Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1983

Spalte:

632-633

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Hoffmann, Dieter

Titel/Untertitel:

Der Weg zur Reife 1983

Rezensent:

Andel, Cornelis P.

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

631

Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 8

632

2. Viele Gruppen (vor allem jene, die im Gegensatz zu Gruppen, die
sich einem Orden oder einer spirituellen Bewegung verbunden wissen,
in keine spirituelle Tradition eingebunden sind) stehen vor der Aufgabe
, sich unablässig neu „ihre" Spiritualität zu erwerben. Dies stellt
die Gruppe vor eine gewaltige Aufgabe. Dabei steht das Evangelium
(und in diesem die zentrale Gestalt des menschlichen Jesus) zur Verfügung
: so die Umfrage (352-355, 417). Der spirituelle Austausch der
Gruppe mit anderen, mit einer Art „Spiritual" der Gruppe, ist eher
selten. Dies ist langfristig für die Gruppen nachteilig. Es entstehen in
den einzelnen Gruppen „Spiritualitäten", die zwischen den Gruppen,
also kirchlich kaum noch vermittelbar sind. Die Frage stellt sich, was
dies für die Verkündigung in der einen Kirche bedeutet? Wäre es von
da aus gesehen nicht sinnvoll, solchen Gruppen zu raten, sich stärker
als bisher mit ererbten spirituellen Weisheiten zu befassen: etwa der
correctio fraterna, der discretio communitaria, der revision de vie
(365-390; 413-417)? Dergestalt könnten die Gruppen bei der Suche
nach „ihrer Spiritualität" sowohl entlastet als auch kritisiert werden
.

3. Diese Besprechung, die dem vorzüglichen Datenmaterial keineswegs
gerecht wird, darf aber nicht beschlossen werden, ohne auf eine
stille Prämisse der Arbeit hinzuweisen, von deren Gültigkeit der Wert
der Ergebnisse weithin abhängt. Ist es - gemessen an der erwünschten
Pastoralen Zukunftsentwicklung - überhaupt gut, wenn sich die Seelsorger
in eigenen Gruppen sammeln, dort ihre Spiritualität kultivieren
, um für ihre Sendung gerüstet zu sein? Wird hier nicht allzuschnell
übersehen, daß zumindest für die nachkonziliare Theologie Träger
von Seelsorge und Verkündigung die Kirche als ganze ist, die sich in
und als Gemeinde ereignet? Die Arbeit legt allzu rasch nahe, daß die
Gemeinde eben doch das „Arbeitsfeld" (73) für das Seelsorgeteam ist,
also der Empfänger der Arbeit, der Boden der beackert wird. Pastoraltheologisch
ist dies ein möglicher, aber nicht wünschenswerter,
sondern zu überwindender Zustand. Müßte daher nicht eher
gewünscht werden, daß die hauptamtlichen Verkündiger auch praktisch
alles Erdenkliche unternehmen, um mit vielen Gemeindemitgliedern
zusammenzusein, damit diese an ihrer unverzichtbaren Verkündigungsarbeit
teilnehmen können? Sind, anders gefragt, diese
untersuchten Seelsorgegruppen wirklich die „pastorale Avantgarde"
(nach A. Müller, 452), oder eher Ausdruck einer pastoralen Ära, in
der aus dem Amt ein Beamtentum wurde, also eine schlagkräftige
Gruppe elitärer Pastoralexperten, die zu diesem Zweck auch noch
eine elitäre spirituelle Ausstattung brauchen, um ihrer „Sendung" gut
gerecht werden zu können? Hätte Kopp nicht vielmehr seine eigene
(wohl nachträglich eingefügte?) Bemerkung ernster nehmen müssen,
daß die künftige (und damit erwünschte) Entwicklung nur noch aus
dem schöpferischen Miteinander der vielen gemeindlichen Begabungen
einer Kirchengemeinde (die vielleicht nach dem Zusammenbruch
des Reichtums der Kirchen - die Priester eingeschlossen! - keineswegs
mehr hauptamtlich arbeiten werden) bestehen wird (455)? Dann aber
stellt sich die Frage nach der Spiritualität neu, zumindest stark modifiziert
: Dann wäre nämlich der ursprüngliche Ort der Spiritualität der
Verkündiger eben nicht eine „Hauptamtlichengruppe", sondern
Gemeinschaften von Christen inmitten der herkömmlichen pastoralen
Einheiten (Pfarreien, Pfarrverbände). Warum ist für die Seelsorger
zum Beispiel nicht der Pfarreirat, oder eine geistliche Runde in der
Pfarrei der „Ort" auch für ihre Spiritualität? Stimmt es wirklich, daß
dadurch das „amtliche" Gegenüber zur Gemeinde der Priester (und
auch der hauptamtlichen Laien) verlorenginge? Oder ist das heute
vielbeschworene „amtliche Gegenüber" nicht doch nur Erbe der
Zweiklassenkirche des Gratian: „Duo sunt genera christianorum"?
Wird aber eben durch unsere Gewöhnung an die beamtenmäßige
Ausübung von Verkündigung nicht genau jenes pastorale Versorgungsprinzip
(ungewollt) verlängert (und durch die spezifische Spiritualität
dieser Hauptamtlichen noch unnötig verfestigt), die auf Grund
der Seelsorgsthcologie des Konzils und der Synoden überwunden werden
müßte? Kopp schlittert auch an einigen Stellen in einer fast beunruhigenden
Weise in die Sprache des pastoralen Versorgungsmodells

