Buch des Monats: September 2012

Wolter, Michael

Paulus. Ein Grundriss seiner Theologie.

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2011. XI, 481 S. 22,0 x 14,5 cm. Geb. EUR 39,90. ISBN 978-3-7887-2489-4.

Paulinisches Christentum als Bekehrungsreligion
Wer Paulus eher unter den Theologen als unter den Philosophen sucht, wird bei Michael Wolter fündig. Sein Grundriss der paulinischen Theologie fragt nach der „christlichen Sinnwelt“, die der Apostel kreiert, um dem Evangelium in seinen Gemeinden Geltung zu verschaffen. Vom Gedanken der neuen Schöpfung in Christus (2Kor 5,17) ausgehend charakterisiert Wolter das paulinische Christentum als Bekehrungsreligion, und zwar sowohl im Blick auf den Apostel selbst als auch im Blick auf die Adressaten seiner Mission. Freilich darf das nicht so missverstanden werden, als habe Paulus (s)eine Bekehrung vom Judentum zum Christentum erlebt – das wäre anachronistisch. Ein „Judentum“ im Unterschied oder gar im Gegensatz zum „Christentum“ gab es zu seiner Zeit noch nicht. Vielmehr meint Bekehrung für Wolter die Konstituierung und Konstruktion einer neuen Identität, die sich als „Zuschreibungsphänomen“ im Kommunikationsvorgang zwischen Paulus und seinen Gemeinden herausbildet.
Zentrale Bedeutung für die Definition der christlichen Sinnwelt bekommt bei Paulus der Kreuzestod Jesu. „Dass Christen ihr Heil auf einen Kreuzestod zurückführen oder dass sie einen am Kreuz Gestorbenen als ihren Kyrios bekennen, markiert darum in der Tat eine ’Fundamentaldifferenz’ zwischen einem christlichen und einem nichtchristlichen Wirklichkeitsverständnis.“ (126) Daher steht „Die Heilswirklichkeit des Todes Jesu“ (so der Titel von Kapitel VI) auch im Zentrum der Darstellung von Wolter. Da es sich hierbei aber um eine „Gewissheit des Glaubens“ handelt, sind zuvor (nach zwei einführenden Kapiteln zur Biographie des Apostels, Kapitel II und III) die Grundkonstituenten der paulinischen Botschaft, Evangelium und Glaube, zu entfalten (Kapitel IV und V). Glaube ist „Zustimmung zu dem von Paulus verkündigten Evangelium von Jesus Christus … wodurch das Heil Gottes vermittelt und angeeignet wird“ (129). Die Taufe (Kapitel VII) signalisiert die bereits vollzogene Lebenswende der zu Christus Bekehrten. Der heilige Geist (Kapitel VIII) „gehört … ebenso selbstverständlich zur Ausstattung eines Christen wie der Glaube und das Getauft-Sein“ (152). Hoffung, Christusteilhabe, Gemeinschaft der Glaubenden und Ethik bilden die Themen der folgenden Kapitel bevor – erst gegen Schluss, dafür aber umso ausführlicher – die Rechtfertigung aus Glauben behandelt wird (Kapitel XIII). Das sehr sorgfältig ausformulierte Israel-Kapitel (XIV) bildet einen Höhepunkt der Darstellung, die mit einem Epilog zu „Paulus und Jesus“ ausklingt.
Leitmethode bei Wolter ist die Semantik. Immer wieder nimmt er sorgfältige Wortfeldanalysen vor, fragt nach dem genauen Sinn von Wortverbindungen oder nach der „Topographie“ in einem semantischen Feld (so etwa im Blick auf die paulinische Rechtfertigungslehre). Historische oder religionsgeschichtliche Fragen spielen weniger eine Rolle. Vom „politischen Paulus“, der in anderen Breiten der Paulusforschung derzeit wieder prominent ist, spürt man bei Wolter kaum etwas, ebenso wenig von den jüngsten Debatten um stoische und/oder platonische Hintergründe seiner Argumentationen. Der Theologe Paulus ist es, der bei Wolter eindeutig im Vordergrund steht – warum auch nicht, wenn ein Theologe ein Buch für Theologen schreibt?

Karl-Wilhelm Niebuhr (Jena/Leipzig)

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