Buch des Monats: April 2017

Hans Diefenbacher, Oliver Foltin, Benjamin Held, Dorothee Rodenhäuser, Rike Schweizer, Volker Teichert

Zwischen den Arbeitswelten. Der Übergang in die Postwachstumsgesellschaft.

Fischer: Frankfurt am Main 2016. 416 Seiten. EUR 12,99. 978-3-596-03592-2.

Buch bestellen

Alle Autorinnen und Autoren dieser anregenden Monographie sind Mitarbeiter im Arbeitsbereich »Frieden und Nachhaltige Entwicklung« des Instituts für interdisziplinäre Forschung (FEST) in Heidelberg. Anregend ist deren Buch deshalb, weil es zum Nachdenken über die Frage anregt, wie wir aus ökonomischer wie theologisch-ethischer Perspektive über die nur scheinbar einfache Frage nachdenken können, wie wir im 21. Jahrhundert arbeiten werden und was die dort anstehenden Veränderungen für unser Leben wie unser Zusammenleben bedeuten.
Dabei muss man viele der sozio-politischen wie makroökonomischen Prämissen der Autoren keineswegs teilen, um die Qualität von deren Analyse zu schätzen: So beschreiben diese in einem Kernkapitel des Buches (44–106) den ihre Analyse leitenden Begriff „Post-wachstum“ so, als handele es sich bei diesem um eine Sachverhaltsbeschreibung, während dieser nicht nur bei den Ökonomen vielmehr auf der Wertungsebene anzusiedeln ist.
Will heißen: Ob wir auf dem Weg in eine Gesellschaft jenseits des ökonomischen Wachstums sind oder sein sollten, ist keine faktische Zustandsbeschreibung, sondern eine zu prüfende These. Dennoch ist die dahinterliegende, pointiert dargestellte Begriffsgeschichte handwerklich sauber wie originell dargestellt, so dass man den Ansatz der Autoren selbst dann angemessen rezipieren kann, wenn man ihn keineswegs teilt. Lesenswert sind vor allem die Ausführungen zur Zukunft der bezahlten Arbeit, zu gravierenden Änderungen der Arbeits-organisation durch Digitalisierung sowie die theoriegeschichtliche Diskussion der Geschichte und Zukunft der Utopien zur Zukunft der Arbeit im Allgemeinen und zum Gerechtigkeitsbegriff im Besonderen – und zwar nicht nur für Ethiker und Volkswirte.
Die Spannung zwischen Breite und Tiefe, zwischen Sachverhalt und Prognose macht das gewählte Thema „Arbeit“ im 21. Jahrhundert so aktuell wie wissenschaftlich auf schwankendem Boden angesiedelt. Denn niemand weiß heute, ob und wie viele Arbeitsplätze oder – wirtschaftsethisch gesprochen – Existenzen die Digitalisierung kosten wird. Denn einerseits werden durch den Prozess der Digitalisierung immer mehr Tätigkeiten automatisiert werden, während eben diese Entwicklung andererseits die Produktivität des einzelnen Menschen enorm erhöhen und gewaltige kreative Potentiale freisetzen wird. Wo und wie diese Potentiale dann ökonomisch einsetzbar sein werden und politisch tatsächlich eingesetzt werden, weiß heute niemand.
Umso wichtiger ist es, Denkmodelle und Utopien zu entwickeln und zu strukturieren, um Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Individuen und Staaten in die Lage zu versetzen, die erwartbar grundlegenden Veränderungen zu strukturieren, um sie gestalten zu können.
Wie das aussehen kann, von der share economy über bedingungslose Grundeinkommen bis zu neuen Formen der Arbeitsteilung und Besteuerung mit all ihren makroökonomischen wie ethischen Konsequenzen, darüber denken die Autoren dieses Buches originell nach und regen damit ihre Leser zum Nachdenken an.
Wohlgemerkt: Auch wenn der Leser selbst Karl Marx und dessen Idee der Fremdbestimmung (194–96) eher in der indirekten als der direkten Rede referieren würde und den Enthusiasmus bezüglich „bedingungsloser“ Grundeinkommen ökonomisch gar nicht teilen mag, so lohnt sich doch die Lektüre vor allem über den ideengeschichtlichen Kern solcher vermeintlichen „Utopien“ umso mehr. Ein wirklich lesenswertes Buch.

Nils Ole Oermann (Lüneburg)

Weitere Bücher