Buch des Monats: März 2023

Fukuyama, Francis

Der Liberalismus und seine Feinde

Hamburg: Hoffmann und Campe 2022. 224 S. Geb. EUR 25,00. ISBN 9783455014938

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Im Sommer 1989 prägte der aktuell in Stanford lehrende Francis Fukuyama zunächst scheinbar prophetisch einen Begriff, der ihn danach akademisch wie persönlich im Guten wie im Schlechten nicht mehr loslassen sollte: Die Rede vom »Ende der Geschichte« als einen Zustand, der nach dem Fall des »Eisernen Vorhangs« den unumkehrbaren Siegeszug der liberalen Demokratien als gesellschaftlichen Endzustand zu deklarieren bemüht war.
Nicht nur die westliche Welt als vermeintlicher Gewinner des Kalten Krieges musste schmerzlich und immer kriegerischer lernen: Es sollte anders kommen. Fukuyamas These von der finalen Form menschlicher governance im Gewand der liberalen Demokratie wurde im 21. Jahrhundert nicht nur durch den Aufstieg eines autoritären Regimes in China immer mehr zu einer Warnung dafür, warum man mit der Identifizierung »historischer Endzustände« sparsam hantieren sollte.
Und dennoch blieb Fukuyama als politischer Theoretiker des westlichen Liberalismus wie auch als easy target seiner politologischen Fehleinschätzung Teil des politischen wie akademischen Diskurses – und sei es nur im Gewand des bekannten Wilhelm-Busch-Diktums: »Der klugen Leute Ungeschick stimmt uns besonders heiter; man fühlt doch für den Augenblick sich auch einmal gescheiter.« Nur hätte man sich mit Francis Fukuyama keinen differenzierteren Denker als Ziel solcher Polemik aussuchen können, wie seine jüngste Monographie »Liberalism and its Discontents« eindrücklich bestätigt. Aufhorchen lässt zunächst die deutsche Übersetzung des Originaltitels »Liberalism and Its Discontents« mit »Der Liberalismus und seine Feinde«. Denn das klingt deckungsgleich nach Karl Poppers »Die offene Gesellschaft und ihre Feinde« (engl.: »The Open Society and Its Enemies«). Dabei beschreibt Fukuyama im Vorwort genau, worauf und vor allem auf wen sich der Inhalt seines Buches konkret bezieht:


»Ich schreibe dieses Buch in einer Zeit, in der sich der Liberalismus mit zahlreichen Kritiken und Herausforderungen konfrontiert sieht und vielen Menschen als alte und überlebte Ideologie erscheint.«


Angesichts der Herausforderungen von autoritären Regimen in China oder Russland kann man sicherlich auch von »Feinden des Liberalismus« sprechen. Aber es sind auch und gerade die »Discontents«, also die mit Liberalismus und Demokratie Unzufriedenen im Inneren, an die sich Fukuyamas neues Buch richtet, damit diese nicht von passiven »Unzufriedenen« zu aktiven »Feinden« werden. Fukuyama fragt nämlich: Was genau wäre die Alternative zu einem liberalen Staat? Um es vorweg zu nehmen: Alle von ihm untersuchten Optionen scheinen wie schon bei Platon oder Churchill wenig erfreulich.
Auf 200 Seiten beschreibt der Autor darum nicht nur als Diagnose die Krise des Liberalismus, sondern versucht, aktive Vorschläge zu machen, wie man diesen wieder zum Leuchten bringen kann. Einer seiner Schwerpunkte liegt dabei auf einem neuen, digitalen Umgang mit »Technologie, Privatsphäre und Redefreiheit« (125−142) und den Alternativen zum Liberalismus (143−160), die bei seiner Analyse in der Attraktivität wie der Problematik des Begriffs »nationale Identität« (161−174) gipfeln, also Nationalismen, denen er die Prinzipien einer alten und dann aus seiner Sicht neuen liberalen Gesellschaft entgegensetzt.
Überzeugend gelingt diese Darstellung der Prinzipien des alten und neuen Liberalismus, den Fukuyama gekonnt wie in all seinen Vorgängerwerken entfaltet. Und dennoch muss auch er erkennen, dass die Wirkungen von Digitalisierung und Internet wie der aus der Flasche entlassene Geist darum nur schwer wieder durch eine liberale Gesellschaftsordnung einzuhegen sind, weil die von ihm beschriebene neue Machtkonzentration − von privaten Firmen und weniger von Staaten – zum Dilemma wird. Denn vor allem digitale Unternehmen werden global kaum effektiv zu beaufsichtigen sein. Umso mehr wird jeder Nationalstaat unilateral daran scheitern.
Ein wesentlicher Schlüssel zur Rückkehr in einen klassisch liberalen Staat ist darum global neben Rationalität und Erkenntnis der Glaube nicht etwa an die Wissenschaft (wie sie etwa in den Corona- wie Klimadebatten uniform und damit problematisch beschworen wurde), sondern in die wissenschaftlichen Methoden, die sich durch Ergebnisoffenheit, Unvoreingenommenheit sowie einer transparenten wie strukturierten Suche nach Erkenntnis auszeichnen – auf Basis von Verifizierung oder eben Falsifizierung (142). All das leisten die sozialen Netzwerke im Internet gerade nicht, denn sie produzieren vor allem konzentriert und immer mehr konzertiert Stimmungen, Unterhaltung, unreflektiertes Wissen.
Und an dieser Stelle endet der Liberale Fukuyama nicht zufällig wieder dort, wo er angefangen hat und damit letztlich im angelsächsischen Modell des Liberalismus verhaftet ist: Bei Karl Popper, der das Angebot »großer Würfe« statt mühsamer piecemeal social engineering and slow democracy als größte Gefahr für die offene Gesellschaft beschrieb. Das mag man als Liberaler teilen, aber wie setzt man dies in Zeiten der Digitalisierung effektiv durch?
So bleibt ein Dilemma und eben kein Problem, wie der liberale Staat solche großen Würfe und Machtkonzentrationen, wie sie Firmen wie alphabet oder meta bereits anbieten, verhindern und liberale Bürgerrechte garantieren will, wenn sich private Konzerne die Lufthoheit über die freie Rede technisch und in der Folge auch materiell bereits im Internet sichern.
Diese Fragen als Kernfragen des Überlebens jedes liberalen Staates für das 21. Jahrhundert zu erkennen und Antworten wenigstens neu zu versuchen, das macht dieses Buch so lesenswert.

Nils Ole Oermann (Lüneburg)

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