Buch des Monats: Januar 2015

Im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland herausgegeben vom Kirchenamt der EKD

Religiöse Orientierung gewinnen. Evangelischer Religionsunterricht als Beitrag zu einer pluralitätsfähigen Schule. Eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2014. 128 S. Kart. EUR 5,99. ISBN 978-3-579-05974-7

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Der schulische Religionsunterricht, erteilt in der gemeinsamen Verantwortung von Staat und Kirche, eröffnet zum einen ein für Evangelische Kirche in Deutschland wichtiges Handlungsfeld. Denn evangelisches Christsein zeichnet sich jenseits klerikal-kultischer Vermittlung durch eine Unmittelbarkeit des Bezugs zu Gott aus. Zu dessen Gestaltung bedürfen evangelische Christen – so die Einsicht der Reformatoren – der Bildung. Zum anderen wird die Berechtigung des Religionsunterrichts seit längerem kritisch angefragt. Dies erklärt, dass der Rat der EKD seit gut vierzig Jahren Erklärungen zum Religionsunterricht veröffentlicht. 1971 gab es vor dem Hintergrund der Reform der gymnasialen Oberstufe eine viel beachtete Stellungnahme. 1994 folgte die erste Denkschrift zum Religionsunterricht, die sich den Herausforderungen durch die politische Vereinigung stellte. Denn dieses Fach musste in den neuen Bundesländern eingeführt werden. Mit der Formel „Identität und Verständigung“ strebte die EKD eine Bekräftigung der konfessionellen Bindung und eine dialogische Öffnung des Fachs an. Organisatorisch schlug sie die Bildung einer Fächergruppe vor, die Evangelischen und Katholischen Religionsunterricht und den Ethikunterricht umfasste.
Zwanzig Jahre später äußert sich der Rat der EKD von neuem. Als aktuelle Herausforderung wird jetzt die zunehmende Multireligiosität in der Gesellschaft genannt. Dabei steht nicht mehr der Religionsunterricht allein im Mittelpunkt. Vielmehr gilt es jetzt, die Schule als ganze auf die mit der Pluralität der religiösen und weltanschaulichen Einstellungen ihrer Schülerinnen und Schüler (und ihrer Lehrer und Lehrerinnen) einzustellen. Als Ziel des Dokuments wird eingangs formuliert: „Die vorliegende Denkschrift will zeigen, wie die religiöse und weltanschauliche Pluralität in Schule und Bildung in reflektierter Form wahrgenommen werden kann. Dabei soll deutlich werden, dass der Religionsunterricht als ein Schulfach, das sich in zentraler Weise mit dieser Pluralität auseinandersetzt, auf grundlegende Aufgaben von Schule und Bildung bezogen ist und einen wichtigen Beitrag zu deren Bearbeitung leisten kann.“ (11)
Im Zentrum der Argumentation steht der Begriff der „Pluralitätsfähigkeit“. Er soll das „Missverständnis“ ausschließen, „dass das Bemühen um Verständigung die Orientierung an Differenz jemals ablösen könnte“. (44) Ein Gewinn dieses primär pädagogisch begründeten Ansatzes ist die Überwindung der noch in der Religionspädagogik teilweise anzutreffenden Konzentration auf das schulische Unterrichtsfach „Religion“. Ausführlich legt die Denkschrift dar, dass die ganze Schule durch die weltanschaulich-religiöse Pluralität betroffen ist. Dadurch kommen Schulleben und -kultur ebenso in den Blick wie die Ausbildung der Lehrkräfte (auch derer, die nicht Religion unterrichten). Damit gibt der Text wichtige Hinweise, um letztlich lebensfremden Tendenzen der Ausgliederung von Religion im schulischen Bereich zu wehren. Allerdings zeigen sich in der Argumentation gewisse Unschärfen. Schulpädagogisch plausibel wird Pluralitätsfähigkeit als eine „Kompetenz“ (69) bestimmt, die in einzelne Teilkompetenzen differenziert wird. Zugleich wird dann aber der Religionsunterricht selbst als „pluralitätsfähig“ (74) bezeichnet. Dazu bleibt der genaue Bezug zum – wohl übergeordneten – Konzept der Heterogenität unklar. (17)
Für den Religionsunterricht folgt aus diesem Ansatz ein nachdrückliches Plädoyer für die Kooperation mit den benachbarten Schulfächern. Dabei findet jetzt – gegenüber 1994 – neben dem Katholischen (und dem Jüdischen) auch der Islamische Religionsunterricht als Kooperationspartner Beachtung. So heißt es z.B. programmatisch: „Der evangelische Religionsunterricht versteht sich […] als ein dialogisch offenes pädagogisches Angebot und strebt ausdrücklich die Kooperation mit dem Unterricht anderer Religionsgemeinschaften an.“ (13) Hinsichtlich der konfessionellen Kooperation reichen die Vorschläge weiter als noch 1994, z.B.: „Der Unterricht wird phasenweise oder für längere Zeiträume, die auch ein ganzes Schuljahr ausmachen können, in gemeinsamen Lerngruppen erteilt.“ (83)
Insgesamt argumentiert die Denkschrift mit dem Konzept Pluralitätsfähigkeit vorwiegend schulpädagogisch. Der Preis dafür ist eine gewisse theologische Unterbestimmtheit. Sowohl der Konfessions- als auch der Religionsbegriff werden weitgehend formal verwendet. Vielleicht böte eine Orientierung am – pädagogisch aktuelleren – Konzept der Heterogenität für die theologische Präzision einen günstigeren, weil personenbezogenen Rahmen.

Christian Grethlein

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