Buch des Monats: November 2019

Josua, Hanna Nouri

Ibrahim, der Gottesfreund. Idee und Problem einer Abrahamischen Ökumene

Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie, 69. Tübingen: Mohr Siebeck 2016. XIV, 694 S. Lw. EUR 129,00. ISBN 978-3-16-150145-6.

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Das Buch des aus dem Libanon stammenden Hanna Nouri Josua, heute Geschäftsführer des Evangelischen Salam-Centers und Pfarrer der Arabischen Evangelischen Gemeinde in Stuttgart, behandelt ein ebenso aktuelles wie umstrittenes Thema. Es geht um die Frage, in welchem Sinne die Figur des Abraham, arabisch Ibrāhīm, für eine »Abrahamische Ökumene« in Anspruch genommen werden kann, wie dies von manchen Vertretern/innen des christlich-islamischen Dialogs angenommen wird. Das Werk gliedert sich in vier Teile: In Teil 1 (13–88) widmet sich der Autor unter 1. Die Idee einer »Abrahamischen Ökumene« verschiedenen (zunächst vorwiegend deutschen) Beiträgen aus dem römisch-katholischen und dem evangelischen Bereich, bringt dann aber auch christliche Stimmen aus dem Nahen Osten (64–73) zu Gehör, bevor er diejenigen Themenkreise identifiziert, die von christlicher Seite als interreligiös besonders hilfreich verstanden werden (73–83). In Teil 2 (89–188) befasst sich der Autor unter 2. Methodologie: Quellen und Hermeneutik mit den Grundlagen der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Figur des Ibrāhīm anhand islamischen Quellenmaterials. In Teil III (189–596) als dem Hauptkapitel der Arbeit geht der Autor das Material unter folgenden Überschriften durch, die für sich selbst sprechen: 3. Der Prophet und die Propheten (189 ff.), 4. Muḥammad und die Ibrāhīmerzählung in der Begegnung mit den Polytheisten (227 ff.), 5. Muḥammad und die Ibrāhīmerzählung in der Begegnung mit den Juden (385 ff.), 6. Muḥammad und die Ibrāhīmerzählung in der Begegnung mit den Christen (473 ff.) sowie 7. Die Islamisierung Ibrāhīms – Ibrāhīmisierung des Islam (559 ff.). Aus den im Durchgang durch das Material gewonnenen Erkenntnissen ergeben sich im abschließenden Teil IV (597 ff.) unter 8. Ibrāhīmische Anfragen und Perspektiven eine Reihe von Rückfragen an die Idee einer »Abrahams-Ökumene«.
Josua hebt hervor, dass die Einzelaussagen einer Religion nur im Kontext des jeweiligen religiösen Gesamtsystems verstehbar sind, weshalb für den interreligiösen Dialog die Suche nach einem kleinsten gemeinsamen Nenner nicht ausreiche: »Westliche Dialogpartner führen das christlich-muslimische Gespräch allzu häufig aus rein westlicher Perspektive, ohne den muslimischen Rezipienten in seiner eigenen Glaubenstradition und seinem Selbstverständnis wahrzunehmen.« (625) Genau dieses aber, ein muslimisches Verständnis Ibrāhīms anhand von Quellentexten herauszuarbeiten, ist das Ziel des vorliegenden Werkes, dem Josua in ebenso ausführlicher wie eindrücklicher Weise gerecht wird.
Unter 8.3 Nachruf auf die »Abrahamische Ökumene« und Ausblick (622 ff.) hält Josua fest, dass Christen/innen nur dann, wenn sie die muslimische Binnenperspektive wahrnehmen und ernstnehmen, zu einem tragfähigen Dialog kommen können, da sie durch die Unterschiede genötigt werden, ihr eigenes Verständnis von Abraham neu zu durchdenken. Folgende Passage bringen in konzentrierter Form das Anliegen, die Ergebnisse und die These des Autors auf den Punkt und sei daher abschließend in voller Länge zitiert: »Nur wer Unterschiede mit offenen Augen wahrnimmt, kann den Anderen ernstnehmen. Die Rede von Toleranz würde zur hohlen Phrase, wenn es keine Unterschiede auszuhalten, zu ›er-tragen‹ gäbe. Das Gleiche und Eigene zu lieben ist einfach, doch im Lieben gerade des Anderen erweist sich die agape, die über die eigenen Möglichkeiten und Kräfte hinausgeht und ihre Kraft aus der Liebe Christi bezieht. Diese Liebe und Wertschätzung des Anderen erweist sich darin, dass eben gerade keine fundamentale Einheit, kein kleinster gemeinsamer Nenner oder eine gemeinsame Integrationsfigur vorhanden [ist] – und daher auch nicht krampfhaft konstruiert werden muss! –, um eine tragfähige Basis des Miteinanders zu finden. […] Die Rezeption der Abrahamgestalt ist in den religiösen Traditionen so unterschiedlich, dass eine theologische Basis in einer gemeinsamen Gestalt nicht gegeben ist […] Ein islamischer Ibrāhīm allein, in dem sich, wie aufgezeigt, Leben und Botschaft Muḥammads spiegeln, kann sowohl Juden als auch Christen schwerlich zugemutet werden. In jener schicksalhaften Begegnung Muḥammads mit der christlichen Delegation von Naǧrān rief er diese zu einem kalima sawāʼ (Wort des Ausgleichs), einem ›zwischen uns und euch gleich angenommenen Wort‹ (3,64) auf. […] Durch die Parallelisierung Ibrāhīms mit Muḥammad bis hin zur Identifizierung mit ihm und die Projektion sämtlicher islamischer Glaubensinhalte und -riten auf Ibrāhīm, kann er jedoch kein gemeinsames, quasi neutrales Wort in der Mitte mehr sein. Das entzieht einer theologischen Ökumene auf der Basis von Abraham / Ibrāhīm von beiden Seiten die Grundlage. Vielmehr ist die Idee einer abrahamischen Religion – millat Ibrāhīm ! – eine genuin islamische Idee, nämlich das Argument, das Juden und Christen eben gerade nicht in ihrem Glauben belassen will, sondern zu dem neuen und zugleich alten ursprünglichen Glauben der Unterwerfung unter den einen Gott ruft – zum Islam. Eine Rückkehr zu Ibrāhīm als dem Ur-Vater und Ur-Propheten ist darum immer auch eine Rückkehr zum Islam als der Ur-Religion, der fiṭra.« (626)
Josua argumentiert damit entschieden für die Fortführung interreligiöser Dialoge. Er mahnt dabei jedoch an, religiöse Andersheit nicht zu unterschlagen, sondern diese ernst zu nehmen. Das Buch enthält neben verschiedenen Registern eine Reihe von Schaubildern sowie hilfreiche Exkurse. Dieses gut zu lesende, ausgesprochen materialreiche, luzide und in seinem kritischen Duktus inhaltlich weiterführende Werk kann allen am christlich-islamischen Dialog wie am christlich-jüdischen Dialog Interessierten nur wärmsten empfohlen werden.

Henning Wrogemann (Wuppertal)

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