Buch des Monats: Mai 2012

Amaladass, Anand, and Gudrun Löwner

Christian Themes in Indian Art. From the Mogul Times Till Today.

New Delhi: Manohar 2012. 428 S. m. Abb. u. Ktn. $ 165,00. ISBN 978-8-173049453.

Das gibt es selten, dass man unmittelbar nach Erscheinen eines Buches sagen kann, hier ist ein Klassiker erschienen, ein Standardwerk zur christlichen Kunst in Indien (1100 Farbbilder!), das auch nach Jahrzehnten noch Gültigkeit haben wird. Beispiele der frühsten Begegnung des Christentums mit der indischen Kultur leiten den Band ein. Mit ungeheurem Fleiß sind aus Museen vieler Länder Miniaturen und andere Bilder aus der Mogulzeit (Kaiser Akbar, 16. Jh.) gesammelt und uns zugänglich gemacht. So wird uns eine frühe Begegnung zwischen Islam und der Kirche und der seinerzeit seitens der katholischen Missionare intensiv geführte Dialog sichtbar vor Augen geführt (35–100).
Sehr vorsichtig sprechen die Autoren nicht von „Christlicher Kunst“ in Indien, sondern von „Christlichen Themen“ in indischer Kunst. So wird jeder falsche Inklusivismus vermieden und nichtchristliche Künstler können in ihrer Begegnung mit christlichen Motiven und christlicher Kultur uneingeschränkt gewürdigt werden. Sie sind überzeugende Beispiele dafür, wie das Christentum Teil der indischen Kultur geworden ist. Die Bengalische Renaissance indischer Kultur und Ursprung eines frühen indischen Nationalismus (1895–1905) wehrt sich gerade nicht gegen das Christentum, sondern inkorporiert es in die eigene Kultur. N. Bose und vor allem J. Roy sind dafür überzeugende Beispiele (104ff). Aber diese Auseinandersetzung setzt sich in der neueren Kunst fort, oft mit anderen, dem internationalen Kunstschaffen entlehnten Mitteln, die nicht von der indischen traditionellen Kunst dominiert werden, sie aber auch nicht verleugnen. In unendlicher Vielzahl wird das Antlitz Christi gestaltet, Jesus selbst gern in der Gestalt des barmherzigen Samariters. Es verwundert nicht, daß Mutter Teresa wieder und wieder gestaltet wird, einmal als Maria, die ihren Sohn hält (Pieta), dann als Engel oder ganz einfach als die Frau, die sich den Armen zuwendet, und damit wie Jesus als der barmherzige Samariter oder als der unter Ausgestoßenen Gekreuzigte ein Kontrastbild zur indischen Gesellschaft bildet (u. a. 142 ff.). Ich muss gestehen, dass mich diese Bilder nicht-christlicher Künstler (137–192) in ihrer stilistischen Vielfalt und Ausdruckskraft besonders beeindruckt haben.
Das große Kapitel über christliche Künstler bringt ausführlich Beispiele von Künstlern, die auch in Deutschland durch verschiedene Missionswerke oder durch Misereor Hungertücher bekannt geworden sind (A. da Fonseca, 215 ff.; F. Wesley 236 ff.; S. Raj, 252 ff.; J. Sahi, 269 ff.; L. D’Souza-Krone u. a.). Ausführliche biographische Daten und eine einfühlsame Einführung in die verschiedenen Aspekte ihrer Werke veranschaulichen eindrücklich, wie das Christentum heute ein Zuhause gefunden hat bei einer künstlerischen Elite, die davon überzeugt ist, dass sie eine Botschaft zu vermitteln hat, die für die indische Gesellschaft relevant ist.
Südindien hat eine besondere kulturelle Prägung innerhalb des indischen „Kontinents“. Zu Recht widmet sich ein ausgreifendes Kapitel der spezifischen südindischen christlichen Kunst, die wieder ein ganzes Kaleidoskop unterschiedlicher Stile und Künstler spiegelt (287–328). Bei ihnen spürt man, wie stark sie sich von der abendländischen Kunst haben prägen lassen, um dann doch zur eigenen „indischen“ Form und Farbe zurückzukehren, ohne das bis dahin Erarbeitete ganz hinter sich zu lassen, wie beispielsweise A. A. Doss es tut (296-300).
Es liegt nahe, hier wie bei den meisten anderen Künstlern von gelungener Inkulturation zu sprechen. Auch wenn diese Einordnung viele Aspekte abdeckt, wird man damit nicht der Vielfalt des Dargebotenen gerecht. Für die kirchliche Architektur, der das Schlusskapitel gewidmet ist (355-406) wäre diese Einordnung sachgemäß, denn dort geht es darum, für die traditionellen kirchlichen Räume ein neues, indigenes Gewand zu finden, ohne dass die Sache als solche dadurch tangiert wird. In der Malerei aber findet eine Auseinandersetzung statt, bei der die Botschaft selbst zur Disposition steht. Jede Übersetzung verändert den Inhalt. Das gilt in gleicher Weise für die Übersetzung des Evangeliums in eine andere Sprache wie die in eine andere Bildwelt. Das findet hier in großer Vielfalt statt. Von „interkultureller“, gleichsam theologisch inspirierter Kunst sollte man nur begrenzt sprechen, denn das „Inter“ suggeriert einen wechselseitigen Austausch. Der aber findet auf Seiten des Abendlandes bisher nicht statt. Der Begriff des „Transkulturellen“ scheint mir angemessener zu sein. In dieser Kunst werden Grenzen überschritten und ein Weg in ein bildnerisches Neuland begangen, der immer neue Perspektiven auf die biblische Botschaft und ihre sozialen Dimensionen eröffnet. Nur mit großem Staunen wird man sich diesem Weg zuwenden und immer wieder in diesem wunderbaren Buch blättern, schauen und lesen. Es gibt keine Ermüdungserscheinungen.

Theo Sundermeier

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