Buch des Monats: Dezember 2022

Sfar, Joann

Die Katze des Rabbiners.

10 Bände: Bd 1: Die Bar-Mizwa. Berlin: avant-verlag 2014. 152 S. Geb. EUR 29,95. ISBN 9783945034019; Bd. 2: Malka, der Herr der Löwen. Berlin: avant-verlag 2015. 144 S. Geb. EUR 29,95. ISBN 9783945034101; Bd. 3: Exodus. Berlin: avant-verlag 2019. 200 S. Geb. EUR 29,95. ISBN 97839644500050; Bd. 4: Das irdische Paradies. Berlin: avant-verlag 2022. 160 S. Geb. EUR 30,00. ISBN 9783964450715; Bd. 5: Jerusalem in Afrika. Berlin: avant-verlag 2007. 86 S. Geb. EUR 16,95. ISBN 9783939080213 (vergr.); Bd. 6: Du sollst neben mir keine anderen Götter haben. Paris: Dargaud 2015. 56 S. Kart. EUR 13,50. ISBN 9782205073539 ; Bd. 7: Der Turm von Bab-El-Oued. Paris: Dargaud: 2017. 88 S. Kart. EUR 16,00. ISBN 9782205075885; Bd. 8: Das Mandelkörbchen. Paris: Dargaud 2018. 60 S. Kart. EUR 15,00. ISBN 9782205078350; Bd. 9: Die Königin Sabbat. Paris: Dargaud 2019. 76 S. Kart. EUR 16,00. ISBN 9782205079500; Bd. 10: Geht zurück nach Hause! Paris: Dargaud 2020. 96 S. Kart. EUR 16,50. ISBN 9782205080032.

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Man hat es schon immer geahnt: Katzen wissen mehr, als ihr unschuldiges Schnurren vorgibt. Augen und Ohren sind offen, wenn sie auf leisen Pfoten durch die Wohnungen und über die Dächer schleichen. Nur behalten sie eben für sich, was sie zu sehen und zu hören bekommen. Schade eigentlich. Doch zum Glück gibt es diese eine, die »Katze des Rabbiners«, die eines schönen Tages den Papagei frisst und plötzlich sprechen kann. Kein Wunder, dass sie zur Hauptfigur einer Graphic Novel avanciert. Joann Sfar, ihr Schöpfer, schlüpft in das Gewand eines Geschichtenerzählers und taucht in die bunte Vergangenheit seiner maghrebinischen Vorfahren ein. Was er erzählt, ist die Geschichte des Judentums – nicht mehr und nicht weniger. Er wirft sie aufs Papier, mit schnellen, bewegten Strichen und kräftigen Farben, in Bildfolgen mit raschen Schnitten und vielfach verflochtenen Motiven. In den Sprechblasen platziert er auf engstem Raum scharfe Beobachtungen und knappe Dialoge – treffsicher, launig und mitunter von philosophischer Tiefe. Bislang hat er auf diese Weise elf Bände gefüllt und sein Publikum stets mit dem Wunsch zurückgelassen: Ach, wenn es doch noch ein bisschen weiterginge!
In der Kasbah, wo das jüdische Viertel von Algier liegt, lebt in den 1920er Jahren ein Rabbi mit seiner Tochter Zlabya, einer Katze und einem Papagei. Der Rabbi ringt mit Gott und der Aufgabe, seiner heranwachsenden Tochter das Leben zu erklären. Im Haus geht es traditionell zu. Das pittoreske Flair der Räume mit ihren Teppichen und Polstern sowie der engen Gassen, Türme, Balkone und Ausblicke auf das Meer, das in den Bildern liebevoll einfangen ist, kann nicht über die Spannungen hinwegtäuschen, die vor der Tür lauern. Man lebt zusammen und hat sich arrangiert, Juden, Araber und Franzosen. Aber es gilt, die Regeln dieser engen Welt zu beachten. Sonst wird es schwierig. Genau davon erzählt die Geschichte – durch den Mund einer Katze, die ihre ganz eigene Sicht auf die Menschen hat und dabei besonders deren religiöse Eigenarten aufs Korn nimmt. Kulturen und Religionen prallen aufeinander, und immer deutlicher zeichnen sich in der Geschichte, je weiter sie voranschreitet, Konflikte ab, denen sich auch der Rabbi in seiner behaglichen Abgeschiedenheit nicht zu entziehen vermag.
