mit Interesse und Gewinn. Ich jedenfalls zog zu meiner Studienzeit großen Gewinn aus einem permanent angebotenen Kolloquium meiner Lehrer Kurt Nowak und Martin Petzoldt mit dem nüchternen, aber sehr klaren Titel „Neue Theologische Literatur“. Jeder Teilnehmer hatte pro Semester ein mehr oder weniger umfangreiches wissenschaftliches Buch so vorzustellen, dass daraufhin dessen Hauptthesen sinnvoll von allen diskutiert werden konnten. Oft war das nicht einfach, aber viele haben dabei wohl mehr gelernt als in mancher Pflichtvorlesung – und das nicht nur für die Beurteilung fremder Texte, sondern gerade auch für das Schreiben eigener. Manches dessen, das uns damals an die Hand gegeben wurde, kehrt hier wieder.

Für die „Theologische Literaturzeitung“ ist an erster Stelle daran zu erinnern, dass sie eine Zeitschrift für das „gesamte Gebiet der Theologie und Religionswissenschaft“ ist. Das bedeutet: Die Besprechungen sollten so gehalten sein, dass nicht nur zwei oder drei direkte Fachkollegen etwas davon haben, sondern auch der Systematiker die exegetische Besprechung interessiert zu Ende liest, ohne vorschnell wegen allzu ausführlicher Diskussion von für seine bescheidenen Restkenntnisse unwägbaren Datierungsfragen aufzugeben. Ebenso sollte der Religionsphilosoph mit der Schöpfung von neuen Wortkombinationen sparsam umgehen, falls er beispielsweise von Exegeten oder Praktischen Theologen rezipiert werden möchte. Und der Historiker darf gern dann und wann auf die genuin theologischen Konsequenzen des von ihm vorgestellten Fünf-bis-achthuntert-Seiten-Werkes hinweisen, wenn er Verständnis dafür aufbringt, dass Dogmatiker und Ethiker auch leben wollen. Bringt man nun noch in Anschlag, dass idealerweise sogar Studierende die ThLZ lesen und verstehen können sollten, ist wohl fast die Quadratur des Kreises gegeben. Doch den Versuch, ebendiese aufzulösen, sollten unsere Rezensenten wagen. Im Einzelnen darf Folgendes beachtet werden:

Monographien:
1) Unbekannte Autoren sollten kurz vorgestellt werden. Bei Verfassern von Graduierungsschriften beispielsweise ist die Nennung des Doktorvaters oder der Schulrichtung sinnvoll. Doch auch Einzelkämpfer dürfen als solche gewürdigt werden. Die konfessionelle Zugehörigkeit des Autors ist nicht immer, aber oft interessant.
2) Wichtig zum besseren Verständnis einzelner Thesen des Autors ist die Einordnung des Werkes. Wo steht es im Kontext der eventuell schon vorhandenen Arbeiten des Autors, wo innerhalb vergleichbarer wissenschaftlicher, kirchlicher oder ökumenischer Bemühungen in Vergangenheit und Gegenwart?
3) Nach der ungefähren Einordnung des Werkes sollte der Diskussionsstand, von dem der Autor ausgeht, markiert und seine zentrale(n) Fragestellung(en) benannt werden.
4) Im Anschluss daran ist die Arbeitsmethodik des Autors von Interesse: Welche Zielstellung hat er vor Augen, welchen Weg zu diesem Ziel schlägt er mit welchen Grundsatzentscheidungen bzw. Grundannahmen ein? Dabei ist eine Darstellung des Werkes nötig – sinnvollerweise anhand dessen Gliederung, nur sollte die nicht allzu ausführlich und bloß referierend geraten. Und sie sollte nicht aus einer Aneinanderreihung von Zitaten bestehen. Der Autor darf dann und wann im Zitat selbst zu Wort kommen, aber die Benennung seines Hauptarguments sollte nicht aus einem halbspaltigen, gar noch fremdsprachigen Zitat bestehen.
5) Falls das Werk in nennenswertem Umfang Exkurse, eigenständige Auseinandersetzungen mit anderen Autoren oder thematische Erörterungen, die unter dem Titel nicht sofort zu vermuten sind, aufweist, sollte ausdrücklich auf sie hingewiesen werden.
6) Am Ende sind Ergebnis und Ertrag des Werkes zu würdigen, produktive Thesen herauszustellen und gegebenenfalls in eigene Denkimpulse zu überführen, wobei Nachfragen und bei Bedarf sachliche Kritik nicht ausgespart werden sollten. Gute Rezensionen leben vom Mut zur Wertung, möglichst natürlich ohne besserwisserische Attitüde. Der Wissenschaftsdiskurs ist ohne klare, begründete und namentlich unterzeichnete Stellungnahmen nicht denkbar. Aus diesem Grund sollten Besprechungen, die ausschließlich Inhalt referieren, ebenso vermieden werden wie polemische, am vorzustellenden Buch nicht verifizierte Urteile.
7) Nicht zuletzt sind kurze Angaben zur stilistischen Qualität des Werkes, zu seiner formalen Gestaltung und Ausstattung sowie zur wissenschaftlichen Genauigkeit (relative Fehlerfreiheit oder Fehlerdichte, Güte von Anmerkungsapparat oder Indizes) für die Leser wichtig. Auf breite Fehlerauflistungen sollte jedoch verzichtet werden. Wo das nötig scheint, darf mit einem knappen Satz darauf hingewiesen werden, dass eine Corrigenda-Liste beim Rezensenten abgerufen werden kann.

