Buch des Monats: Februar 2020
Joachim Gauck in Zusammenarb. m. H. Hirsch
Toleranz: einfach schwer
Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2019. 224 S. Geb. EUR 22,00. ISBN 978-3-451-38324-3
Bücher von Politikern zeichnen sich oftmals dadurch aus, politischen Zielen verpflichtet zu sein und diesen Zielen in Sprache und Inhalt durchgängig zu folgen. Dies ist bei dem aktuellen Werk des Alt-Bundespräsidenten Joachim Gauck erfreulich anders. Gemeinsam mit seiner Co-Autorin Helga Hirsch beschäftigt er sich mit dem Begriff der »Toleranz«, der seine Amtszeit und ihr Kernthema »Freiheit« wie ein Zwilling begleitet hat. Auch er verfolgt dabei ein politisches Ziel, nämlich die Entwicklung einer tragfähigen Antwort darauf, wie mit den wachsenden Extremismen und Polarisierungen in der deutschen Gesellschaft umzugehen sei.
In einer historisch-philosophischen Annäherung an den von Luther in der deutschen Sprache etablierten Toleranzbegriff vollzieht der Politiker Gauck auf kaum 20 Seiten einen Parforceritt durch die Begriffsgeschichte (29–50), der das Element des »Duldenden« und die Kirchengeschichte in der Begriffsgeschichte betont. Danach entwickelt er dann in zwölf Aspekten sein eigenes Toleranzverständnis. Bemerkenswert scheint dabei die Zuversicht, Toleranz ließe sich lernen, wobei der Bundespräsident der deutschen Gesellschaft einen »kollektiven Nachholbedarf« (87–93) attestiert. Gleichzeitig versucht er zu ergründen, wann und wie die »Intoleranz des Guten« u. a. in Form politischer Korrektheit zum Problem wird.
Und damit führt er seine Leser zu der Stärke des Buches, die gleichzeitig die Schwäche jeden Nachdenkens über Toleranz sein muss: Wo sind die Grenzen der Toleranz und des Sagbaren? Joachim Gauck führt Erklärungsmuster und Begrifflichkeiten wie »Identität«, »Offenheit« oder »Wertebewusstsein« ein, die aber letztlich im alten Dilemma des »Someone’s terrorist is someone else’s freedom fighter« verharren müssen. Dies versucht der Autor dadurch aufzulösen, dass er solche Begriffskonzepte auf Themen wie »Multikulturalismus« oder »migrantische Intoleranz« im Rekurs auf seine praktische Erfahrung anwendet (173–200). Damit kommt er am Ende zu einem Konzept der »starken« Toleranz, die er »kämpferische Toleranz« (207–9) nennt. Das Problem dabei zeigt die Länge des Petitums: Den Ruf nach einer »kämpferischen Toleranz« entwickelt er mit Helga Hirsch auf knapp drei Seiten. Und so bleibt es genau das: Ein Ruf. Dennoch: anregend und lesenswert.
Nils Ole Oermann (Lüneburg)