Band 1 führt die Hauptfiguren ein. Schon immer hat die Katze dem Rabbi beim Studium über die Schulter geschaut, hat mit ihm Talmud und Midrasch gelesen oder seinen Ausführungen gegenüber Gästen gelauscht. Vor allem aber sucht sie die Gesellschaft ihrer »Herrin« Zlabya, die sie abgöttisch liebt und der sie die Einsamkeit vertreibt. Als die Katze sich nun – unverhofft sprachbegabt – zu Wort meldet, wird es unterhaltsam. Dem Rabbi gegenüber leugnet sie, den Papagei gefressen zu haben und benutzt die menschliche Sprache sogleich zum Lügen (oder Flunkern, wie sie es nennt). Der Rabbi zeigt sich empört und will die Katze wegsperren, um seine Tochter vor ihrem Einfluss zu schützen. Daraufhin entspinnt sich ein gelehrter Dialog, in dem die Katze (genaugenommen ein Kater) die Bar-Mizwa verlangt, um gesellschaftsfähig zu werden. Dem Rabbi gehen angesichts ihrer klugen, biblischen Argumente die Gegengründe aus, so dass er den »Rabbiner des Rabbiners« aufsucht, was in einem Desaster endet. Die Katze darf bleiben, doch fortan führt ihr freier und provokanter Umgang mit dem Wort zu immer neuen theologischen Komplikationen. Und weil sie nicht nur die Bücher des Rabbis, sondern auch die nächtlichen Gassen kennt, durchschaut sie schon bald die fromme Scheinheiligkeit mancher Zeitgenossen. Damit ist das Muster entworfen, mit dem die folgenden Bände in immer neuen Episoden und Figurenkonstellationen phantasievoll operieren.
Band 2 bringt Malka ins Spiel, einen Cousin des Rabbis, der als Geschichtenerzähler in der Gesellschaft eines zahmen Löwen durch die Dörfer streift. Der Rabbi muss sich auf Anordnung aus Paris einer Prüfung seiner französischen Sprachkenntnisse unterziehen. Die Katze, die ihn beim Diktat unterstützen will, spricht den Gottesnamen aus – und verliert dabei vorübergehend ihre Sprachbegabung. Der Rabbi, der übrigens den Namen Abraham Sfar trägt, pilgert zum Grab eines heiligen Mannes, wobei er seinen Verwandten, Sheik Mohammed Sfar, trifft und mit ihm die schönste abrahamische Ökumene praktiziert. Inzwischen aber hat sich Zlabya in einen jungen Rabbiner aus Paris verliebt und Malka muss den Rabbi überzeugen, diese Liebe zu akzeptieren.
Band 3 erzählt von der Hochzeitsreise des jungen Paares in Begleitung des Rabbis und der Katze nach Frankreich. Dass es an der Seine regnet, ist noch das geringste Übel. Der Rabbi entdeckt, dass sich sein Neffe in Paris mit demütigenden Jobs durchschlägt. Die Eltern des Bräutigams haben ihr Judentum längst aufgegeben; der Rabbi flieht aus ihrem Haus und erlebt Abenteuer, die ihm das europäische Judentum und seine eigenen Grenzen vor Augen führen. Er verletzt sogar die Kaschrut: »Der Rabbi isst, und die Welt geht nicht unter.« Die kleine Gesellschaft kehrt zurück nach Algier, erleichtert, bereichert und aufgestört.
Band 4 wechselt von Algier nach Oran, wo der Rabbi als Schächter tätig ist und Malka seine Geschichten erzählt. Die Katze und der Löwe debattieren über das Alter und den Tod, über Erfolg und Misserfolg, über Sterbehilfe (die dem Löwen von einer Schlange angeboten wird) und wahre Liebe. Malka ersinnt eine dramatische Geschichte über sein eigenes Ende, in der er Suizid begeht, um sich der Forderung eines Berberfürsten zu entziehen, der ihn zum Muezzin machen will. Dem alten Religionskonflikt tritt ein neuer politischer Konflikt zur Seite in Gestalt des Pater Lambert, der als Bürgermeister von Oran antisemitische Reden hält und von Malka dafür geohrfeigt wird. Auch unter den Schülern des Rabbis wächst der Wille zur Selbstverteidigung. Der Rabbi stellt fest: »Wenn Leute uns schlagen, verbietet es die Tora, uns zu wehren? Nein. Jesus sagt das, aber er ist nicht der Rabbiner, den wir am häufigsten studieren.« Die Katze bleibt skeptisch.
