Buch des Monats: Juni 2011
Fechtner, Kristian
Kirche von Fall zu Fall. Kasualien wahrnehmen und gestalten.
Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. 2., überarb. u. erw. Aufl. 2011. 207 S. 8°. Kart. EUR 16,95 [D]. ISBN 978-3-379-05929-7
2003 hatte der Mainzer Praktische Theologe die erste Auflage des jetzt in völlig überarbeiteter Form erschienenen Buches veröffentlicht. Godwin Lämmermann las sie in seiner ThLZ-Rezension als „eine kleine Programmschrift zur Zukunft der Kirche als Kasualkirche“ (ThLZ 129 [2004], 691). Und tatsächlich ist seit einiger Zeit ein deutliches Interesse Praktischer Theologen in dieser Richtung festzustellen (Christian Albrecht, Lutz Friedrichs, Regina Sommer, Ulrike Wagner-Rau u. a.).
Acht Jahre später und – wie dem Vorwort zu entnehmen ist – nach etlichen Pastoralkollegs zum Thema legt Fechtner den Band in ganz neuer Form auf. Die gelehrten Fußnoten sind getilgt, an einigen Stellen wurde der Text gestrafft. Neues, wie ein eigener Abschnitt zur Goldenen Konfirmation, ist hinzugekommen. Der praktisch-theologische Grundansatz ist geblieben: genaue Wahrnehmung von kirchlicher Praxis in ihrem kulturellen Kontext und oft behutsame, manchmal aber auch entschlossene praktisch-theologische Deutungsangebote. Jetzt ist aus der Programmschrift ein Buch geworden, das für die pastorale Praxis oft fehlt, aber dringend notwendig ist. In früherer Zeit hätte man es eine „pastoralkluge“ Schrift genannt – und Besseres kann praktisch-theologische Theoriearbeit nicht leisten. Unprätentiös, obgleich, wie der Kundige unschwer feststellt, theoretisch fundiert, wird den Pfarrern und Pfarrerinnen ein wichtiges Praxisfeld ihres Berufs erschlossen: die Kasualpraxis. Nach der Lektüre von Fechtners Ausführungen werden ihre große Chancen erkennbar: die einmalige Vermittlung von kirchlicher Tradition und moderner Lebenswelt. Und dabei streut Fechtner geschickt Praxisbeispiele ein, die lange theoretische Ausführungen ersetzen, aber unmittelbar einleuchten. So begegnet einem das Handy der Tochter ebenso wie ein Hollywood-Film usw. Die Gefahren der Kasualpraxis werden pastoraldidaktisch geschickt in positiven, motivierenden Beispielen präsentiert. Für ungeschichtliche und unevangelische Verfallsgeschichten ist kein Spielraum.
Leitend ist dabei ein Verständnis kirchlicher Praxis als das eines Kommunikationsgeschehens. Für die Pfarrer handelt es sich – so ein Beispiel für treffende Formulierungen – um „liturgische Arbeit mit den Beteiligten“ (171). Die Voraussetzung für diese Aufgabe ist genaue, theoriegeleitete Wahrnehmung – und genau dazu leitet das Buch an.
Gewiss kann man auch kritische Anfragen stellen: Theologische Begründungen werden nur manchmal eingestreut. Einige geschichtliche Hinweise sind in der Kürze vielleicht sogar missverständlich. Ob das Konzept Kasualien tatsächlich so konsistent ist, wie behauptet, kann diskutiert werden.
Doch insgesamt liegt hier eben ein „pastoralkluger“ Glücksfall vor: Das Buch gehört auf den Schreibtisch einer jeden Pfarrerin und eines jeden Pfarrers und ist eine gute Grundlage für den Austausch in Pfarrkonferenzen und -konventen.
Christian Grethlein (Münster)