Buch des Monats: November 2020
Paas, Stefan
Pilgrims and Priests. Christian Mission in an Post-Christian Society.
London: SCM Press 2019. 384 S. Kart. £ 25,00. ISBN 9780334058779.
Der niederländische Missionstheologe Stefan Paas ist Professor of Missiology and Intercultural Theology an der Freien Universität Amsterdam. In seinem Buch Pilgrims and Priests (holl. Orig. 2015) will der Vf. eine »missional spirituality« für Kirche in einer nachchristlichen Gesellschaft entwerfen. Säkularisierung bedeute das Schwinden christlich-gesellschaftlicher Plausibilitätsstrukturen. Dies stelle den christlichen Glauben individuell wie gemeinschaftlich vor neue Herausforderungen. Gegenüber älteren Vorstellungen müsse Mission heute mehr als Gabe (gift), denn als Aufgabe (task) verstanden werden, sie sei eher eine Belohnung in sich selbst (reward in itself) und nicht etwa messbar daran, was sie (angeblich) produziere. Säkularisierung sei nicht etwas ›da draußen‹, sondern sie sickere in die Kirche ein, in die Grundlage des Glaubens, sie fresse den Glaubensmut auf, wenn dieser nicht durch die Erfahrung der göttlichen Liebe und Gnade erneuert werde. (xvii)
Zunächst geht der Vf. unter 1 Mission in a Secular Nation (1–21) der Frage nach, was bisher unter »Mission« verstanden wurde. Eine genauere Analyse des Kontextes der Säkularität und der bisherigen missionstheologischen wie missionspraktischen Antwortversuche bietet der Vf. in 2 An Always Elusive Majority (22–43) und 3 From Folk Church to Conquest (44–123). In den Kapiteln 4–7 wird sodann eine konstruktive Missionstheologie entwickelt. Unter 4 Uprooted and Dispersed (124–164) sowie 5 Scattered and Sent (165–186) umreißt der Vf. ein biblisches Narrativ als missionstheologische Basis. Die Kapitel 6 All Together and Each One in Person (187–207) und 7 The Priestly Church (208–231) bieten sodann eine Vision christlich-gemeinschaftlicher Existenz in einer nachchristlichen Gesellschaft an.
In Kapitel 4 Uprooted and Dispersed geht es dem Vf. vor allem darum, Gottes Wirken im Phänomen der Säkularisierung westlicher Kultur nachzuspüren. Es geht hier um das Narrativ des Exils: »From Adam and Eve’s expulsion from Eden to John’s exile on Patmos, the Bible is a book of uprooting and displacement.« (125) Anhand verschiedener alttestamentlicher Schriften geht der Vf. Erfahrungen Israels mit dem Exil nach, die er unter den Begriff »Trauma« fasst. (127–131) Es gehe darum, die Frage, was Gott mit der Krise des westlichen Christentums zu tun habe, tastend zu ergründen, ohne eine generelle Antwort geben zu wollen: »It is rather a spiritual exercise of accepting our helplessness and historical guilt, and entrusting ourselves to God who does not abandon his people even if he leads it into exile.« (134) Hier sei das gesamtbiblische Zeugnis in Anspruch zu nehmen, was eine Vielfalt von Erklärungsmustern (etwa eigene Sünde, Geheimnis, Überraschung, Sünden der Vorfahren) enthält.
Aus seinen exegetischen Beobachtungen zieht der Vf. missionstheologische Schlussfolgerungen, die er unter die Begriffe »Confusion«, »Power«, »Identity« und »Spirituality« fasst. (149–160) So stellt der Vf. etwa unter dem Aspekt von power deutlich den Unterschied einer auf die Exilstradition rekurrierenden Missionstheologie gegenüber anderen Modellen heraus: Exulanten haben praktisch keine Macht, die Gesellschaft zu beeinflussen, sie müssen froh sein, wenn sie nicht ausgewiesen, ausgerottet oder assimiliert werden, ihnen wird in der Regel mit Desinteresse begegnet.
Unter 5 Scattered and Sent (165 ff.) entwickelt der Vf. anhand von 1. Petr. ein Verständnis von christlicher Gemeinde einerseits als Fremden in der Welt, andererseits als Priestertum, wobei dem Vf. das gemeinschaftliche Elemente von großer Wichtigkeit ist. Nach 1. Petr. sind die Leser zwar Teil der sie umgebenden Kultur, zugleich aber auch – in Christus – Fremde. (171) Als Gemeinschaft sind sie eine Priesterschaft, was den Vf. zu der Aussage führt: »Before anything else mission is doxological; it is aimed at paying gratitude to God and glorifying him. This is how priests fulfill their task.« (179) Priester stehen für die Menschen vor Gott und vor Gott für die Menschen. (181) Die Verankerung in diesem Narrativ ist elementar, da eine moralisierende Begründung christlicher Existenz nicht trägt.
Dieser priesterliche Ansatz wird im Kapitel 6 All Together and Each One Person (187 ff.) in Orientierung vor allem an 1. Petr. entfaltet. Sowohl moralisierendes wie individualisierendes Missverstehen christlicher Existenz unterminiert deren Basis, weshalb es für den Vf. unabdingbar ist, neu über den Begriff des Heils (salvation) nachzudenken. Mit Rekurs auf biblische Traditionen stellt der Vf. heraus: »Humans are fundamentally relational beings, to such an extent that even the people with whom a Christian is intimately connected `benefit´ from the bond the Christian has with Christ. God does not pour his salvation in isolated tubes, but in networks and relationships, abundantly […]. And this means that God loves our relationships.« (215)
Während missionstheologische Reflexionen im deutschsprachigen Bereich in eine spät-volkskirchliche Situation hineinsprechen, so bezieht sich die Missionstheologie des Vf.s für niederländische Kontexte, in denen christliche Kirchen in vielen Regionen eine mittlerweile marginale Rolle spielen, auf eine nachchristliche Gesellschaft. Es handelt sich um ein Werk, das ebenso erfahrungsgesättigt wie kritisch ist, wissenschaftlich fundiert, biblisch orientiert, kontextsensibel und innovativ ist in dem Sinne, dass es heilsam an die geistlichen Grundlagen erinnert, die im biblisch-neutestamentlichen Zeugnis gegeben und immer wieder neu zu entdecken sind. Es ist zu erwarten, dass dieses Werk die missionstheologischen Diskussionen der kommenden Jahre befruchten wird, und zwar in europäischen Ländern ebenso wie darüber hinaus.
Henning Wrogemann (Wuppertal)