Band 5 ist der bislang umfangreichste, denn nun nimmt die Geschichte buchstäblich Fahrt auf. Während Zlabya die erste Ehekrise erlebt, trifft mit dem Schiff eine Bücherkiste aus Russland ein. Sie enthält nicht nur rabbinische Drucke, die vor den Bolschewiki gerettet worden sind, sondern auch einen jüdischen Maler, der darin als blinder Passagier mitgereist ist. Der Rabbi hält den Ohnmächtigen für tot; der Rabbiner des Rabiners, inzwischen erblindet und zum Kabbalisten geworden, hält ihn für einen Golem, den er mit dem Gottesnamen zum Leben erwecken will. Das gelingt auch, als er ihn mit der Schreibfeder versehentlich in der Nase kitzelt. Der russische Jude erwacht, doch niemand außer der Katze versteht ihn. Man holt aus der orthodoxen Kirche einen zaristischen Offizier, der – nicht anders als der jüdische Kommunist auch – vor den neuen Machthabern geflohen ist. Nun erzählt der Maler seine Geschichte von jenem »Jerusalem in Afrika«, das der sowjetische Geheimdienst ausfindig gemacht haben will. Daraufhin bricht eine kleine Expedition in Richtung Äthiopien auf, bestehend aus dem Maler, dem Offizier, dem Rabbi, Sheik Mohammed, und natürlich der Katze. Ihre Fahrt mit einem Lastwagen quer durch Afrika gerät zu einer Reise durch verschiedene Konfliktsitutionen. Der Offizier bricht Streit mit dem fundamentalistischen Marabou eines Stammesfürsten vom Zaun, tötet ihn im Duell und kommt selbst zu Tode; ein aufgeblasener Reporter und sein Hund (die unschwer als Persiflage auf Tim und Struppi zu erkennen sind) verkörpern den europäischen Kolonialismus. Der Maler verliebt sich in eine Afrikanerin und nötigt dem widerstrebenden Rabbi die Eheschließung ab. Die Reise wird immer beschwerlicher. Nach einem kurzen Stop bei den Falaschas gibt einer nach dem anderen auf, und am Ende bleiben nur noch der Maler, seine Frau und die Katze übrig. Nach ihrer Rückkehr erfinden sie den gesuchten Sehnsuchtsort Jerusalem und seine hünenhafte, schwarze jüdische Bevölkerung. Dabei unterstellen sie, dass auch diese freien, bislang unbehelligten Menschen nur scheinbar glücklich und ausgeglichen sind; die beiden Fremden wollten sie jedenfalls nicht aufnehmen, weil sich der Maler als weiß und seine Frau als eine Nichtjüdin erweist. Noch vor seinem Tod hatte Vastenov, der zaristische Russe, Arm in Arm mit dem jüdischen Kommunisten, vom Wodka berauscht resümiert: »Die Freundschaft der Völker, das ist Kacke! Es lebe die Freundschaft zwischen den Menschen!«
In Band 6 bekommt Zlabya einen Sohn. Die Katze, die aufpassen soll, weiht den Kleinen in die Geheimnisse seiner Familie ein: »Aber wenn sie dich erst einmal ein paar Jahre bearbeitet haben, wirst du genauso verdreht werden wie sie.« »Bwa! Bwa!«, macht das Baby. Ansonsten klagt die Katze das Leid ihrer verlorenen Liebe und ihrer rasenden Eifersucht, was sie noch menschlicher macht als ihre talmudischen Diskurse und viel Raum bietet, über die Unterschiede zwischen Mensch und Tier sowie über Beziehungsfragen im Allgemeinen nachzusinnen. Der Rabbi will die Katze im Beten unterrichten, die daraufhin eine kleine atheistische Selbsterkundung zur Sache unternimmt. Eine Maus im französischen Hotel zeigt der Katze die heimlichen Affären der Chefin; die Katze verrät ihr geheimes Wissen und löst damit eine Tragödie aus. Zugehörigkeit ist ein Thema, das in dieser Episode in vielen Variationen durchgespielt wird.
