Buch des Monats: April 2012

Meyer-Blanck, Michael

Gottesdienstlehre.

Tübingen: Mohr Siebeck 2011. XVII, 564 S. = Neue Theologische Grundrisse. 15,5 x 23,2. Lw. EUR 79.00. ISBN 978-3-16-151663-4: Kart. EUR 39,00. ISBN 978-3-16-149171-9.

Die Theorie des evangelischen Gottesdienstes leidet bis heute darunter, dass sich Homiletik und Liturgik lange Zeit getrennt voneinander entwickelten. Im Zuge der Wort-Gottes-Theologie erschien die am Verkündigungsparadigma und der Dogmatik orientierte Homiletik als die (praktisch-)theologische Königsdisziplin. Die Liturgik wurde dagegen eher in einer Nische als vorrangig nur historische Forschung betrieben. Der empirical turn sowie die veränderten Lebensverhältnisse und die daraus resultierenden Herausforderungen für die Gestaltung des Gottesdienstes näherten zwar beide Disziplinen in ihren Methoden und Fragestellungen an. Jetzt wird aber erstmals durch Meyer-Blancks Lehrbuch eine Gottesdienstlehre präsentiert, die die Einsichten beider Disziplinen aufnimmt und in einen Gesamtentwurf fügt. Dadurch gelingt es endlich, überzeugend ein ökumenisch profiliertes »evangelisches« Gottesdienstverständnis zu entwerfen, insofern der besonderen Bedeutung der Predigt auch liturgisch Rechnung getragen wird. Konkret wird der Gottesdienst als „Darstellung und Mitteilung des Evangeliums in ritueller Gestalt“ (40) präsentiert. Die Predigt erscheint von hieraus als genus liturgicum (bzw. genus performativum) (470).
Auch methodisch geht Meyer-Blanck vorbildlich vor. Der evangelische Gottesdienst wird in sechs Zugängen erschlossen, die sich gegenseitig ergänzen: in systematischer, in historischer, in empirischer, in vergleichender, in ästhetischer und in handlungsorientierter Perspektive. Dadurch gelingt es, die recht unterschiedlichen Beiträge der homiletischen und liturgischen Forschung zum einen in ihrer Besonderheit zu würdigen, aber auch in ihrem Zusammenhang und damit ihrer Bedeutung für ein evangelisches Gottesdienstverständnis zu erfassen.
Inhaltlich entscheidet sich Meyer-Blanck für die Konzentration auf den Sonntagsgottesdienst als den „Normalfall“ von Gottesdienst (z. B. 58). Dies wird vor allem damit begründet, dass der Sonntagsgottesdienst das »´Gesellenstück´ für das pastorale Handeln« (ebd.) sei. Deutlich markiert wird die nicht verfolgte Alternative hierzu, bei der die Kasualien in den Mittelpunkt des Interesses rückten. Durch diese Position kann Meyer-Blanck die bisherige, am Sonntagsgottesdienst orientierte liturgische und homiletische Arbeit gut aufnehmen. Ob dies in gleichem Maß für die Veränderungen in der Lebenswelt und bei der liturgischen Partizipation gilt, kann gefragt werden.
Neben der stets zuverlässigen und übersichtlichen Präsentation der einschlägigen Diskurse ragen die klaren Ausführungen zum differenten Verständnis der Predigt in der katholischen und der evangelischen Tradition (304) heraus. Eine Besonderheit ist auch, dass wichtige liturgiewissenschaftliche Beiträge in italienischer Sprache aufgenommen werden (z. B. 295-297).
Insgesamt liegt mit diesem Band ein Werk vor, das die nächsten Jahre grundlegend für den akademischen Unterricht sein wird. Es ist zu hoffen, dass auch Kollegen und Kolleginnen anderer theologischer Disziplinen zu ihm greifen, wenn sie sich zum praktisch-theologischen Forschungsstand bezüglich des Themas Gottesdienst kundig machen wollen.

Christian Grethlein (Münster)

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