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Ausgabe:

1987

Spalte:

523-525

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Christliches Exil und christlicher Widerstand 1987

Rezensent:

Nowak, Kurt

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 7

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Denn Katholizismus, auch „deutscher Katholizismus" ist-Gott sei
Dank - mehr, mehr auch, als die wohl allzu formale (und darum Vielfalt
iy anwendbare) Definition Rahners umschreibt (wobei die sehr viel
weiter gehende Frage nach dem Katholizismus außerhalb der
römisch-katholischen Kirche hier nicht einmal gestellt werden soll).
Katholizismus ist nicht nur „die Summe solcher .Lebensäußerungen
und Auswirkungen', gleichsam die Außenseite kirchlichen Lebens"
(S. 7), sondern das ganze vielschichtige Genecht äußerer und innerer
Erscheinungen, Beziehungen und Bestimmtheiten, die aus dem Zentrum
des erfahrenen und gelebten römisch-katholischen Bekenntnisses
fließen, durch ihre Konkretion in Zeit, Ort und Personen stets
eine Variable, durch den inneren Kern des Glaubensbezuges jedoch
stets gehalten und insofern eben doch nicht ablösbar von dem „Wesen
der Kirche". So ist wohl zwischen Katholizismus und römischkatholischer
Kirche zu differenzieren, aber doch nicht zu trennen. Ist
es doch gerade ein Signum von Kirche auf ihrem Wege durch die
Geschichte, je nach Ort, Zeit und Personen durchaus unterschiedlich
in Erscheinung zu treten und doch vermöge des eigenen Gehaltenseins
dieselbe zu sein und zu bleiben. Die Frage aber, der angesichts dessen
gerade auch hier noch stärker auch thematisch hätte nachgegangen
werden können, wäre dann gewesen, welche historischen, soziologischen
und nicht zuletzt theologischen Faktoren dafür ausschlaggebend
waren, daß sich im Deutschland des 19. Jh. ein solches
„einzigartiges" Phänomen herausbilden konnte.

So bleibt, trotz aller Verdienstlichkeit, um deretwillen man das
Buch durchaus dankbar aus der Hand legt und gewiß immer wieder
danach greifen wird (weil greifen muß), doch manches offen, worüber
weiter nachdenken zu müssen aber ja auch nicht nur als Negativum
gewertet werden kann.

Schöneiche Hubert Kirchner

Frühwald, Wolfgang, und Heinz Hurten [Hg.]: Christliches Exil und
christlicher Widerstand. Ein Symposion an der Katholischen Universität
Eichstätt 1985. Regensburg: Pustet 1987. 427 S. gr. 8" =
Eichstätter Beiträge, 22. Abt. Geschichte, 4. Kart. DM 76,-.

Der Sammelband präsentiert Ergebnisse eines disziplinen- und
länderübergreifenden Symposiums. „Innere Emigration" und Exil
werden in ihrem inneren Zusammenhang gesehen, sind doch beide
Formen vielfach auf gemeinsame Motive zurückzuführen. Um einer
Beschränkung auf das deutschsprachige Exil zu entgehen, wurden Studien
zu außerdeutschen Persönlichkeiten und zum Widerstand in
nichtdeutschen Ländern eingebracht. Beteiligt am Symposium waren
Historiker, Theologen und Literaturwissenschaftler, eine Herausforderung
in methodischer wie inhaltlicher Hinsicht, bedenkt man die
unterschiedlichen Sichtweisen und Interpretationsstile von Geschichtsschreibung
und Literaturwissenschaft. Christliches Exil und
innere Emigration sind angesichts der erheblich vorangeschrittenen
Forschungen zum sozialistischen Exil ein dringendes Desiderat. Der
Sammelband erscheint auf diesem Hintergrund als ein notwendiges
Memento. Wird man den Sammelbegriff christliches Exil wegen des
zumeist fehlenden organisatorischen Zusammenhalts der Exilierten
vielleicht auch nur als Hilfsbegriff verstehen können, so dürften doch,
wie die Hgg. unterstreichen, „gemeinsame Denkweisen, gemeinsame
Ziele, Hoffnungen und Verhaltensweisen die Struktur eines .christlichen
Exils' erkennen lassen" (10).

In seinen Prolegomena „Das Wesen des christlichen Widerstandes"
schärft Konrad Repgen den Blick für die Spezifik christlichen und
kircheninstitutionellen Verhaltens im totalitären System, indem er im
Rückgriff auf eigene Arbeiten sowie die Positionen Winfried Beckers
und Heinz Hürtens die methodischen Voraussetzungen skizziert,
unter denen Widerstand von Christen 1933-1945 zutreffend beschreibbar
ist. Auch der Spezifik christlichen Exils und innerer Emigration
wird man wohl nur in der wechselseitigen Kombination der
von Repgen erörterten Widerstandsmodelle habhaft werden können

(1. Dialektik von Nicht-Anpassung und Widerstand. 2. Emporwachsen
einer christlich-demokratischen Gegenkultur als „Demokratie im
Untergrund". 3. Christliches Zeugnis als Widerstand). Zusätzliche
Differenzierungsfragen wirft freilich die Literatur christlicher Autoren
und deren Wirkungsgeschichte auf. Ein wesentlich auf Institutionen
und auf Persönlichkeiten aus dem nichtkünstlerischen Bereich abgestelltes
Widerstandsverständnis greift bei Schriftstellern (Musikern,
Malern etc.) nur partiell.

