Buch des Monats: März 2012

Engberg-Pedersen, Troels

Cosmology and Self in the Apostle Paul. The Material Spirit.

Oxford u. a.: Oxford University Press 2010. XV, 287 S. gr.8°. Geb. £ 65,00. ISBN 978-0-19-955856-8

Paulus ist in letzter Zeit häufiger unter die Philosophen geraten. Alain Badiou, Giorgio Agamben oder Slavoj Žižek haben sich an ihm gerieben, und die Ergebnisse ihrer Bemühungen um den Apostel haben auch bei Theologen Aufmerksamkeit gefunden. Freilich spielte bisher bei solchen philosophischen Versuchen, Paulus zu verstehen und zu gebrauchen, die aktuelle bibelwissenschaftliche Paulusforschung so gut wie keine Rolle. Gelegentlich, etwa bei Badiou, konnte man sogar den Eindruck gewinnen, dass ihnen ein Paulusbild zu Grunde lag, dessen problematische (z.B. antijüdische) Schlagseiten von der Paulusforschung längst überwunden sind, während die philosophischen Rezipienten sie noch nicht einmal erkannt haben.
Auch Troels Engberg-Pedersen, Professor für Neues Testament an der Universität Kopenhagen, möchte eine „philosophische Paulusexegese“ vorlegen und greift dafür streckenweise auf zeitgenössische Philosophen wie Pierre Bourdieu oder Michel Foucault zurück. Sehr viel stärker aber bemüht er sich, die paulinische Gedankenwelt in ihren antiken philosophischen Kontext einzuordnen und von dort her neu zu beleuchten. Kosmologie und Anthropologie sind die Bereiche, die er dabei besonders genau in den Blick nimmt. Gerade den Zusammenhang von Weltverständnis und Selbstverständnis bei Paulus möchte er durch Einordnung in antike philosophische Diskurse aufdecken.
Dezidiert entscheidet sich Engberg-Pedersen bei der Frage nach den philosophischen Leitlinien, in denen sich das paulinische Denken bewegt, für den Stoizismus, ohne dass damit Berührungen zu mittelplatonischem Denken ausgeschlossen werden müssten – im 1. Jh. ist die gegenseitige Berührung und partielle Durchdringung beider Schulen ja unübersehbar. Gleichwohl identifiziert er bei Paulus eindeutig stoische und eben nicht platonische Grundzüge, insbesondere im Geistverständnis (s. den Untertitel: „The Material Spirit“!). Die „Leiblichkeit“ des Pneuma, wie sie bei Paulus zum Ausdruck kommt, indem der Geist die Glaubenden durchdringt und geradezu materiell mit Christus vereint, kann nur auf stoischer Grundlage nachvollzogen werden.
Glücklicherweise lässt sich der Autor durch seinen Deutungsansatz und seine bewundernswerten philosophiehistorischen Kenntnisse nicht dazu verleiten, Paulus einseitig von den Denkvoraussetzungen griechisch-römischer Philosophie her zu verstehen. Unmissverständlich stellt er heraus, dass Paulus als Jude entscheidend durch die Bibel in ihrer frühjüdischen Rezeptionsgestalt geprägt war. Und auch exegetisch zeigt er sich auf der Höhe der aktuellen Diskussionen zu den einschlägigen Passagen aus dem 1. Korinther, Galater-, Philipper- und Römerbrief. Vielleicht hätte ein solcher philosophiegeschichtlich, religionsgeschichtlich und exegetisch differenziert erschlossener Paulus auch heutigen Philosophen noch etwas zu sagen.

Karl-Wilhelm Niebuhr (Jena/Leipzig)

Weitere Bücher