Buch des Monats: Oktober 2023
Janowski, Bernd
Biblischer Schöpfungsglaube. Religionsgeschichte – Theologie – Ethik.
Tübingen: Mohr Siebeck 2023. XVIII, 775 S. Lw. EUR 124,00. ISBN 9783161593260.
»Schöpfung« gehört zu den klassischen Themen der alttestamentlichen Wissenschaft. Nach anfänglichen Aufbrüchen in der »Religionsgeschichtlichen Schule« um die Wende vom 19. zum 20. Jh. wurde diesem zwar bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts nur wenig Bedeutung geschenkt – man denke hier nur an das Verdikt Gerhard von Rads [1901–1971], wonach »innerhalb des genuinen Jahweglaubens der Schöpfungsglaube zu keiner Selbstständigkeit und Aktualität kam«, sondern dieser vielmehr »durchweg in Bezogenheit, ja Abhängigkeit von dem soteriologischen Glaubenskreis« gestanden habe (Gerhard von Rad, Das theologische Problem des alttestamentlichen Schöpfungsglaubens (1936), in: Ders., Gesammelte Studien zum Alten Testament Bd. 1 (TB 8), München 41971, 136–147, hier: 146f.). Eine Kontextualisierung dieser Aussage würde den Rahmen dieser Besprechung sprengen, von entscheidender Bedeutung ist vielmehr, das sich bereits in den 60er-Jahren des 20. Jh. eine veränderte Einschätzung des theologischen Gehalts der biblischen Schöpfungstexte abzeichnet (so z.B. mit Arbeiten von Claus Westermann [1909–2000]). Spätestens zu Beginn der 70er-Jahre gewann das Thema dann zunehmende gesellschaftliche und exegetische Relevanz. Als Reaktion auf die erschreckenden Thesen des »Club of Rome« (1972) mit der Aussage von den »Grenzen des Wachstums« wurde einerseits die These vertreten, dass die jüdisch-christliche Tradition selbst eine wesentliche Schuld an der sich immer deutlicher abzeichnenden Ökokrise mit der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen habe. Der biblische Monotheismus, der die klare Trennung von Gott und Welt formuliert, habe die Welt entzaubert und damit der Nutzung und Ausnutzung freigegeben. Ja, mehr noch: Mit der Aussage, dass der Mensch sich die Erde untertan machen und über die Tiere herrschen solle, würde er geradezu zu einer solchen Ausbeutung aufrufen. Im Gegenzug zu solchen pauschalen Urteilen, die die traditionsgeschichtlichen und semantischen Bezüge der biblischen Texte und ihrer Übersetzungen grundlegend verkennen, verstärkte sich in der alttestamentlichen Exegese auch das ernsthafte Bemühen, die historischen Sinndimensionen der biblischen Schöpfungstexte frei zu legen – man denke hier nur an Arbeiten von Odil Hannes Steck [1935–2001], Othmar Keel und Sylvia Schroer.
In diesen großen Zusammenhang fügt sich auch das vorliegende Werk des Tübinger Alttestamentlers Bernd Janowski, das im April dieses Jahres pünktlich zu dessen 80. Geburtstag erschien. In der für seine Forschungsarbeiten typischen Art und Weise präsentiert der Verf. die einschlägigen biblischen und altorientalischen Quellen häufig in Zitatform und mit den entsprechenden Gliederungshilfen versehen. Dazu gesellen sich zahlreiche Tabellen und Skizzen sowie Beispiele aus dem einschlägigen altorientalischen Bildmaterial. Zudem bietet er – ebenso typisch für seine Arbeitsweise – einen hervorragenden Einblick in die Forschungsliteratur, der weit über die exegetischen Titel hinausgeht und u.a. auch Arbeiten aus der Systematischen und Praktischen Theologie, der Altorientalistik, Ägyptologie und der Klassischen Altertumswissenschaften sowie der Kulturwissenschaften, Philosophie und Soziologie aufnimmt. Allein schon die Lektüre des Literaturverzeichnisses ist ein Vergnügen!
