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Ausgabe:

1993

Spalte:

600-601

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Schwartz, Daniel R.

Titel/Untertitel:

Studies in the Jewish background of Christianity 1993

Rezensent:

Wilhelm, Karl

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Theologische Literaturzeitung 118. Jahrgang 1993 Nr. 7/8

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mentlers, daß dem an der neutestamentlichen Zeit Interessierten
deutlich wird, wie wenig man die Erkenntnisse der exegetischen
Erforschung des Alten Testaments einfach für das Denken
und den Glauben des Judentums der griechisch-römischen
Zeit unmittelbar in Anspruch nehmen darf. Kap. 2 (47-58) stellt
die sozialen Strukturen im Judentum „Palästinas" in der Zeit
des judäischen Tempelstaats dar und macht dann abgrenzend
die andersartigen soziologischen Bedingungen in der Diaspora
deutlich.

Die Kap. 3-5 (= Part II) haben es im engeren Sinne mit der
jüdischen Religion in der Spätantike zu tun. Einleitend (59-64)
unterstreicht O., daß die gegenseitige Beeinflussung politischsozialer
und religiöser Entwicklungen keineswegs nur in einer
Richtung verläuft; gerade die Geschichte des Frühjudentums
zeige, daß religiöse Reaktionen auf politische Vorgänge ihrerseits
wieder neue politische Geschehnisse auslösen. Insgesamt
war das Judentum in sozial-politischer Hinsicht am Ende der
dargestellten Epoche, also nach dem Scheitern des zweiten Aufstandes
um 135, etwas ganz anderes als zu ihrem Beginn über
400 Jahre früher; das gilt aber nicht im gleichen Maße auch für
die jüdische Religion. Vielmehr führte die Notwendigkeit der
Bewahrung der ethnisch-religiösen Identität unter veränderten
politischen Bedingungen gerade zur Fixierung und Eingrenzung
der Tradition, somit auch zu einer gewissen Abkapselung, und
läßt so das Judentum zur „Buchreligion" (mit dem sich nun ausbildenden
Kanon) werden. Solche inneren Vorgänge dem Leser
klarzumachen gelingt dem Autor mit seiner durchweg klaren
Darstellungsweise sehr gut. Demgegenüber ist es nun nicht
möglich, den Inhalt der einzelnen folgenden Kapitel näher wiederzugeben
. Kap. 3 (65-108) stellt "The Basic Religious Struc-
ture" unter den Stichworten "Law and Revelation", "Human
Ethical Choice" und "Temple and Synagogue" dar. Kap. 4
(109-156) widmet sich den "Religious Movements", u.a. unter
dem Gesichtspunkt ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen
Schichten. Behandelt werden die Sadduzäer, die Pharisäer, die
national-religiöse revolutionäre Bewegung der Unterklasse (O.
vermeidet bewußt die pauschale Benennung „Zeloten", die er
nur für ganz bestimmte Gruppen bzw. Perioden benutzt) sowie
die Essener und die Qumrangemeinde, die er - mit der Mehrheit
der Forschung - als eng zusammengehörig, wenn auch nicht
völlig identisch ansieht. Man mag fragen, warum nicht auch die
frühe Jesusgemeinde ebenfalls als eine jüdische Gruppe oder
Bewegung jener Zeit dargestellt wird. Daß sie das (zunächst
einmal) ist, ist natürlich auch für O. selbstverständlich (3
unten). Gerade für den Nichtfachmann - an den sich die ganze
Darstellung doch wohl richtet - hätte aber die deutlichere Hcr-
ausarbeitung dieser Einsicht wichtig sein können.

Auf das letzte Kap. 5 (Apocalyptic - the New Religious Manifestation
, 157-223), das zugleich das längste ist, wird am häufigsten
vorausverwiesen. Hier sieht O. mit gutem Grund ein
wichtiges, für die behandelte Periode neues Merkmal der jüdischen
Religionsgeschichte. Der Abschnitt war zunächst selbständig
entstanden; ursprünglich war er offenbar im Rahmen der
Auseinanderssetzung um die Frage der weisheitlichen oder prophetischen
Herkunft der Apokalyptik verfaßt worden, wie die
ziemlich eingehende Auseinandersetzung mit den Thesen G. von
Rads zeigt (163-171). Sodann wird das apokalyptische Denken
unter den Stichworten kosmischer, anthropologisch-ethischer
und eschatologischer Dualismus dargestellt (im Inhaltsverzeichnis
ist die Zeile "Eschatological Dualism" ausgefallen), übrigens
sehr eingehend und plastisch anhand vieler wörtlicher Zitate aus
apokalyptischer Literatur einschließlich der Patriarchentestamente
und einiger Qumranschriften. Abschließend stellt O. die
schwierige Frage nach dem Platz der Apokalyptik in der jüdischen
Gesellschaft (218-223). Gab es eine besondere „apokalyptische
Bewegung", etwa vor allem in „pietistischen" Kreisen der
Unterschicht, wie man früher vielfach meinte? Oder waren es

