Book of the month: July/August 2024

Gertz, Jan Christian

Studien zum Buch Genesis.

Tübingen: Mohr Siebeck 2023. XII, 397 S. = Forschungen zum Alten Testament, 175. Lw. EUR 154,00. ISBN 9783161623806.

Order this book

Jan Christian Gertz, Professor für Altes Testament in Heidelberg, hat 2018 (2021) einen Kommentar über die Urgeschichte Gen 1–11 vorgelegt (ATD 1, Vandenhoeck & Ruprecht, 2020 »Buch des Monats« der ThLZ). Die »Studien zum Buch Genesis« von Gertz stellen einen Begleitband dazu dar. Sie bieten aber auch Perspektiven, die über Gen 1–11 hinausreichen.

Entsprechend legt Gertz die Gliederung seiner ausgewählten Beiträge an, die über ca. 20 Jahre publiziert wurden (es finden sich auch drei bisher unveröffentlichte Texte: Nr. 2, 13, 16). Nach dem lesenswerten Vorwort, in dem der Zusammenhang der Aufsätze und ihr Fokus vorab verdeutlicht werden, behandeln die Beiträge Nr. 1–2 in forschungsgeschichtlicher Hinsicht Grundfragen der Pentateuchkritik. Es schließen sich als Herzstück des Buches acht Aufsätze an (Nr. 3–14), in denen die leitenden Einsichten für die Kommentierung von Gen 1–11 entwickelt bzw. vertieft werden. Den Anfang macht ein Überblick über »Die Entstehung der biblischen Urgeschichte« (Nr. 3, 2012, bisher nur engl.). In ihm untermauert Gertz am Beispiel von drei entscheidenden Problemen – dem Übergang zwischen priesterlicher und nicht-priesterlicher Textschicht in Gen 2,4a [redaktionell], den Genealogien Adams in Gen 4–5 sowie den Sintflutversionen in Gen 6–9 – sein Zweiquellen-Modell für die Urgeschichte. Er datiert die nicht-priesterliche Erzählung Gen 2,4b–8,22 (Ende mit der Garantie des Weltbestands nach der Flut) noch in staatliche Zeit (7. Jh. v.Chr.). Sie ist ein Teil jenes Materials, mit dem eine nachpriesterliche Bearbeitung die »P«-Urgeschichte (Gen 1–2,3.5.6–9*) mit »Nicht-P« verbunden hat. Wichtig ist dabei der Hinweis, »[d]ass die Autoren der priesterlichen Texte zumindest dem Hörensagen nach die älteren non-P-Texte gekannt und mit im Blick gehabt haben« könnten (63). Neben den Fragen von Quellen und Redaktion liegt der Fokus bei Gertz immer auch auf Traditionsbezügen und -umformungen, die er konsequent als relative Anhaltspunkte für die Datierung nutzt. Hierzu ist zunächst auf den wichtigen Aufsatz zur Frage der sog. »antibabylonischen Polemik« in Gen 1 hinzuweisen (Nr. 4). An diesem Text wird exemplarisch die Arbeitsweise deutlich, literarhistorische Urteile nicht allein auf präzise Textbeobachtungen zu stützen (immer mit Hinweis auf deren Mehrdeutigkeit im Rahmen der Hypothesenbildung), sondern auch auf die Kritik von Vorurteilen der bisherigen Forschung. Im Fall der »Leuchten« des Himmels in Gen 1,14–27, an denen man oft die polemische Stoßrichtung von Gen 1 festmachen wollte, zeigt er klar, dass es dafür keinen Anhalt im Text gibt. Vielmehr leitet sich die eigenartige Perspektivierung des Prosatextes von Gen 1 »zwischen« Mythos und Rationalität aus der Teilhabe der priesterlichen Kosmologen (meine Worte) am damaligen internationalen Wissenstransfer ab (mit Hinweis auf Forschungen zur orientalisch-griechischen Kontaktkultur, etwa bei W. Burkert und M. L. West) (77–83). Der Beitrag steht beispielhaft für eine Exegese, die mit mehreren methodischen Zugängen arbeitet und am Ende kumulative Evidenzen notiert. Dasselbe gilt für die Beiträge 9–11, in der die nicht-priesterliche Sintfluterzählung als Transformation babylonischer Fluttraditionen wahrscheinlich gemacht wird (am ehesten wieder im/ab dem 7. Jh. v.Chr.). Auch hier ist das Verhältnis zu den mesopotamischen Vorlagen nicht konfliktuell, sondern nach innen gerichtet: Die ältere Sintfluterzählung arbeitet sich an Ambivalenzen im Menschenbild ab, deren theologische Folgen im Blick auf Erweiterungen des Gottesbildes zum wesentlichen Thema geworden sind (Motiv der »Reue« Gottes). Aus verschiedenen Blickwinkeln verweisen die Studien hierzu auf eine »schon fortentwickelte Unheilsprophetie« (210–214) und deren »anthropologischen Pessimismus« (227). Auch wenn Gertz einräumt, dass in der deutschsprachigen Forschung nach wie vor kein Konsens in der Frage einer schuldgeschichtlichen Prophetentheologie vor dem Exil besteht, stellt er gute zusätzliche Argumente für diese Annahme bereit. Sie gewinnt in der Prophetenforschung derzeit ohnehin zunehmend wieder an Gewicht. Daraus folgt auch für den Sintflutprolog und -epilog der »Nicht-P«-Schicht, die zuletzt häufig als nachpriesterlich galten, eine möglicherweise doch vorexilische Datierung (Beitrag 11, 2019, v.a. mit Blick auf die These einer Abhängigkeit von Jer 18,7–12, die sich nach Gertz nicht nahelegt; vielmehr schöpfen beide Texte aus gemeinsamen Voraussetzungen, eben der älteren Unheilsprophetie).