Das Oeuvre selbst beginnt mit einer Einführung, die zunächst die grundlegenden Koordinaten des Themas dargestellt: Schöpfung ist ein »theologischer Grundbegriff« (man denke an die exponierte Stellung der Schöpfungserzählungen am Anfang der Bibel sowie an die altkirchlichen Glaubensbekenntnisse oder Luthers »Kleinen Katechismus«). Die diesem Konzept inhärenten Vorstellungsdimensionen lassen sich nicht über ein wörtliches Verständnis der Texte erschließen (wie es im Kreationismus versucht wird), sondern nur im Kontext einer »Logik kultureller Gründungserzählungen« und im Kontext der Entwicklung des naturwissenschaftlichen Denkens. Ein Überblick zur Forschungsgeschichte und die biblische Begrifflichkeit sowie die Anlage seines Werkes schließen die Einleitung ab (1–40).
Für die Gliederung des biblischen Materials wählt Bernd Janowski einen thematischen Zugriff, der die reiche biblische Überlieferung – im Anschluss an eine inhaltliche Grundlegung mit der Präsentation der Schöpfungstexte der Urgeschichte (einschließlich der Fluterzählung, 41–127) – in der »Form von Einzelbildern« unter den Aspekten »Schöpfung und Lebenswelt« (§ 4, 129–169), »Schöpfung und Menschenbild« (§ 5, 171–209), »Schöpfung und Tierwelt« (§ 6, 211–247), »Schöpfung und Königtum« (§ 7, 249–289), »Schöpfung und Geschichte« (§ 8, 291–327), »Schöpfung und Tempel« (§ 9, 329–371), »Schöpfung und Chaos« (§ 10, 373–412) sowie »Schöpfung und Weisheit« (§ 11, 413–450) betrachtet. Das übergreifende Raster, das diese Einzelthemen strukturiert, ist der Aspekt der natürlichen Lebenswelt (§§ 4–6), der geschichtlich-sozialen Welt (§§ 7–8) sowie des religiösen Symbolsystems (§§ 9–11). Somit zeigt bereits die Gliederung des Gesamtwerkes, wie stark die Schöpfungsthematik mit anderen zentralen Themen der alttestamentlichen Vorstellungswelt verflochten ist.
Da ein ausführliches Referat dieser Darlegungen den Rahmen des Formats »Buch des Monats« sprengen würde, sei hier exemplarisch auf zwei interessante Aspekte hingewiesen.
– Der Verf. macht – in Aufnahme der Arbeiten des Philosophen und Kulturanthropologen Ernst Cassirer (1874–1945) – deutlich, welch elementare Rolle dem Ordnungsdenken im Kontext von Schöpfungsvorstellungen in der Alten Welt und damit auch im Alten Israel zukommt. Insofern der Raum nicht unabhängig vom menschlichen Erleben konzeptioniert wird, sondern immer als qualifizierte Größe wahrgenommen wird, unterliegt die den Menschen umgebende Welt starken Wertungen. In diesem Kontext spielen sowohl Antagonismen (so der Chaos-Kosmos- oder auch Finsternis-Licht-Gegensatz) als auch regelhafte Abläufe in der Natur und »taxonomische Einteilungen der Tier- und Pflanzenwelt« (133) eine bedeutende Rolle, (siehe die Auflistung 134 sowie »Exkurs 4: Ordnungsdenken«, 137–142) – ein Wissen, an dem sogar die Tiere partizipieren (vgl. Hi 38,36–38, hierzu 141). Diese Ordnung der Welt freilich ist nicht statisch, sondern durch Naturkatastrophen, militärische Auseinandersetzungen und soziales Fehlverhalten bedroht und stellt damit etwas höchst Fragiles dar. Eindrücklich wird dies durch die Flutgeschichte belegt, aber auch Jer 4,23–28 oder Am 5,18–20 können als eindrückliche Beispiele für das Motiv einer »Rücknahme der Schöpfung« verstanden werden (154). Deutlich wird so die Verantwortung des Menschen, aber auch seine Vulnerabilität (zur Kreatürlichkeit s.a. die Zusammenfassung zu § 5 »Schöpfung und Menschenbild«, 205f.).
