Buch des Monats: September 2017

Zander, Helmut

»Europäische« Religionsgeschichte. Religiöse Zugehörigkeit durch Entscheidung – Konsequenzen im interkulturellen Vergleich.

Berlin u.a.: De Gruyter/Oldenbourg 2015. VII, 635 S. Geb. EUR 99,95. ISBN 978-3-11-041783-8.

Der an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Université de Fribourg (Schweiz) lehrende Religionswissenschaftler Helmut Zander hat unter dem Titel »Europäische« Religionsgeschichte ein Werk von insgesamt 635 Seiten vorgelegt, das er ebenso kurz wir prägnant einleitet. Es geht ihm im Sinne historischer Religionsforschung um drei einfache, bei genauerem Hinsehen jedoch ausgesprochen gehaltvolle Fragen: »Ist Europa anders als der Rest der Welt? Hat Europa eine eigene Religionsgeschichte? Glauben Europäer anders als Afrikanerinnen oder Asiaten?« (3)
Zander ist sich der damit gegebenen Problematiken wohl bewusst, was etwa die Begriffe »Europa« oder »Religion« betrifft. Es geht ihm in seinem Werk jedoch weder um essenzialisierende Zuschreibungen noch auch um ein »Pluriversum möglicher Charakteristika«, sondern um eine klare These: nämlich die Behauptung, eine »einzige Dimension« habe »die okzidentale – später europäische – Religionsgeschichte« entscheidend geprägt:
»Die Zugehörigkeit zu einer religiösen Tradition (später: Religion) sollte nicht mehr durch Geburt begründet, sondern durch eine freie Entscheidung festgelegt sein, und diese Entscheidung sollte zudem exklusiv sein, also keine hybriden, synkretistischen, mehrpoligen religiösen Praktiken beinhalten.« Zander weiter: »Wenn, so die zentrale These, Zugehörigkeit durch Entscheidung hergestellt wird oder zumindest auf dem Anspruch einer solchen beruht, entsteht eine anders strukturierte Religion als dort, wo die Zugehörigkeit aufgrund von Geburt existiert.« (3)

Das Buch stellt den Versuch dar, diese These zu belegen, denn Zander stellt damit die Behauptung auf, dass es sich bei dieser einen Dimension um etwas handelt, durch das »die gesamte Architektur einer Religion verändert wird: In der Geschichte des Christentums sind Initiationsrituale (Taufe), Bildungsprozesse (Katechismus) oder eine intentionale Ausbreitung (Mission), aber auch die Genese von Religion als eigenständigem Bereich in einer funktional differenzierten (sogenannten modernen) Gesellschaft, um nur einige Beispiele zu nennen […], Innovationen einer auf entschiedene Zugehörigkeit umgestellten Religion.« (3–4)
Im Verlauf des Werkes entfaltet Zander demnach, dass Zugehörigkeit durch Entscheidung für das Christentum spezifisch sei und etwas Neues in die Religionsgeschichte gebracht habe. Zwar habe Jesus dies so nicht gefordert (122–124), da Entscheidung bei ihm noch nicht mit einem Religionswechsel gekoppelt war, in den Schriften des Neuen Testaments jedoch sei dies deutlich gegeben (124 ff.). Damit sei diese theologische Überzeugung und Forderung im »Speichergedächtnis« des Christentums verankert worden und gelte auch dann fort, wenn die Weitergabe von Religion auch im Christentum phasenweise über Abstammung verlief. Im Blick auf das Speichergedächtnis bezieht sich Zander auf die Arbeiten von Jan und Aleida Assmann. (Zander, 45.51.52.98.122.149 u. ö.) Zander: »Die Forderung nach einer Entscheidung blieb im kulturellen Speichergedächtnis zugänglich und konnte immer wieder ins kommunikative Gedächtnis hinein aktiviert werden – in dieser Potenz lag Sprengstoff.« (122)
Der Faktor Entscheidung versus Abstammung zieht Konsequenzen nach sich, die Zander durch die Themen Taufe (als einmaliges Zugangsritual), Katechese (als notwendige Wissensvermittlung an neu Hinzugekommene), Glaube und Bekehrung (als innere neue Haltung), Abfall und Häresie (als deviantes Verhalten), Universalismus, Mission und Konver-sion (als grenzüberschreitendes Handeln) sowie Dogmatik und Apologetik (als Reflexion), Martyrium und Toleranz (als mögliche biographische Folge) sowie neue Sozialstrukturen erläutert. Methodisch stellt Zander heraus, dabei handele es sich um objektsprachliche Begriffe, also solche Begriffe, die sich der christlichen Tradition verdanken (148 f.).
Insgesamt handelt es sich um ein sehr lesenswertes Werk mit einer klaren Gedankenführung, beginnend unter I Festlegungen mit den Unterkapiteln 1 Konzeptionelle Vorentscheidungen (3-56) sowie 2 Religionsgeschichtliche Stationen (57-94), sodann fortgesetzt unter II Systemwechsel mit dem Unterkapitel 3 Entscheidung (95-354), danach III Konsequenzen mit den Unterkapiteln 4 Schrift (355-462), 5 Stadt (463-484), 6 Universität (485-512) sowie 7 Neuzeitliche Naturforschung (513-538) und als Schluss: Relativismus – ein biographisches Nachwort (539-542). Jedes der Kapitel sucht in kultur- und religionsvergleichender Absicht die Charakteristika der postulierten Europäischen Religionsgeschichte herauszuarbeiten, wobei der Leser durch ein Panorama verschiedener Forschungsüberblicke mit einer Fülle ebenso interessanter wie weiterführender Beobachtungen geführt wird.
Dieses beeindruckende Buch wird die Diskussion im Bereich der systematischen Religionswissenschaft ebenso wie im Bereich der Interkulturellen Theologie/Missionswissen-schaft nicht nur durch seine zentrale These befruchten, sondern auch durch die vielen methodologischen und inhaltlichen Einzelfragen, die zur Grundierung der These behandelt werden.

Henning Wrogemann (Wuppertal)

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