Buch des Monats: Februar 2014

Khorchide, Mouhanad

Scharia – der missverstandene Gott. Der Weg zu einer moderne islamischen Ethik.

Freiburg u. a.: Herder 2013. 232 S. Geb. EUR 18,99. ISBN 978-3-451-30911-3.

Mouhanad Khorchide, Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Münster und Leiter des dortigen Zentrums für Islamische Theologie, trat 2012 mit einer viel beachteten Interpretation des Islam als »Barmherzigkeit« hervor (Islam ist Barmherzigkeit. Grundzüge einer modernen Religion, Freiburg, vgl. ThLZ 139 [2014], 43). Sie wird jetzt fortgesetzt.
K.s Buch kann aus unterschiedlicher Perspektive gelesen werden: als Einführung in islamische Theologie und Ethik, als Auseinandersetzung mit einer juristischen Interpre¬ta¬tion des Islam (exemplarisch anhand des Salafismus), aber auch als Zeugnis der persönlichen Frömmigkeit K.s. Im Folgenden will ich auf die religionsdidaktische Bedeutung des Buches aufmerksam machen.
Schon in der Einleitung tritt die Grundausrichtung des Werkes hervor: »Ein juristisches Verständnis vom Islam blendet die Arbeit an der Läuterung des Herzens aus.« (17) Scharia, oft als Rechtssystem interpretiert, übersetzt K. philologisch als »Der Weg zur Quelle«, mithin als der »Weg zu Gott« (18). Von daher kann K. eindrücklich u. a. das religiöse, und d. h. von ihm durch jeden Menschen individuell zu gestaltende Potenzial der fünf Säulen und der sechs Glaubenssätze des Islam bestimmen (23–71). Zwar wird das nicht explizit in seinen pä¬dagogischen Konsequenzen ausgeführt. Aber deutlich ist, dass dieses Islamver¬ständnis einen schülerorientierten Unterricht ermöglicht. Ein so inhaltlich profilierter Religionsunterricht passt gut in das Ensemble der bestehenden schulischen Unterrichtsfächer im Bereich der Daseins- und Wertorientierung.
In einem ausführlichen Kapitel (82–155) weist der K. ein juristisches Verständnis des Islam als koranwidrig und der Intention Muhammads entgegenstehend ab. Religionsdidak-tisch wird es darauf ankommen, die hier durch vielfältige Zitate geführte Diskussion für eine Stand¬ort¬bestimmung der Schüler und Schülerinnen zu nutzen. Sowohl sorgfältiges, den jeweiligen Entstehungs¬kontext beachtendes Koranstudium als auch Auseinandersetzung mit den gegenwärtigen Gegebenheiten sind dabei grundlegend. Hierzu gibt die von K. eindrück-lich geschilderte Dialogizität der Gott-Mensch-Beziehung (z. B. 74.79) einen theolo¬gisch tragfä¬higen und pädagogisch ergiebigen Rahmen ab: »Wenn es in religiöser Bildung um ein subjektives Betroffensein von Religion geht, dann setzt dies eine dialogische Theologie voraus, die die Beziehung Gott-Mensch nicht als Gehorsamsbeziehung, sondern als dialo-gische, ja als Liebes-Beziehung vorsieht […].« (193)
Doch enthält die Klärung des Scharia- (und Islam-)Verständnisses auch Impulse für die christlichen Formen des Religionsunterrichts. Stark betont K. die Haltung der »Demut«: »Frommsein heißt […], dass das Herz für die Liebe empfänglich ist. Und das ist nur das demütige Herz.« (215) Die hier in mehreren Anläufen (z. B. 69.181.198.215.219.223) geschilderte ethische Grundhaltung entspricht einem wichtigen Impuls Jesu von Nazareth. Sie findet sich aber in der gegenwärtigen deutschen evangelischen Theologie kaum. Dazu regt K. für Muslime und Christen an, »den Koran und die Bibel als ihre eigenen Bücher an[zu]sehen, die sich keineswegs ausschließen, sondern ergänzen« (63). Es liegt auf der Hand, dass sich hier zumindest für die gymnasiale Oberstufe interessante Unterrichtsprojekte abzeichnen.
So präsentiert dieses Buch – religionspädagogisch formuliert – eine Grundlegung der Didaktik eines Islamischen Religionsunterrichts, deren unterrichtspraktische Umsetzung drin-gend zu wünschen ist – auch im Interesse der christlichen Formen von Religionsunterricht.

Christian Grethlein (Münster)

Weitere Bücher