Eine besondere Herausforderung stellen Sammelbände, Lehrbücher, Editionen und Lexika dar. Vieles des schon Gesagten gilt hier in gleicher Weise, Anderes ist zu ergänzen:
1) Sammelbände sind daraufhin zu prüfen, ob ihre Beiträge ein gemeinsames Thema haben und wenn ja, wie konsistent dieses durchgeführt wird. Von Ausnahmefällen abgesehen, verbietet sich schon aus Platzgründen eine einfache Auflistung aller Beiträge, stattdessen dürfen besonders hilfreiche besonders hervorgehoben werden.
2) Lehrbücher müssen naturgemäß vor allem aus der Sicht der anvisierten Rezipienten beurteilt werden. Nicht nur bei exegetischen Kommentaren spielt dabei die banale Frage des Umfangs eine Rolle. Welche Seitenzahl kann der durchschnittliche Bildungswillige noch verkraften? Ebenso entscheidend ist die didaktischen Anlage. Gibt es sie und ist sie hilfreich? Oder besteht das Buch hauptsächlich aus didaktischen Überlegungen, hinter denen sein Inhalt verloren zu gehen droht?
3) Eine Werkedition zu besprechen, bedarf – gerade in Zeiten begrenzter Forschungsmittel – einer ganz speziellen Verantwortung und Qualität. An erster Stelle müssen die Editionsrichtlinien aufgezeigt und diskutiert sowie die Stringenz ihrer Anwendung geprüft werden. Zudem ist hier die Verortung der Edition in der Wissenschaftslandschaft besonders wichtig.
4) Größere Lexika sind wohl nie gerecht zu besprechen, selbst wenn man die hier gegebene personelle Disparatheit der Beiträger und den oft weiten zeitlichen Abstand zwischen Beginn und Abschluss des Großwerkes barmherzig in Rechnung stellt. Dennoch sind die Konzeption des Lexikons und ihre Umsetzung ausschlaggebend für die Bewertung – ebenso wie die Gewichtung der Themenfelder, die Auffindbarkeit gängiger Nachfragebegriffe und die Qualität der Beiträge.

Mehr kann man immer schreiben, möglicherweise aber ist es schon zu viel. Nicht jeder muss bei jedem Buch alles beachten, unsere Rezensenten werden wissen, welche Anregungen jeweils sinnvoll sind.
Ein Letztes möchte ich jedoch noch aufgreifen. Die Wissenschaften haben ihre je eigene Diktion und müssen nicht höchsten literarischen Ansprüchen gerecht werden. Dennoch sollte sich auch nüchtern-sachliche Fachsprache um eine gute Stilistik bemühen, damit ihre Inhalte wirklich verstanden werden können. Sätze dürfen in der Theologischen Literaturzeitung auch einmal lang sein, aber sie müssen bis zum Schluss korrekt durchkonstruiert sein. Das gebietet nicht nur die Verantwortung der deutschen Sprache gegenüber, sondern ebenso die Rücksicht auf den breiten internationalen Leserkreis der ThLZ. Der nun entspricht der Internationalität der besprochenen Bücher, was zur verständlichen, weit verbreiteten Gewohnheit führt, fremdsprachige Zitate in deutsche Sätze einzubauen. Das ist nicht zu vermeiden, sollte aber mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht werden. Generell sinkt die Treffsicherheit bei grammatikalischen Konstruktionen. Das ist nicht als Klage zu verstehen, sondern als Aufruf und Ansporn, gerade in der Wissenschaft sprachliche Sorgfalt und Verständlichkeit walten zu lassen. Dann erscheint das Sachliche nicht trocken, sondern lehrreich und schön.


Sollte dieser Beitrag langjährige Rezensenten neu motiviert und bisher Zögernde gewonnen haben, ist seine Absicht erreicht.

Dr. Annette Weidhas