– Ebenso bedeutsam sind die Ausführungen des Verf.s zum Thema des kosmischen Lobpreises, wie er in der biblischen Überlieferung am prominentesten in Ps 148 zum Ausdruck gebracht wird (so 304–306; eine Übersicht zu den biblischen Beispielen 303f., s.a. die Belege aus Ägypten: »es agieren für dich die Paviane mit ihren Armen« – im Papyrus des Anhaï aus der Nachamarnazeit, sowie Literaturverweise auf babylonische Traditionen – 306f.). Der Autor interpretiert diese Struktur als ein Resonanzphänomen, das die kosmische Antwort der Schöpfung auf die Zuwendung des Schöpfers zum Ausdruck bringt. Dabei wird die Natur »zum Medium für etwas, ›das von sich selbst aus über sich hinausweist auf etwas anderes, das in ihr zur Darstellung kommt‹« (308; in Aufnahme eines Zitats von Hartmut Rosa, Resonanz, Eine Soziologie der Weltbeziehung, Berlin 2016, 179). Und »dieses Andere ist der ›Ordnungszusammenhang der Welt‹, der unserem Bewusstsein vorausliegt« (Rosa, ibid. 181). Mit dieser Position vermittelt Bernd Janowski zwischen der Position, wonach Gott und Welt in den biblischen Schöpfungstexten radikal voneinander geschieden sind (so Konrad Schmid) und der These von einer Numinosität der Schöpfung (so Sylvia Schroer; hierzu 31).
Die Frage nach der geschichtlichen Entwicklung des Vorstellungskomplexes von der vorexilischen bis zur spätnachexilischen Zeit entfaltet Bernd Janowski dann in einem Resümee (451–476). Zu den frühesten Belegen für den alttestamentlichen Schöpfungsglauben gehören die Jerusalemer Psalmen des 8./7. Jh. v. Chr., so Ps 93, 29, 24*, 46–48* mit der Vorstellung von dem auf dem Zion thronenden Königsgott; aber auch Traditionen von der Menschenschöpfung, wie sie in Personennamen sowie in der älteren Spruchweisheit und der nichtpriesterlichen Paradieserzählung belegt sind, können der vorexilischen Zeit zugerechnet werden. Prominente Bedeutung bekommt das Schöpfungsthema freilich erst – wie allgemein bekannt – in der exilisch-nachexilischen Zeit mit den Traditionen aus der Priesterschrift und Deuterojesaja, weiteren Psalmen und der Weisheitsliteratur, die die Weisheit als Schöpfungsmittlerin präsentiert (siehe Spr 8,22–31) (für eine Auflistung der entsprechenden Themenfelder s. 460–462). Zentrale Motive des Vorstellungskomplexes sind die »Erde als Raum des Lebens«, die »Konfrontation mit dem Chaos« sowie die »Gemeinschaft der Lebendigen«.
Die Ausführungen des Autors enden mit einem Ausblick zur »Ethik der Mitgeschöpflichkeit«. Während die bekannte Rede von der »Bewahrung der Schöpfung« keinen biblischen Anhaltspunkt hat (die Aufgabe des Menschen bezieht sich nach der atl. Überlieferung auf den Garten Eden) und es allein Gott, der die Schöpfung ins Leben gerufen hat, ist, der sie auch bewahren kann, stellt sich die Frage, wie sich die Vorstellung von der Erhaltung der Welt mit dem menschlichen Bemühen in ökologischer, gesellschaftlicher und politischer Hinsicht zusammendenken lässt. Vor diesem Hintergrund erscheint die Wendung vom »Bewusstsein der Geschöpflichkeit des Menschen«, die mit dem Bewusstsein der »Ambivalenzen des Lebens« einhergeht, weitaus besser als Ausgangspunkt einer alttestamentlichen Ethik geeignet. Die Aufgabe des Menschen besteht dann darin, nicht nur »die geschöpflichen Grenzen zu achten, sondern auch den anderen Lebewesen das Recht auf Leben« einzuräumen und sich »von ihrem Leiden affizieren« zu lassen. Mensch und Tier sind nach der alttestamentlichen Überlieferung Geschöpfe Gottes und leben miteinander in einer »Schöpfungsgemeinschaft« (so eine Begrifflichkeit von Niklas Peuckmann). Direkte Handlungsanweisungen zur Bewältigung der aktuell anstehenden Aufgaben lassen sich den biblischen Texten nicht entnehmen, da sie sich deutlich von unserer modernen Lebenswelt unterscheiden. Was sie aber bieten können, das ist eine »Grundorientierung für den Umgang mit der Natur und allem Lebendigen« (480). Die Welt wurde aus der Liebe Gottes geschaffen und ist deshalb mehr als nur ein »Verfügungsraum selbstgewählter Zwecke« (480). Ausgangspunkt für einen verantwortlichen Umgang mit der Schöpfung ist das Staunen: »Im Staunen lernen wir die Sensibilität, die Unverfügbarkeit der Natur mit den Augen Gottes und im Vertrauen auf ihn als seine gute Schöpfung wahrzunehmen. So verändert sich unser Selbst- und Weltverhältnis.« Mit Röm 8,18–30 und der Rede vom Seufzen der Kreatur wird aber auch die Sehnsucht der gesamten Schöpfung auf die Befreiung der Schöpfung deutlich.
