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Ausgabe:

1988

Spalte:

702

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Mit der Jugend Gott suchen 1988

Rezensent:

Haustein, Manfred

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1 13. Jahrgang 1988 Nr. 9

702

Praxis der Erwachsenentaufe wieder Vorrang bekommen, so daß bewußte
Christen unter Geisterfahrungen die Gläubigentaufe empfangen
. Dann entsteht ein reifes und freies Christentum erwachsener
Menschen, die den Bedingungen der heutigen säkularen Welt auch
wirklich standzuhalten vermögen.

Vf. untermauert seine nicht ohne geringen Aufwand von bitterer
Polemik entwickelten Meinungen auch mit Hilfe exegetischer Argumente
. Die Geisttaufe im Neuen Testament, die mit der Wassertaufe
als Bekenntnisgeschehen verbunden ist, wird an Erwachsenen vollzogen
: „Biblische Taufmodelle" (11-46). Diese werden nicht ohne
kräftige Anleihen bei K. Barth vorgetragen, aber zugleich mit Ideen
e'nes spekulativen Hcilsuniversalismus verbunden. Die Wasserriten
aller Religionen enthalten eine „Spur des Heilsweges" (18). Es gibt
•.vorchristliche Heils- und Gotteserkenntnislehre" (45). „Aus dieser
Heilsgeschichte lassen sich die ungetauft Verstorbenen und darunter
vor allem unmündige Kinder nicht ausklammern" (46).

Hinweise zur Geschichte der Taufe werden unter der Frage behandelt
: „Wie kam es zur Kindertaufe?" (47-80). Mit der Einführung der
Staatskirche entstand eine „merkwürdige Allianz aller Konfessionen"
W8), die die Kindertaufc festschrieben. Versuche, „die Erwachsenentaufe
wieder einzuführen, endeten zunächst blutig" (48). Die „Un-
s'tte" der allgemeinen Kindertaufc (68 u. ö.) wurde erst seit der Selbstbehauptung
von Täuferbewegungen und -kirchen in Frage gestellt. -
Übrigens sind die historischen Hinweise nicht immer richtig und ausgewogen
genug. Zum Beispiel hat Thomas Müntzer, der unter die
Wiedertäufer eingereiht wird, Kinder getauft.

Dogmatisch gesehen stellt Vf. die Kindertaufe zwar nicht völlig in
rage, sieht sie aber in nicht menschlicher Weise in der Kirche mit der
Pessimistischen Erbsündenlehre des in diesem Falle irrenden Augustinus
belastet (52,90). Dabei gilt doch die „allumfassende Heilsgnade"
allen Menschen unabhängig von der Taufe (90).

Die allgemeine Kindertaufpraxis hat zu einem infantilen und abhängigen
Christentum geführt, in dem die erwachsenen Christen ihren
Glauben nicht mehr ernst nehmen. Praktisch hat die Praxis der uneingeschränkten
Kindertaufe nicht den Glauben, sondern den Unglauben
in der heutigen Welt gefördert (95). Daß nach dieser radikalen
^rteilsbildung, die verschiedentlich wiederholt wird, es" dennoch
"eißen kann, daß die Kindertaufe vorerst noch bestehen bleiben
dürfe, ist erstaunlich. „Es geht zunächst nicht um einen sofortigen
^erzieht der etablierten Kirchen auf die Praxis der Kindertaufe, sondern
um die Anerkennung und engagierte Strukturierung der Erwach-
Senentaufe neben der Kindertaufe" (82). Damit ist das Thema des
ätzten und entscheidenden Teiles eingeläutet: „Zur Wiedereinfuh-
rung der Erwachsenentaufe" (81-129). Die bisherige Kindertauf-
Praxis ist radikal in Frage zu stellen und der Taufaufschub bei
k'rchcnfernen Angehörigen zu fordern oder durch bewußte Christen
freiwillig zu praktizieren, indem sie ihre Kleinkinder nicht mehr taufen
lassen.

Es ist nicht unsere Aufgabe, für die „Amtskirche" zu reden, mit der
s'ch der Vf. - ob immer fair genug? - auseinandersetzt. Positiv ist sein
Bemühen zu sehen, die Erwachsenentaufe als legitime und gleichberechtigte
Möglichkeit für die christliche Kirche in der heutigen
Missionarischen Situation wieder zu entdecken. Viele finden erst als
Erwachsene den Weg zur Kirche. Die Kindertaufe heute durch die
Kirche zu üben, ist u. E. gewiß berechtigt und sinnvoll, aber nicht
mehr Maß aller Dinge. Mehr als fraglich bleiben jedoch des Vf. theologische
Reduktionsangebote, die den biblisch zu begründenden Ge-
Schcnkcharaktcr des Heiles durch die Taufe, die von Sünde und Tod
befreit, in den Schatten rückt. Seine sozialpsychologisch wertende
Unterscheidung zwischen einem infantilen und einem erwachsenen
Christentum wirkt einseitig. Sie wird darum weder dem Kind noch
dem Erwachsenen voll gerecht. Nicht die einseitige Infragestellung der
^aufpflicht für die Kinder wird uns heute weiterhelfen, sondern der
verantwortliche Umgang mit der heilgewährendcn Taufe für Kinder
und Erwachsene so, daß sie befreite und tätige Christen werden. Dazu
Thören dann auch ein differenziert durchgeführter Taufkatechume-

nat sowie eine eindeutige Taufverkündigung und -seelsorge. Wie sie
aussehen könnten, wird in diesem Buch nicht ausgeführt. Gerade das
aber ist heute dringend nötig.

