Buch des Monats: November 2013

Adams, Nicholas, Pattison, George, u. Ward, Graham (Eds.)

The Oxford Handbook of Theology and Modern European Thought.

Oxford: Oxford University Press 2013. 720 S. = Oxford Handbooks in Religion and Theology. Geb. £95.00. ISBN 978-0-19-960-199-8.

Wer sich ein Bild davon machen will, wie in der englischsprachigen Welt der Gegenwart das Verhältnis von Theologie und europäischer Moderne gesehen wird, wird dieses Buch zur Hand nehmen müssen. In 31 Beiträgen von primär, aber nicht ausschließlich britischen Autorinnen und Autoren wird ein konturenreiches Panorama der komplexen Beziehungen zwischen Theologie und dem europäischen Denken der Moderne gezeichnet.
In der Einleitung wird von den Herausgebern mit Recht hervorgehoben, dass nicht nur der Theologiebegriff, sondern auch alle drei weiteren Kernbegriffe des Titels komplex und in ihrer Bedeutung nicht eindeutig festzulegen sind. Es wird auch gar nicht erst der Versuch gemacht, sie zu definieren. ›Theologie‹ wird von ihnen nicht inhaltlich, sondern ganz pragmatisch bestimmt: Gemeint sind damit »the forms of theology that have been developed and taught in university contexts in the European world of the last two centuries.« (2) Dabei wird allerdings unterschätzt, dass Theologie in der deutschsprachigen Tradition nicht ein Fach neben anderen ist, sondern ein spezifischer, intern differenzierter Fächerverbund, der auf beinahe alle Fragen dieses Bandes noch einmal andere Antworten zu geben ermöglicht und nötig macht als sie hier erörtert werden.
Auch wenn vor allem das 19. und 20. Jahrhundert im Blick sind, sind ›Moderne‹ bzw. ›Modernität‹ keine klar umrissenen Epochenbegriffe, im Deutschen mit der Unterscheidung von Neuzeit und Moderne noch weniger als im Englischen. Schon längst und mit guten Gründen ist soziologisch und kulturphilosophisch von »multiple modernities« die Rede, und auch die Unterscheidung von Moderne, Prämoderne und Postmoderne ist aus den gegenwärtigen Debatten nicht mehr wegzudenken. Gerade deshalb ist es aufschlussreich, wenn die Herausgeber ausdrücklich am Begriff der Moderne als dem Integralbegriff dieser vielfältigen Entwicklungen festhalten: Von ›Postmoderne‹ zu reden, wäre ihrer Auffassung zufolge erst After »globalization« sachlich begründet (6). Dort sind wir aber jetzt noch nicht, sondern wir befinden uns mitten im Globalisierungsprozess der Moderne.
Ähnlich strittig ist das, was mit ›europäisch‹ gemeint wird. Zweifellos gehören dazu nicht nur die Traditionen Frankreichs und Deutschlands, sondern auch die der skandinavischen, russischen und slavischen Länder (der südeuropäische Raum wird ausgeblendet), und nicht zuletzt auch das, was sich im 19. und 20. Jahrhundert in Nordamerika entwickelt hat, nicht nur in der christlichen Theologie, sondern auch in den Jewish Studies (der Islam wird praktisch ignoriert). Angesichts der gegenwärtigen globalen Umbrüche geben sich die Herausgeber aber keiner Illusion hin: »it needs to be acknowledged that the modern European centre of gravity which marked the twentieth-century’s greatest theology – much of it in French or German – has to a significant extent come to an end, to be replaced by developments whose contours are perhaps already visible in the study of world Christianity, but which have yet to register in the core curricula of faculties of theology and of religion in Europe and North America.« (9)
Vieldeutig ist schließlich auch das, was mit ›Denken‹ gemeint ist. Zunächst wird an die Philosophie zu denken sein, und das Verhältnis von Philosophie und Theologie spielt die zentrale Rolle in diesem Band. Aber daneben kommen auch Literatur und Literaturwissenschaft zur Sprache, die Malerei (die Musik bleibt ausgeblendet), gender und queer theory (Soziologie, Psychologie oder Kulturwissenschaften werden allenfalls gestreift). Hier liegt wohl die deutlichste Verengung des Programms dieses Bandes: Es geht im Grunde um das Verhältnis von Philosophie und Theologie in der europäischen Moderne, wie es aus der Sicht einer am ›kontinentalen Denken‹ interessierten angelsächsischen Theologie in den Blick kommt. Wenn vom Ende dieser Epoche gesprochen wird, dann hat das durchgängig mit den Auflösungserscheinungen der europäischen Lösungsmodelle dieses Verhältnisses zu tun.
Die Beiträge werden in 6 Abteilungen präsentiert: In Teil I (Identity) werden Themen wie Selbst, gutes Leben, Nationalismus und Patriotismus, Metropolen, der Andere, Sprache, Freiheit und Emanzipation behandelt. Teil II (The Human Condition) befasst sich mit Arbeit, Leiden, Tod, Übel und Liebe. Teil III (The Age of Revolution) greift Fragen wie Souveränität, Tradition, Messianismus, Nihilismus, Opfer, Krieg und Frieden sowie radikale Philosophie und politische Theologie auf. Teil IV (The World) thematisiert die Themenfelder Natur, Schönheit und Erhabenheit, Zeit, Geschichte und Technologie. Teil V (Ways of Knowing) geht auf Wissenschaft, Hermeneutik, Phänomenologie und Metaphysik ein. Und Teil VI (Theology) konzentriert sich auf die Themen Bibel, Inkarnation, Sakramentalität, Versöhnung und Vorsehung. In jeder Abteilung könnte man sich noch manches andere denken. Nicht immer ist es sachlich einleuchtend, warum ein Thema (etwa Opfer) in diesem und nicht in einem anderen Teil behandelt wird. Und auch die Auswahl der theologischen Themen im letzten Teil ist sehr einseitig und lässt vieles Wichtige beiseite. Insgesamt ist auffällig, wie deutlich der Beitrag der deutschsprachigen Theologie zu den wichtigen Debatten seit der Mitte des letzten Jahrhunderts zurückgeht. Es wird nicht mehr wahrgenommen oder beachtet, was in der systematischen und philosophischen Theologie hierzulande geschieht – ob zu Recht oder zu Unrecht, mag dahingestellt bleiben. Auch an Literatur wird nur zur Kenntnis genommen, was englisch publiziert ist. Blumenberg, Liebrucks, Schmitz, Simon oder Waldenfels, Ebeling, Jüngel, Herms, Härle, Kasper, Verweyen, Pröpper und viele andere mehr wird man vergeblich suchen. Dennoch: Mit seinem ganz und gar angelsächsischen Fokus bietet der Band eine Bestandsaufnahme, die schon beinahe einem Rückblick auf eine vergangene oder doch vergehende Epoche gleichkommt. Diesen Blick der anderen sollte niemand hierzulande ignorieren, und das darin zum Ausdruck kommende Urteil über die Situation der deutschsprachigen Theologie auch nicht. Auch wer keinen Grund sieht, in diese Abschiedsmelancholie einzustimmen, wird von der Lektüre dieses Bandes profitieren – auch und gerade dort, wo das nicht behandelt wird, was man vielleicht erwartet hätte.

Ingolf U. Dalferth (Claremont/Tübingen)

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