hinein: Da werden Großstadtpfarreien „pastoral versorgt" (90), Pfarreien
werden „mit Priestern versehen" (91). Natürlich spiegelt dies die
gegenwärtige Praxis wider. Die Frage ist aber praktisch-theologisch,
ob diese stattfindende Praxis eben auch die erwünschte ist. Von der
Beantwortung dieser Frage hängt aber auch ab, ob die untersuchte
Spiritualität nicht eben doch möglicherweise Teil einer unerwünschten
Praxis ist: also Ausdruck der Delegation der Seelsorge an hochspezialisierte
beamtete Experten in einer hochspeiialisierten Großkirche .
mit großen finanziellen Ressourcen. Natürlich sind davon nicht alle
Ergebnisse der Studie von Kopp in Frage gestellt. Doch das Gesamtkonzept
der Arbeit, noch mehr die Möglichkeit, daraus „planerische
Konsequenzen" abzuleiten, werden stark begrenzt.

Passau Paul M. Zulchncr

Hoffmann, Dieter: Der Weg zur Reife. Eine religionspsychologische
Untersuchung der religiösen Entwicklung Gerhard Tersteegens.
Lund: Studentlitteratur 1982. 327 S. 8° = Studia Psychologiae Reli-
gionum Lundensia, 3. Kart, skr 99.50.

Es ist auffällig, daß Person und Arbeit des Mülheimer Mystikers
Gerhard Tersteegen immer wieder zu neuen Untersuchungen anregen
. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wurde diesem Mystiker eine
Reihe Monographien gewidmet, in denen versucht wurde,
unterschiedliche Aspekte seiner Person, seines Denkens und seiner Tätigkeit
zu analysieren und zu würdigen. W. Nelle (1897), R. Zwetz (1915)
und G. Wolter (1929) haben sich mit seiner dichterischen Persönlichkeit
befaßt. H. Forsthoff zeichnete ihn in mehreren Schriften (ab 1915) als
Mystiker. F. Winter (1927) und A. Löschhorn (1948) meinten, daß für
Tersteegen trotzdem eine evangelische Grundhaltung charakteristisch
sei. W. Blankenagel (1934) kennzeichnete den Mystiker als religiösen
Erzieher. Ich selbst habe 1961 versucht, Tersteegens theologische
Stellungnahme und seine seelsorgerische Tätigkeit zu beschreiben
und seinen Platz in der Kirchengeschichte festzustellen. G. della
Croce schließlich hat seine Spiritualität untersucht im Verhältnis zur
karmelitischen Frömmigkeit (1979). Außerdem kann man noch auf
eine Reihe von kleineren Veröffentlichungen hinweisen (W. Nigg,
W. Zeller, A. Klein, J. F. G. Goeters, K. Goebel, J. Roessle, u. a.).

Dieser Reihe kann wieder ein Name zugefügt werden, weil der
Krankenhausseelsorger Dieter Hoffmann (Malmö-Schweden) eine
ausführliche und gründliche Studie unter dem Titel Der Weg zur
Reife über Gerhard Tersteegens religiöse Entwicklung veröffentlicht
hat. Dadurch hat er eine Lücke in der Tersteegen-Forschung gelullt
. Seine Arbeit ist ein Versuch, mit Hilfe der wissenschaftlichen
Methoden und Theorien der empirischen Religionspsychologie eine
Arbeit über Tersteegens Persönlichkeit und Frömmigkeit zu erstellen.
Hoffmann hat von der umfangreichen Literatur über Tersteegen
Kenntnis genommen und ihre Zuverlässigkeit geprüft. Mit großer
Genauigkeit versucht er eine Einteilung nach Rangordnung und
Schichtung des primären Quellenmaterials bei Tersteegen zu entwerfen
. Daneben hat er sich eingehend mit der Religionspsychologie
beschäftigt als unentbehrliches Instrument für eine zuverlässige Interpretation
der Quellen. Er geht aus von der von W. James begründeten
Forschungstradition. Er unterstreicht die Wichtigkeit, Erlebnisse von
einzelnen Menschen der religionspsychologischen Untersuchung zu
Grunde zu legen und zentriert die religionspsychologische Forschung
auf die Untersuchung des religiösen Reifeprozesses. Außerdem läßt
Hoffmann sich den Weg von anderen Wissenschaftlern zeigen, die die
Theorien von James erweitert haben: G. W. Allport (betont die
Bedeutung der Individualität), W. H. Clarck (entwickelt und differenziert
die Wege zur religiösen Reife und zum Bekehrungsprozeß),
N. Söderblom (unterstreicht mit der Mystikdistinktionstheorie den
engen Kontext zwischen Religion der Reife und Mystik).

Hoffmann versucht die religionspsycholögische Entwicklung im
Leben Tersteegens von dessen Schriften und von anderen Quellen
abzuleiten. Dazu braucht er eine genaue geschichtliche Einreihung