Buch des Monats: März 2011

Arnold Angenendt

Die Gegenwart von Heiligen und Reliquien

Eingeleitet u. hrsg. v. H. Lutterbach unter Mitarbeit v. S. Eck. Münster: Aschendorff 2010. 260 S. gr.8°. Geb. EUR 29,80. ISBN 978-3-402-12836-7.

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Was haben die Plastinate, die der Plastinator von Hagens in seiner Ausstellung »Körperwelten« zeigt, mit Reliquien zu tun? Warum interessiert sich plötzlich die halbe Welt für die Reliquien des Apostels Paulus, die jüngst bei einer Grabung in der römischen Kirche San Paolo fuori le mura gefunden wurden? Und warum pilgern Hinz und Kunz zu dem angeblichen Apostelgrab des Jakobus in Santiago di Compostella, obwohl kaum einer der Pilgernden glaubt, dass er hier begraben liegt? Solche Fragen verhandelt der Einleitungsessay zu einem Sammelband des Münsteraner Kirchenhistorikers Arnold Angenendt, den seine Schüler als Festgabe zu seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag veröffentlichten. Während der Band einer Auswahl von Beiträgen des Jubilars zum Thema „Heilige und Reliquien“ enthält, mit denen Angenendt sein vor fünfzehn Jahren veröffentlichtes Standardwerk unter dem Titel „Heilige und Reliquien“ (München 1994) ergänzt, schreibt im Einleitungsessay Angenendts Schüler Hubertus Lutterbach die Aufsätze seines Lehrers in dessen Geiste fort. Lutterbach entscheidet sich dafür, die Plastinate aus der »Körperwelten«-Ausstellung nicht unter klassische Reliquien einzuordnen, sondern bezeichnet sie als »Installationen aus Menschenmaterial«. Allerdings muss er zugeben, dass Plastinate wie Reliquien dem Wunsch von Menschen zu verdanken sind, das Leben in die Ewigkeit hinein zu verlängern. Auch die mutmaßliche Entdeckung eines Sarkophages des Paulus in Rom und von Knochen darin wertet er als ambivalentes Phänomen religiöser wie ethnischer Kontinuität in Italien.
Der Band enthält zwar auch noch Aufsätze Angenendts auf gewohnt hohem Niveau über diverse Spezialprobleme des reichen Themenfeldes »Heilige und Reliquien«, aber der Rezensent empfiehlt ihn besonders auch wegen der Einleitung. Sie macht deutlich, dass die hin- und herwogende Debatte über Säkularisierung nur dann auf ausreichend hohem Niveau geführt werden, wenn auch die spätneuzeitlichen Substitute gelebten religiösen Lebens studiert werden und die Differenzen zwischen Substitut und Original gründlich diskutiert werden. Dafür erhält man auch dann, wenn man nicht aus dem katholischen Münsterland stammt, im jenem preiswerten Band reiche Anregungen.

Christoph Markschies, Berlin

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