radikale Außenseitergruppen, die in apokalyptischen Spekulationen
eine Alternativ-Ideologie angesichts von Unterdrückung fanden
?. O. lehnt eine solche Sicht ab. Auch er geht - wie es meistens
geschieht - davon aus, daß die Wurzeln der Apokalyptik in
der hassidischen Bewegung der Makkabäerzeit liegen. Doch gibt
er interessante Gründe dafür an, daß es insbesondere priesterliche
Kreise waren, die an der Ausbildung apokalyptischer Spekulationen
beteiligt waren. Neben anderem macht er dafür die Nähe
der Apokalyptik zu astrologischen Belehrungen, d.h. aber: zu
den Fragen rechter Kultausübung, geltend. Demnach stünde also
keinesfalls populäre religiöse Phantasie im Hintergrund der Apokalyptik
, sondern ein spezieller Typ weisheitlicher Lehre, den O.
„mantische Weisheit" nennt (221). Natürlich bietet die Qumran-
Gemeinde mit ihren einschlägigen Anschauungen einen wichtigen
Beleg für diese Sicht, die mir aller Beachtung wert zu sein
scheint.

Mit dieser letzten Bemerkung ist schon angedeutet, daß das
Büchlein O.s, obwohl es gewiß nicht in erster Linie neue lachwissenschaftliche
Erkenntnisse darbieten will (die Literaturangaben
jeweils am Ende der Kapitel nennen im wesentlichen nur
grundlegende Werke, die die weitere Arbeit ermöglichen; am
Ende des Bandes werden kurze Erläuterungen zu den von O.
herangezogenen außerbiblischen Schriften gegeben), auch den
Fachgenossen mancherlei konkrete Anregung geben kann. So
bietet O. einen gut lesbaren Überblick über die Religion des Judentums
zur neutestamentlichen Zeit, dem man - zumal angesichts
der gegenwärtig beliebten Sensationsliteratur auf diesem
Gebiet - weite Verbreitung und aufmerksame Leser wünschen
möchte.

Jena/Naumburg Nikolaus Walter

Schwartz, Daniel R.; Studies in the Jewish Hafk«round of
Christianity. Tübingen: Mohr 1992. XII, 304 S. gr.8» =
Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament,
60. Lw. DM 178,-. ISBN 3-16-145798-6.

Der anzuzeigende Aufsatzband macht elf anderweitig zwischen
1980 und 1989 in Hebräisch publizierte und fünf bisher
unveröffentlichte Studien des Vf.s in eigener englischer Übersetzung
zugänglich. Die früher veröffentlichten Arbeiten wurden
überarbeitet und durch Einarbeitung neuerer Literatur
aktualisiert. Querverweise in den Anmerkungen verbinden alle
im Band zusammengestellten Aufsätze. Es handelt sich um folgende
:

Als Einführung vorangestellt: On the Jewish Background of Christianity
(1-26).

Unter der Überschritt "Polities and Seelarianism in Second Temple Peri-
od Judaea": Temple and Desert: ün Religion and State in Second Temple
Period Judaea (29-43); On Pharisaie Opposition to the llasmonean Monar-
chy (44-56); "Kingdom of Priests" - a Pharisaie Slogan? (57-80); "The
Contemners of Judges and Men" (I IQ Temple 64:12) (81-88); "Scribes and
Pharisees, Hypocrites:" Who are the "Scribes" in the New Testament? (89
10]): On Sacrifice by Gentiles in the Temple of Jerusalem (102-1 16); Resi-
denls and Bxiles, Jerusalemites and Judaeans (Acts 7:4; 2:5,14): On Stephen
, Pcntecost and the Strueture of Acts (117-127); On Christian Study of
the Zealots (128-146); On Barnabas and Bar-Kokhba (147-153).

Schließlich "Studies in Josephus and Judaean Chronology": Joseph ben
Dlem and the Date of Herod's Death (157-166); "Caesarea" and its "Isac-
tium": Epigraphy. Numismalies and Herodian Chronology (167-181); Pontius
Pilate's Appointment to Office and the Chronology of Josephus'
Anliquities, Books 18-20 (182-201); Pontius Pilate's Suspension from Office
: Chronology and Sources (202-217); Ishmael ben Phiabi and the Chronology
of Provincia Judaea (218-242); Texts, Coins, Fashions and Dates:
Josephus' Vita and Agrippa W» Death (243-282).

Register (Stellen, moderne Autoren. Namen und Sachen) besehließen den
Band.

Der erste Aufsatz möchte im Uberblick über die nachcxili-
sche Geschichte Israels bis zum I. Jh.n.Chr. eine Entwicklung