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Ausgabe:

1988

Spalte:

677-680

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Weder, Hans

Titel/Untertitel:

Neutestamentliche Hermeneutik 1988

Rezensent:

Stuhlmacher, Peter

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677

Theologische Literaturzeitung 113. Jahrgang 1988 Nr. 9

678

Inschrift, drei Synagogeninschriften, zwei Freilassungsurkunden und
zwei Ossuarinschriften mit dem Jesus-Namen, die 1945 in Talpioth
bei Jerusalem gefunden wurden. Kap. 4 führt mit 36 Texten in die
Welt der Philosophen und Dichter ein. Vertreten sind Heraklit, Plato,
Zeno, Kleanthes, Chrysipp, Poseidonios, Epiktet, Mark Aurel.
Aristoteles. Lukretius. Epikur, Aristophanes, Äschylos, Sophokles
und Euripides. Kap. 5 vermittelt anhand von 12 Texten ein Bild von
Gnosis und Gnostizismus, teils aus dem Corpus Hermeticum, teils aus
den Nag Hammadi-Tcxten (Stücke aus dem Brief des Eugnostos, dem
Evangelium der Wahrheit und dem Thomas-Evangelium), teils aus
der mandäischcn Literatur. Von Mythos, Einweihung und Kult der
Mysterienreligionen handeln 10 Texte in Kap. 6. Die jüdische
Geschichte von der Makkabäer-Zeit bis zum Bar Kokhba-Aufstand
'st in Kap. 7 mit 36 Texten präsent. Kap. 8 führt mit 57 Texten in die
rabbinische Literatur und das rabbinische Judentum ein. Kap. 9
bringt 15 Texte aus dem Qumran-Schrifttum. Kap. 10 stellt 13 Philo-
Texte vor. Kap. II 14 Josephus-Texte. Kap. 12 enthält 2 Texte zur
Scptuaginta-Entstehung. 3 Texte zu Weisheit, Paränese und Mär-
'yrerfrömmigkeit aus der LXX sowie 3 Texte aus dem Pentateuch-
bzw. Prophetcntargum. Kap. 13 endlich präsentiert literarische Formen
und Grundbegriffe der Apokalyptik mit 15 Texten und die jüdische
Mystik mit 6 Texten. Ein Stellcnregister sowie ein Namen- und
Sachregister beschließen das Buch.

Der notwendige Auswahlcharakter des Werkes wird immer Fragen
und Wünsche offen lassen. Dessen ist sich B. natürlich bewußt (Vorwort
). Von der Gesamtanlage her konnte B. nicht so viele Texte wie
Leipoldt/Grundmann, Umwelt des Urchristentums, Bd. II, bringen,
"i dem 470 Texte zur Stelle sind. Was ich sachlich am ehesten vermisse
, sind einige Texte, die das öffentliche Leben im Römischen
Reich und die hellenistische Volksfrömmigkeit abseits von Zauber
und Mysterien beleuchten. Insgesamt kann man B. für die "Revised
Edition" nur überaus dankbar sein. Sie stellt eine herausragende
Einzelleistung dar, die einer jüngeren Generation nur noch als
Gemeinschaftsarbeit vorstellbar erscheint.

Greifswald Günter Haufe

Die Umwelt des Neuen Testaments. Ausgewählte Quellen von C. K. Baratt
, hg. u. übersetzt von C. Colpe. Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Sicbeck) 1959
= WUNT4.

Die Umwelt des Neuen Testaments. Rcligionsgcschichtlichc und gc-
schichtliche Texte, in deutscher Übersetzung und mit Anmerkungen versehen,
zum Verständnis des Neuen Testaments dargeboten. Göttingen 1926.

Weder. Hans: Neutestamentliche Hermeneutik. Zürich. Theologischer
Verlag 1986. 452 S. 8" = Zürcher Grundrisse zur Bibel.
Brosch. sfr 36.-.

Um die Frage nach dem Verstehen des Neuen Testaments (und der
Bibel im Ganzen) ist es verdächtig still geworden. Um so erfreulicher
■st es, daß der Zürcher Neutestamentier Hans Weder das Wagnis eingegangen
ist. eine ausführliche und eigenständige ..Neutestamentliche
Hermeneutik" zu veröffentlichen. Das Buch spiegelt den Einfluß von
Weders akademischen Lehrern Eduard Schweizer, Gerhard Ebeling
und - vor allem - Eberhard Jüngel wider. In ihm bündeln sich die ex-
Fetischen Perspektiven, die Weder in seiner Dissertation über „Die
Gleichnisse Jesu als Metaphern" (1978). der Habilitationsarbeit „Das
Kreuz Jesu bei Paulus" (1981), in seiner Bergpredigtauslegung „Die
•Rede der Reden'" (1985) und in einer Reihe von Aufsätzen zum
herrneneutischen Problem dargelegt hat.

Weder will keine hcrmcneutischc Mcthodcnlehre im engen Sinn
des Wortes bieten. Ihm geht es auch nicht um die Erhellung der
Geschichte der biblischen Hermeneutik. Woran ihm liegt, ist, daß die
"eutestamentlichen Texte in der heutigen geistigen Situation wahrgenommen
werden. „Verstehen im Blick auf das Neue Testament"
heißt für den Vf. „sich verstehen auf. umgehen können mit den

Texten, damit sie sich auswirken können" (130). Um die Fähigkeit zu
und die Freude an solchem Umgang mit den Texten zu fördern, hat
Weder eine Sprachlehre des christlichen Glaubens auf neutestament-
licher Grundlage geschrieben. Schade, daß E. Fuchs das Erscheinen
des Buches nicht mehr erlebt hat; er hätte Freude daran gehabt.