Berlin F riedrich Winter

Bielstein, Roman, u. Paul Michael Zulehner [Hg.]: Mit der Jugend
Gott suchen. Perspektiven für die kirchliche Jugendarbeit. München
: Kösel 1987. 175 S. 8°. Kart. DM 19,80.

Der vorgelegte Band trägt weitgehend den Charakter einer Dokumentation
bzw. eines Reports. „Weitergabe des Glaubens an die kommende
Generation" lautete das programmatische Thema der vom damaligen
Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Dr. Georg Moser, Januar
1984 ausgerufenen Diözesansynode, die in zwei Vollversammlungen
und in vielen Arbeitssitzungen der 7 Ausschüsse 1 '/2 Jahre arbeitete.
Die Berichterstattung betrifft wesentlich den Ausschuß Jugendfragen
.

Nach einem Vorwort folgt 1 der volle Text des Synodcnbeschlusses
Jugendarbeit (S. 13-39). Es handelt sich um eine beeindruckende,
evidente Analyse der Situation der Jugend und der Beziehungsproblematik
Jugend-Kirche, die ihresgleichen sucht, sowie um „Leitlinien"
künftiger kirchlicher Jugendarbeit. Vielfältig wird deutlich, wie sich
die Problematik Jugend-Kirche katholisch/evangelisch unbeschadet
konfessioneller Unterschiedlichkeit zunehmend gleicht. Die Analyse
erschöpft sich nicht in geistesgeschichtlichen Allgemeinheiten, sondern
nimmt die Situation äußerst konkret in den Blick (etwa: „Millionen
Menschen sind ohne Arbeit"). Kritische Anfragen der Jugend an
die Kirche (röm.-kath.) werden offengelegt und keineswegs kaschiert.
Dies betrifft z. B. hinsichtlich Freundschaft und Sexualität die „strengen
und nicht einsichtigen Vorschriften und Regeln, die die Kirche
von oben festschreibt" (S. 21). Bemerkenswert ist der Impetus zum
Weltdienst und politischen Handeln. Zwei theologische Positionen
bzw. Leitgedanken prägen den Synodalbeschluß in besonderer Weise,
einmal die unterstellte Affinität, das geradezu natürliche Bündnis von
Jugend, die „auf Zukunft hin orientiert ist", und Kirche, die „von der
verheißenen Zukunft des Reiches Gottes her lebt", zum anderen die
dialektische Einheit von Mystik (Synonym für Spiritualität) und Politik
(„Je mystischer wir Christen sind, um so politischer werden wir
sein", S. 24). Klar abgewiesen wird der überkommene objektivierende
Belehrungsstil, ein kirchliches Bemächtigungsverfahren. Der neue
Zielwert heißt Partizipation.

Unter 2 „Von Würzburg nach Rottenberg" stellt Bleistein die Entwicklung
und Veränderung in der Lebenswelt der Jugendlichen und
im Jugendpastoral dar, wie sie sich seit der Würzburger Synode
(1975) deutlich abzeichnen. 3 „Themen und Streitpunkte" werden
von verschiedenen Autoren die wesentlichen Themen der Verhandlungen
und Entschließung (etwa Partizipation. Mystik und Politik
u. a.) nochmals spezifisch reflektiert und dargestellt. Kapitel 4 „Briefe
Jugendlicher und Antworten der Synode" vermittelt einen instruktiven
Einblick in das Denken, die Probleme und die Intentionen
Jugendlicher, wobei keineswegs kirchengenehm gefiltert wurde. Unter
5 „Das Gottesgerücht" bringt Zulehner über eine tiefgründige analytische
Deutung der Jugendsituation korrelativ die christliche Botschaft
ins Spiel. Das kurze Schlußkapitel 6 „Der synodale Prozeß geht weiter
" berichtet über einige erste Schritte seit der Synode auf dem langen
, abgesteckten Weg.

Der Band, festgemacht an der Arbeit einer Diozösansynode, vermittelt
pars pro toto eine Fülle allgemeiner Einsichten, die auch über
Konfessionsgrenzen hinweg Evidenz" und Gültigkeit haben. Die Veröffentlichung
erscheint, unbeschadet der bemerkenswerten Unterstützung
durch Bischof Dr. Moser, als ein beeindruckendes Dokument
eines Untcrwegs-Katholizismus „von unten", der offenbar auch
in der BRD bereits stärker ein- und weiter hinaufwirkt, als man zuweilen
annimmt.

Leipzig Manfred Haustein