Buch des Monats: Juli/August 2014

Gerhard Ebeling

Luther. Einführung in sein Denken

Mohr Siebeck: Tübingen 2006. IX, 347 S. Kart. EUR 24,00. ISBN 978-3-16-148934-1

Vor genau fünfzig Jahren, im Juli 1964, schrieb Gerhard Ebeling das Vorwort zu seinem Buch „Luther. Eine Einführung in sein Denken“. Pünktlich zu Beginn des Wintersemesters war das Buch dann im Buchhandel erhältlich und wurde rasch mit großer Begeisterung und Bewunderung aufgenommen, nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb der theologischen Fachwelt. Bis heute hat das Buch fünf Auflagen erlebt, wobei die vierte, durchgesehene Auflage 1981 gleich zweimal nachgedruckt wurde. 2006 erschien die fünfte Auflage mit einem Nachwort von Albrecht Beutel, das die breite internationale Rezeption anregend dokumentiert, vor dem Hintergrund der Lutherrenaissance das Neue des Ebelingschen Zugangs herausstellt und auch die kritische Auseinandersetzung mit Ebelings Darstellung bündig skizziert.
Ebelings Einführung in Luthers Denken basiert auf Vorlesungen für Hörer aller Fakultäten, die er im Wintersemester 1962/63 in Zürich gehalten hat und die er dann auch seinen Public Lectures an der Drew University in Madison NJ 1963 zugrunde legte. Im Hintergrund stehen einerseits die umfangreichen Forschungen zu Luther, die Ebeling in seinen Qualifikationsschriften und in seiner Zeit als Tübinger Professor für Kirchengeschichte unternommen hatte. Andererseits bildet aber auch Ebelings Disziplinenwechsel in die Systematische Theologie 1954 eine wichtige Voraussetzung für den systematischen Charakter dieser Vorlesungen. Ebeling verfolgt in der systematischen Konzeption der Vorlesungen ein hermeneutisches Anliegen. Er möchte seine Leser in die Bewegung von Luthers Denken hineinnehmen, „die wir selbst mitzuvollziehen haben, wenn wir seine Gedanken nicht bloß feststellen, sondern verstehen, sein Wort nicht bloß nachreden, sondern verantworten wollen“ (16). Entsprechend geht es Ebeling schon in den vier einführenden Vorlesungen mit den Überschriften „Luther als Sprachereignis“, „Luthers Person“, „Luthers Wort“ und „Luthers Tat“ nicht einfach um biographische Informationen, sondern um die konkrete Erschließung der für das Verstehen des Sprachereignisses konstitutiven Komponenten.
Dieses Sprachereignis wiederum lebt von und in den grundlegenden Polaritäten, an denen Luther sich theologische abarbeitet. Die Überschriften der Vorlesungen nennen sie: „Philosophie und Theologie“, „Buchstabe und Geist“, „Gesetz und Evangelium“, „Der zweifache Gebrauch des Gesetzes“, „Person und Werk“, „Glaube und Liebe“, „Reich Christi und Reich der Welt“, „Christperson und Weltperson“, „Freiheit und Unfreiheit“, „Verborgener und offenbarer Gott“. Wohldurchdacht bahnt Ebeling im Medium dieser Polaritäten den Weg von epistemologischen und hermeneutischen Fragen zum Menschen vor Gott und in der Welt bis hin zu der Frage nach dem wahren Grund menschlicher Freiheit. Ebeling legt damit nicht nur den in der polaren Dynamik selbst liegenden denkerischen Impuls frei, der von Luther ausging und sich in der neuzeitlichen Theologie- und Christentumsgeschichte niederschlug. Er erschließt Luthers Theologie und insbesondere sein Gottesverständnis zugleich in einer Weise, die an Aktualität bis heute nichts eingebüßt hat. Dafür sei auf folgende Passage verwiesen: „Für Luthers Reden von Gott [...] ist es [...] wesentlich, Gott nicht als etwas zu verstehen, was sich an einem abgelegenen Ort, abseits und jenseits der Welt befindet und mit der Welt in deren alltäglicher Erfahrung nichts zu tun hat. Im Gegenteil: Um der Glaubhaftigkeit des Wortes willen müssen Gott und Welt zusammengedacht werden, daß zuweilen der Verdacht pantheistischer oder gar atheistischer Redeweise entstehen könnte. In überraschender Freiheit hat Luther das theologische Argumentieren mit naiven theistischen Vorstellungen als Rationalismus in frommem Gewand rücksichtsloser Kritik unterzogen“ (303 f.). Mit seinem Verständnis vom „Dabeisein Gottes bei der Welt“ (305) lasse er „die landläufige Alternative von Transzendenz oder Immanenz als völlig verfehlte Fragestellung hinter sich“ (305). So kann es also lohnen, Luthers Theologie gerade auch in den aktuellen Auseinandersetzungen zwischen Atheismus oder Naturalismus auf der einen und Fundamentalismus und Theismus auf der anderen Seite zu bedenken. Vor allem aber macht Ebeling mit seinem Buch auf undogmatische Weise klar, dass sich die Bedeutung Martin Luthers nur im denkerischen Nachvollzug seiner theologischen Sprachfähigkeit erschließt. Darum dürfte es nicht zuletzt in den gegenwärtigen Reformationsdebatten wichtig und bereichernd sein, dieses Buch (wieder) zur Hand zu nehmen.

Friederike Nüssel (Heidelberg)

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