Die »Studien zum Buch Genesis« bleiben wie gesagt nicht dabei stehen, ein unentberliches »companion volume« zum ATD-Kommentar zu sein. Vier Beiträge (Nr. 14–17) widmen sich auch dem Blick über Gen 1–11 hinaus. Sie nehmen u.a. aufgrund der in der Urgeschichte gewonnenen Einsichten Themen der Erzelternerzählungen und des Übergangs der Bücher Genesis und Exodus in den Blick. Anhand der Frage von Stellung und Alter des Turmbaunarrativs Gen 11 und dessen beidseitigen Bezügen (zur Ur- und Erzelterngeschichte) bestätigt sich nochmals die einst von Frank Crüsemann betonte »Eigenständigkeit« der nicht-priesterlichen Urgeschichte. Nach deren klarem Abschluss mit Gen 8,22 (der sich schon aufgrund der babylonischen Bezugstexte nahelegt) sprechen eine Reihe von Indizien (276–278) für Gen 11,1–9 als einen nachpriesterlichen Überleitungstext zu einer »genuin auf Israel bezogene[n] Fortsetzung« (278). Es folgt ein Beitrag zur zweistufigen Entstehung von Gen 15 (Nr. 15, 2002), bei dem man am ehesten noch einen aktuellen Hinweis zur Debatte über diesen heute oft perserzeitlich situierten Text vermisst. Im bisher unveröffentlichten Text »Wie Jakob zu seinem Großvater gekommen ist« (Nr. 16) werden Beobachtungen zur nicht-priesterlichen Erzelternerzählung mitgeteilt, die u.a. dem doppelten Haftpunkt der Isaak-Gestalt in den Jakob- und Abrahamerzählungen, in Israel wie in Juda, gewidmet sind. Überlieferungs- und literargeschichtliche Aspekte führen zu dem Ergebnis, dass die nicht-priesterlichen älteren Jakoberzählungen von Anfang an vollständig (Esau und Laban) existierten. Für die nach Gertz bereits in ihrer Grundform an diese Jakobgeschichten andockende Abraham-Lot-Erzählung sieht er den ursprünglichen Anfang – entgegen aktuell häufiger Spätdatierung – in Gen 12,1–8*. Dies wird sicher eingehender diskutiert werden müssen. Den Band beschließt ein Beitrag zu den Übergängen zwischen den Büchern Genesis und Exodus, in dem u.a. mit Konrad Schmid und Erhard Blum bestätigt wird, dass die Priesterschrift den Genesis-Stoff und die Mose-Exoduserzählung erstmals verbunden hätte. Gertz räumt aber hierzu – in Abwägung des Für und Wider – ein, dass diese Annahme doch »mit einiger Unsicherheit belastet ist.« (349).

Die Genesis-Studien von Jan Christian Gertz sind nicht nur als Begleitband zu seinem Urgeschichtskommentar in ATD wertvoll, sondern stehen stellvertretend für eine im besten Sinn sachbezogene historisch-kritische Arbeit unter Einbezug der Religions- und Traditionskritik. Sie sind sich der Komplexität der durch die Befunde bleibend aufgegebenen Probleme und der notwendigen Evaluierung von Vorurteilen der Forschung sehr bewusst. Das Buch ergänzt von daher nicht zuletzt die Lehrbücher vom Typ »Einleitung«, indem es bestes Anschauungsmaterial bietet, wie unter dem »Gebot wissenschaftlicher Redlichkeit« (349) Erkenntnisse gewonnen werden und zugleich relativiert werden müssen.

Friedhelm Hartenstein (München)

More books