Das Werk schließt mit mehreren Anhängen. Anhang I widmet sich zentralen Schöpfungstexten des Alten Testaments (485–505). Anhang II versammelt Quellen zur Kosmologie und Schöpfungstheologie der Antike aus Ägypten, Mesopotamien, Kleinasien, Ugarit und Nordsyrien, Iran, Palästina/Israel, Griechenland, Rom, dem Antiken und Rabbinischen Judentum, dem Neuen Testament und dem Antiken Christentum sowie aus dem Koran (507–651). Den einzelnen Traditionen, angeordnet nach den Themenfeldern »Weltanfang und Weltende«, »Schöpfung und Chaos«, »Schöpfung und Lebenswelt«, »Schöpfung und Menschenbild«, »Schöpfung und Tier- und Pflanzenwelt«, »Schöpfung und Königtum«, »Schöpfung und Kult/Tempel« sind kurze Abschnitte zu den Konturen der Lebenswelt vorangestellt, die »grundsätzliche Überlegungen zur natürlichen Lebenswelt Ägyptens, Mesopotamiens, Kleinasiens, Ugarits und Griechenlands und ihrer jeweiligen symbolischen Bedeutung« enthalten (508). Anhang III schließlich stellt Texte zur Tier- und Umweltethik von Montaigne (1533–1592) bis zur Gegenwart zusammen. Der Band schließt mit den üblichen Registern sowie dem bereits oben genannten eindrücklichen Literaturverzeichnis (671–773).
Dass das Werk höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen genügt, braucht hier nicht eigens betont zu werden. Für das Genre »Buch des Monats« empfiehlt es sich vor allem deshalb, weil es dem Autor gelungen ist, fachwissenschaftliche Erkenntnisse so zu präsentieren, dass ihre Relevanz für die aktuelle Lebenswelt deutlich wird. Der Verf. verhilft den biblischen Texten zu ihrem Recht, indem er die ihnen impliziten symbolischen Dimensionen aufschlüsselt, und es wird deutlich, dass es keiner esoterischen Verklärung indianischer und asiatischer Religionen und ihrer Traditionen bedarf, um sich einen religiösen Zugang zur Natur und zur Wertschätzung der Schöpfung zu erschließen. Vielmehr enthalten die alttestamentlichen Traditionen selbst ein solches Potential. Die vielen Textbeispiele zeigen dabei eindrücklich, dass der Reichtum der alttestamentlichen Überlieferung nicht auf das Inhaltliche beschränkt ist, sondern auch auf dessen Sprachgestalt in ihrer poetischen Dimension gründet. So kommen in der Bildersprache der Texte und ihrer Sprachdynamik Dimensionen biblischer Rede zur Geltung, die in ihrer Schönheit immer wieder aufs Neue gehört werden können. Wie die Psalmen, so sind auch die alttestamentlichen Schöpfungstexte »ein Haus zum Wohnen«.
Beate Ego (Bochum)