Von den siebzehn Beiträgen des Bandes beschäftigen sich sieben
Aufsätze mit religiös gebundenen Dichtern deutscher Zunge. Die
Beschäftigung mit Texten von Stefan Andres (Karl Eibl), Oskar
Loerke (Walter Gebhard), Jochen Klepper (Rita Thalmann), Elisabeth
Langgässer (Anthony W. Riley), Alfred Döblin (Günter Niggl),
Franz Werfel (Walter Schmitz), Döblin im Vergleich mit Reinhold
Schneider anhand der Figur des Las Casas (Werner Stauflächer)
mobilisiert einen außerordentlichen Reichtum ästhetischer und
poetologischer Perspektiven. Der anderswo gelegentlich etwas problematische
Umgang mit künstlerischen Texten (vordergründige Befragung
auf politische Bewußtseinsspuren) wird erfolgreich transzen-
diert. Gerade die Eigenart und Eigenständigkeit einer nicht dem
NS-System verfügbaren Kunstwelt, deren widerständige politische
Implikationen sich in aller Regel nur über interpretatorische Vermittlungsstufen
erschließen, war ein „Zeugnis". Wie wenig im übrigen
griffige Einsortierungen den Ambiguitäten literarischer Produktion
und persönlicher Schicksalswege gerecht zu werden vermögen, wird
an der kritischen Bereinigung von Legenden deutlich (J. Klepper,
E. Langgässer).

Ein zweiter Komplex ist christlichen Philosophen, Publizisten und
Politikern gewidmet. Bei Jacques Maritain, dem großen intellektuellen
Inspirator des französischen und europäischen Widerstandskatholizismus
, unterstreicht Sergio Bellardinelli die Postulate des
Rechtsstaates, der Menschenwürde und der Versöhnung mit Gott.
Der Beitrag von Alberto Monticone gilt dem führenden Repräsentanten
des „Partito Popolare", DeGasperi. DeGasperi lebte seit 1927 im
faschistischen Rom in der inneren Emigration. Als Mitarbeiter der
Vatikanischen Bibliothek stellte er Kopf und Feder in den Dienst der
Verteidigung christlicher Zivilisation im Geist universaler politischer
und sozialer Rechtlichkeit. Zu Friedrich Muckermann SJ und dem
Exil-Organ „Der deutsche Weg" (Niederlande), dessen Ziel die
Erhaltung des Christentums für die deutschsprechenden Katholiken
in aller Welt war, steuerte Carel ten Haar einen Beitrag bei. Mit dem
Publizisten und Pädagogen Johannes Maaßen beschäftigt sich Klaus
Gotto, der bereits 1970 über die Wochenzeitung „Junge Front/
Michael" als publizistisches Rückgrat des kämpfenden Katholizismus
eine grundlegende Monographie veröffentlicht hat. Rudolf Morsey
analysiert Urteile des Exkanzlers Heinrich Brüning über die politische
Entwicklung in Deutschland zwischen 1934 und 1948. Bei Verzicht
auf öffentliche Äußerungen und exilpolitische Aktivitäten habe
Brüning intensiv als stiller Berater gewirkt, u. a. gegen die britische
Appeasementpolitik. Seine Einflußnahme auf die amerikanische
Besatzungspolitik nach dem 2. Weltkrieg bedürfe noch weiterer
Klärung. Die Kirchen spielten in Brünings politischer Konzeption
keine weitere Rolle.

In den Beiträgen zu einzelnen Ländern und Sachkomplexen geht
Victor Conzemius der katholischen Widerstandspublizistik in der
Schweiz nach. Neben dem bedeutenden Emigranten Waldemar
Gurian hebt er vor allem die Namen Otto Karrer, Charles Journet
(Freund Maritains) und Albert Beguin hervor. Mit dem christlichen
(katholischen) Widerstand in Frankreich im Spannungsfeld von episkopaler
Vichy-Regimetreue und Resistance setzt sich Renee Bedarida
auseinander. Neuerlich wird die große Bedeutung des durch Pierre
Chaillet für Frankreich wiederentdeckten J. A. Möhler für die spirituelle
und praktische Formung von Widerstandspotentialen deutlich
(Kampf um Kirchenfreiheit am Musterbild des Konflikts Alte Kirche
- Imperium Romanum). Stark hebt Bedarida die. entschiedene
Ablehnung der NS-Rassenpolitik durch die «Cahiers du Temoignage