Mit Band 7 erreicht die Geschichte ihren dramatischen Höhepunkt. In der Kasbah bahnt sich eine »Flüchtlingskrise« an, deren Vorboten zwei junge Kätzchen aus der Moschee sind, die im Haus des Rabbis auftauchen und von der Katze als Bedrohung empfunden werden: »Ich glaube, die Verzweiflung über das, was ich gerade durchmache, können nur Extremisten verstehen.« Die Kätzchen mussten fliehen, weil die Moschee unter Wasser steht. Als der Rabbi deshalb mit Sheik Mohammed ein gemeinsames Gebet in der Synagoge vereinbart, kommt es zum Aufstand der Radikalen auf beiden Seiten. Der Rabbiner des Rabbiners und ein reaktivierter Imam schwingen sich zu Rädelsführern auf, die in ihrem gemeinsamen Kampf gegen die Brüderlichkeit zu allerbesten Freunden werden: »Schade, dass wir nicht zur gleichen Religion gehören.« Ihr Dialog im Café gerät zu einer Satire auf die Engstirnigkeit religiöser Intoleranz. Plötzlich aber hat auch die Synagoge einen Wasserschaden zu vermelden, woraufhin der Rabbi, der Sheik und Malka das gemeinsame Gebet in die Kirche verlegen wollen. Den ausbrechenden Tumult kann nur noch die Polizei auseinander knüppeln. Die Katze wird aufgrund ihrer freisinnigen Reden zum Sündenbock erklärt und beinahe gelyncht. Der Rabbi denkt angesichts der Überschwemmungen an die Sintflutgeschichte und stellt sich die Theodizeefrage. »Der Wasserspiegel muss gesenkt werden«, sagt die Katze. »Der Hasspegel.« Malka versucht, die Verständigung der Religionen auf seine Weise zu erreichen. Nach einem gemeinsamen Sedermahl und einer zwischenzeitlichen Entführung von Zlabyas Baby (der künftigen Generation) beginnt er nach einem magischen Artefakt zu suchen, das die Welt zu retten vermag ... Spätestens hier wird klar: Die Sache ist aussichtslos.
Band 8 kehrt von der politischen Bühne in den häuslichen Alltag zurück. Eine Katholikin will zum Judentum konvertieren, um ihren jüdischen Freund zu heiraten – was der junge Rabbi verweigert. Zlabya erteilt ihr indessen Religionsunterricht: »Das Zentrum des jüdischen Lebens ist nicht die Synagoge, sondern der Esstisch.« Die Katze mischt sich ein: »Das einfachste wäre, den Liebhaber zu wechseln.« Dafür sorgt dann das Leben in Gestalt einer der Freundinnen Zlabyas und eine jüdischen Mame, von der sich der Sohn einfach nicht lösen kann. Alle Beziehungen enden im Chaos. Die Katze: »Ich sag euch mal was. Ja, euch allen, ihr Menschen. Ihr seid selbst schuld an dem, was euch passiert.«
Band 9 ist einer Reihe von Rückblenden vorbehalten. Die überraschendste handelt von Zlabyas Ausbruch aus ihrer engen Welt. Nach einem Streit mit dem Rabbi schneidet sie sich das Haar, zieht Männerkleidung an und versucht sich im Kabarett mit Hilfe der sprechenden Katze als Kleinkünstlerin. Der Rabbi gerät in eine Glaubenskrise. Zlabays Freundin teilt für kurze Zeit das Abenteuer, kehrt jedoch wieder in den Schoß der Familie zurück. Die Katze weiß: »Wenn man erst anfängt Meinungen zu haben, dann kracht es bald in allen Fugen.«
Band 10 schlägt ein bitteres Thema an. Bei der Neujahrszeremonie am Meer wird die kleine Gemeinde von den schaulustigen Müßiggängern als »Drecksjuden« beschimpft: »Geht zurück nach Hause!« Nach einer wilden Rauferei beschließt Zlabyas Mann, nach Israel auszuwandern: »Ich will nicht, dass unsere Kinder mit diesem Schwachsinn aufwachsen.« Doch niemand pflichtet ihm bei. Zu Hause kommen drei Geschichten zu Gehör, die von Israel abraten. Der Rabbiner des Rabbiners wird als Kind von einer christlichen Matrone aus England auf der Suche nach religiöser Ursprünglichkeit ins heilige Land verschleppt und dort, nachdem sie ihrer Ideen und seiner Gesellschaft überdrüssig ist, im Stich gelassen. Zlabya erzählt, wie sie in der Zeit ihrer Emanzipation mit knapper Not einer Vergewaltigung entgeht, mit einem Zionisten nach Galiläa flieht, in einem Kibbuz landet, sich in dessen genossenschaftlicher Struktur jedoch nicht beheimaten kann. Die kürzeste Geschichte erzählt der Rabbi: er soll ein verstorbenes Gemeindeglied in Israel zur letzten Ruhe betten, wird aber von den Behörden nicht ins Land gelassen und bestattet den Toten deshalb in Ägypten; mit einer kleinen Notlüge im Gepäck kehrt er zurück und hat fortan genug vom gelobten Land. Schließlich fliegt die Familie doch, da ist es schon 1973. Aber sie fühlt sich fremd. Am Ende ist es die Klimaanlage, die nervt. Nach der gescheiterten »Heimkehr« finden sich alle samt Katze in Nizza wieder – nicht mehr Algier, aber auch nicht wieder Paris: »Am Neujahrstag spülten wir unsere Sünden an einem anderen Ufer ins Meer.« Aus der jugendfrischen Zlabya ist inzwischen eine gesetzte Dame geworden. Auch die (ansonsten alterslose) Katze hat ein bisschen nachgelassen. Die Geschichte scheint auserzählt zu sein. Doch siehe da: Auf der letzten Seite findet sich noch einmal der stereotype Satz »Die Katze kehrt wieder ...« – versehen mit der Verheißung »... in ›Die Bibel für Katzen‹«. Aha! Na, zum Glück! Auf französisch ist dieser Band 11, in dem die Katze glaubt, der kommende Elia zu sein, auch schon erschienen (2021). Nur das deutsche Publikum wird sich noch ein bisschen gedulden müssen.