Das Werk gliedert sich in drei Teile. Auf ein kurzes Vorwort
(S. 5-6) folgt „Eine ausführliche Vorrede" (S. 11-152). Dann wird
die „Neutestamentliche Hermeneutik" thematisch entfaltet
(S. 153-426). Den Abschluß bildet ein kurzer „Epilog" (S. 427-435).
Ihm schließen sich noch drei Anhänge an: Der „Schlüssel zur zitierten
Literatur" (S. 436-438), ein Verzeichnis „Ausführlicher besproche-
ne(r) Texte" (S. 439-440) und schließlich eine Zusammenstellung
„Ausgewählte(r) Literatur zur Hermeneutik" (S. 441-452). Leider
fehlt ein (ausführliches) Schlagwortregister; es wäre in einer kommenden
Auflage anzufügen, sofern das Buch wirklich als Lehrbuch Benutzung
finden soll. Trotz gewisser Neigung zu Sprachspielen schreibt
Weder durchweg klar und verständlich. Sein Buch weist nur wenige
Druckfehler auf; auf S. 411 Zeile 8 von oben ist freilich „Frechheit"
unbedingt durch „Freiheit" zu ersetzen.

In der umfassenden Vorrede geht es dem Vf. um die Klärung des
Begriffs der neutestamentlichen Hermeneutik und ihre Rahmenbedingungen
. Um dem „interessierten Gast", auf den Paulus in 1 Kor
14,16.241" hinweist, die Begegnung mit dem Neuen Testament zu eröffnen
, muß die neutestamentliche Hermeneutik „Anspruch auf allgemeine
Verständlichkeit . . . erheben", obgleich für sie die Wahrheitsfrage
von Christus her bereits entschieden ist (44); sie muß „vermitteln
zwischen der Säkularität der Erkenntnismethoden und der
Heiligkeit des zur Frage stehenden göttlichen Wortes" (46). Weders
Werk bezieht seinen eigenen Standort gleichsam auf der Schwelle zwischen
dem akademisch-säkularen und dem bewußt kirchlichen
Schriftgebrauch. Der Vf. kann daher offenlassen, wie sich sein methodisches
Postulat, bei der Schriftinterpretation sei „mit der Auslegung
der Texte und mit nichts sonst" zu beginnen, und „weder Offenheit
noch Einverständnis" dürften „zum voraus gefordert werden" (107),
zu den hermeneutisch und theologisch gleich richtigen Feststellungen
verhält, in den neuzeitlichen Verstehensbedingungen seien verschiedene
Formen von Sünde aufzudecken (z. B. das „Selbstmißverständnis
der Vernunft, daß sie ihre Selbständigkeit gleichsetzt mit der
Forderung, sich selbst alles sagen zu müssen" [103]). und das dem
Evangelium angemessene Vorverständnis bestehe im „Hörenkönnen"
des Menschen (150). Wenn die Auslegung des Neuen Testaments, wie
Weder schön formuliert, den Menschen „aufmerksam zu machen
(hat) auf das ihm zuvorkommende Wort" (151), dann kann sie die
Frage, wie sie dies leisten soll, nicht einfach in der Schwebe lassen.
Oder anders formuliert: Dem Hörer des Wortes ist es in der Tat
erlaubt, als interessierter Gast eine Zeitlang auf der Schwelle zu verharren
, der Ausleger dieses Wortes aber muß versuchen, den Gast
über die Schwelle zu geleiten; er muß sich deshalb im Klaren darüber
sein, wo sein eigener Standort ist. Dies offenzulassen, ist eine unbefriedigende
, typisch akademische Abstraktionshaltung.

Im Hauptteil bietet Weder nacheinander eine in Anlehnung an
Eberhard Jüngel und (die Sprechakttheorie von) John Austin entworfene
Analyse der metaphorischen Sprache der Gleichnisse Jesu
und eine Sprachlehre der ..Textsorten" Gebet, Evangelium, Brief.
Bitte (Paraklese) und Geschichtserzählung. Jeder dieser Abschnitte ist
hervorragend gelungen. lehrreich und textnah geschrieben; manche
Passagen erinnern - ohne daß dies dem Vf. bewußt zu sein scheint-an
J. G. Hamanns Sprachverständnis und Theologie. In den Gleichnissen
wird die Erfahrungswelt des Alltäglichen von Jesus zur Metapher
für Gottes anbrechende Königsherrschaft erhoben. Damit wird nach
Weder deutlich, daß und wie sich Gott in Jesu Worten auf die Welt
einläßt. „Das Gebet ist der Ort, wo der Beter Abschied nimmt vom
Leben aus sich selbst, und wo er ein Leben aus dem Empfangen
gewinnt" (293). Weil Jesus sich selbst „als die Näherung Gottes" (308)
verstand, „(ist) das von Jesus verkündigte und .dargestellte' Evangelium
der maßgebliche Ursprung des Evangeliums von Jesus Chri-