Buch des Monats: November 2016

Jörg Jeremias

Theologie des Alten Testaments.

Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 2015. XVI + 502 S. Geb. EUR 80,00. PDF e-book EUR 64,99. Studienausgabe EUR 30,00. 24,5 x 16,5 cm. ISBN 978-3-525-51696-6.

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Mit diesem Buch hat der renommierte Alttestamentler Jörg Jeremias (München/Marburg) sein opus magnum vorgelegt. Es handelt sich um eine umfassende Synthese langjähriger Arbeit an den Texten des Alten Testaments, allem voran den Prophetenbüchern (ATD-Kommentare zum Dodekapropheton), den Psalmen (Königtum Gottes, FRLANT 141), dem Pentateuch (z. B. Studien zu Gen 22) und dem Deuteronomistischen Geschichtswerk (Studien zur „Reue“ und zum „Zorn“ Gottes, BThSt 31 und 104), um nur das Wichtigste zu nennen. Dass gerade jetzt eine solche Gesamtdarstellung erschienen ist, kann als Glücksfall für die evangelische Theologie angesehen werden. In Zeiten, in denen Unsicherheit und Gleichgültigkeit gegenüber biblischen Inhalten stärker werden und in denen der erste Kanonteil der christlichen Bibel erneut im Fokus grundsätzlicher Anfragen steht, kann es nur zur Bildung im besten Sinne beitragen, wenn man das Buch von Jeremias möglichst ganz studiert. Das sei jedem religionssensiblen Zeitgenossen uneingeschränkt ans Herz gelegt.
In seiner Einleitung (1–21) benennt Jeremias als Ziel des Werks, „die Ergebnisse der wissenschaftlichen Bemühungen um das Verständnis der alttestamentlichen Texte sowohl für die Theologie als auch für die Kirche zu bündeln und insbesondere die zentralen Gottesaussagen des Alten Testaments zu erheben“ (1). Wie es die Durchführung zeigt, denkt er dabei nicht nur an Studierende der Theologie und interessierte Kreise, sondern genauso an die Fachkolleginnen und -kollegen aus der Exegese und den anderen theologischen Disziplinen. Die Notwendigkeit einer Gesamtdarstellung ist für Jeremias eine doppelte: Zum einen bedarf es um des Zusammenhalts der wissenschaftlichen Theologie willen immer wieder der Ergebnissicherung in überschaubarem Rahmen. Zum anderen fordert die Entwicklung der Literaturwerke der hebräisch-aramäischen Bibel (masoretischer und reformatorischer Kanon) aus sich heraus ein „Zusammendenken“ im Blick auf den theologischen Ertrag. Jeder, der sich an die Aufgabe wagt, muss sich mit Fragen des Aufbaus, der Systematik und der Hermeneutik einer „Theologie des Alten Testaments“ auseinandersetzen. Darüber informiert die Einleitung. Das Zusammenspiel der Gesichtspunkte erschließt sich aber vor allem in den die biblischen Texte in den Mittelpunkt stellenden materialen Ausführungen (Teile I–III). Die klare Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur trägt das Ihre dazu bei, vor allem die Texte und ihre Facetten sichtbar zu machen (wer eingehendere Begründungen zu den „Prolegomena“ einer Theologie des Alten Testaments sucht, sei auf die zeitgleich erschienenen „Studien zur Theologie des Alten Testaments“ von Jeremias verwiesen [FAT 99, 2015, bes. 1–79). Der Reichtum des vorliegenden Buches kann hier nur angedeutet werden. Die drei Teile sind chronologisch, zugleich aber auch systematisch angeordnet:
Teil I („Die zentralen ,Denkformen‘ des Glaubens im Alten Testament“, 23–190) benennt die Grundlagen, auf denen sich die späteren alttestamentlichen Gottesvorstellungen in ihrer Eigenart entwickelt haben: Es sind fünf in bestimmten literarischen Formen (Gattungen) ausgeprägte Diskursweisen: Gebet (Psalmen), Weisheit, Recht, (Geschichts-)Erzählungen („Ursprungstraditionen“) und Prophetie. Formal haben sie alle auch altorientalische Parallelen, aber in ihrem Zusammenspiel und vor allem in ihren sich schon früh abzeichnenden inhaltlichen Besonderheiten im Blick auf die „Ursprungsmythen“ (Väter, Mose, David [65–122]) und die (Unheils-)Prophetie ab Elia und Hosea (123–190) zeigen sich entscheidende gedankliche Weichenstellungen für das Spätere. Es ist zu betonen, dass Jeremias nicht auf eine Darlegung der Anfangslage verzichtet wie es angesichts der hist. Unsicherheit über die Frühzeit Israels nahezuliegen scheint.
Teil II („Die großen Neuentwürfe“, 193–281) behandelt die ab dem ausgehenden 7. Jh. v. Chr. entstehenden theologischen Konzeptionen (Deuteronomium, Jer und Ez, Ex 32–34*, Dtr.), in denen die Bewältigung des zweifachen Verlustes der Staatlichkeit (720 v. Chr.: Israel, 586 v. Chr.: Juda) geleistet wurde: „Der alttestamentliche Glaube hat seine entscheidenden Impulse in einer Notzeit erhalten [...]. Durch den Zusammenbruch der staatlichen und religiösen Institutionen [...] und vor allem durch den Verlust des Landes war eine einfache Kontinuität der Gottesvorstellungen unmöglich geworden.“ (193). Hier tritt nun mit Hilfe des hermeneutischen Schlüssels der älteren Gerichtsprophetie eine Schuldbewältigung und zugleich an der tragenden Zuwendung JHWHs in der Geschichte festhaltende monotheistische Theologie in den Vordergrund, die ab dem Ende der Exilszeit auch dem Schöpfungsgedanken breiten Raum gibt (P und Dtjes). Damit ist die Voraussetzung für das Folgende gegeben: Die vielfältigen, aber „tragenden“ Theologien der nachexilischen Zeit.
Teil III („Die tragenden Themen“, 285–478) stellt so etwas wie die Summe der „Theologie des Alten Testaments“ von Jeremias dar: In den theologischen Konzepten und den darin sichtbaren Debatten der persisch-hellenistischen Zeit kommen die Gottesvorstellungen zu einer stark reflexiven, Älteres bündelnden Gestalt (die endgültige Einhegung des Zorns JHWHs durch eine umgreifende Gnade, Bund, Zion, Schöpfung, wirkmächtiges Wort, Dekalog, Psalter, „eschatol.“ Hoffnungen bis zur Apokalyptik und Totenauferstehung). Es entstehen aber auch neue „Bohrende Fragen“ [460–478]: Nach der Gerechtigkeit JHWHs angesichts des unerklärbaren Leidens [Hiob] und nach dem „Sinn des Lebens“ [Koh]). Ein Ausblick (479–495) vor allem zu den theologisch für Jeremias entscheidenden „Selbst-Einschränkungen“ Gottes zugunsten Israels und der Menschheit (bei der Sintflut Gen 6–9) beschließt das bedeutende Werk.

Friedhelm Hartenstein (München)

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