»Le Chat du Rabbin« ist von der Kritik in den höchsten Tönen gelobt worden; das Feuilleton hat die Geschichte mit einfühlsamen Kommentaren begleitet; zu den Bänden 1–5 steuerten Schriftsteller und Musiker kleine Vorworte im Stile von Liebeserklärungen bei. Ein animierter Film zu den Bänden 1/2/5 (https://www.youtube.com/watch?v=70tTBr0hEZA) erschien 2011. Auf der Szene war Joann Sfar, der zunächst in Nizza Philosophie studiert hatte, schon lange ein Begriff, bevor er sich mit der »Katze« auf das Feld jüdischer Geschichte wagte. Diese Graphic Novel ist, wie er in einem Interview von 2019 bekannte, von seinen über 160 Büchern nicht nur das erfolgreichste, sondern auch sein wichtigstes. Biographisch im sephardischen und aschkenasischen Judentum gleichermaßen verwurzelt, betrachtet sich Sfar selbst als nicht-religiös. In der »Katze« geht es nach eigener Auskunft »vor allem um Dinge, die ich mir nicht zu sagen traute, als ich Kind war«. Der struppige, liebenswerte Vierbeiner spricht aus, was auch seinem Schöpfer am Herzen liegt: dass die Wahrheit nie exklusiv zu haben ist, dass man sich seiner selbst nie zu sicher sein sollte, dass auch kontroverse Meinungen miteinander im Gespräch bleiben müssen. Das machen Abraham und Mohammed Sfar beispielhaft vor. So wird dieser Comic-Strip zu einer bemerkenswerten Ausnahmeerscheinung seines Genres.
Für Kinder ist diese Geschichte nichts. Sie setzt vieles an Wissen voraus. Wer die Anspielungen erkennt oder zumindest erahnt, findet gerade an den Details ein besonderes Vergnügen. Es sind schwergewichtige theologische Themen, die hier mit leichter Hand aufgeblättert werden: die Macht des Wortes, das göttlichen Ursprungs ist; die Beziehung von Mensch und Tier oder Mensch und Schöpfung; die Emanzipation der Menschheit, die der Kinder von ihren (frommen wie liberalen) Eltern sowie die Emanzipation der Frau; der Sinn der Kaschrut; die Hürden religionsverschiedener Ehen und die Irrungen der Liebe; Träume und Albträume; die Frage nach der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes; die Kritik an Kolonialismus, Rassismus, Antisemitismus und konservativer Borniertheit; und vieles mehr. Man kann alle diese Themen analysieren und auf ihre »message« hin befragen, wie das z.B. die Studie von Thomas Hausmanninger, Religion als Kultur. Das Judentum und die jüdische Identität bei Joann Sfar, Berlin 2021, tut – und kann darin »nicht-diskursives Denken« oder die Methode des »Pilpul« erkennen. Man kann sich aber auch ganz einfach der Erzählkunst Joann Sfars überlassen und mit seiner Katze darüber nachsinnen, was Zugehörigkeit, Wahrheit oder Toleranz bedeuten. »Da hast du nebenbei gleich noch etwas über die Geschichte gelernt«, sagt der Rabbi zu seinem Schwiegersohn. Sein Augenzwinkern gegenüber dem Lesepublikum lässt sich gar nicht übersehen ...

Christfried Böttrich (Greifswald)

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