Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1983

Spalte:

619-622

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Kuschel, Karl-Josef

Titel/Untertitel:

Jesus in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur 1983

Rezensent:

Amberg, Ernst-Heinz

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

619

Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 8

620

Systematische Theologie: Allgemeines

Kuschel, Karl-Josef: Jesus in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur
. Mit einem Vorwort v. W. Jens. 3., durchges. Aufl. Köln:
Benziger; Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1979.
XVIII, 385 S. gr. 8°=Ökumenische Theologie, 1. Kart. DM 44,-.

- : Stellvertreter Christi? Der Papst in der zeitgenössischen Literatur.
Zürich-Köln: Benziger; Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd
Mohn 1980. 239 S. m. 8 Abb. auf Taf. 8" = Ökumenische Theologie
, 6.

- [Hrsg.]: Der andere Jesus. Ein Lesebuch moderner literarischer
Texte. Zürich-Einsiedeln: Benziger 1983. 413 S. 8". geb.
DM 39,-.

K.-J. Kuscheis Untersuchung „Jesus in der deutschsprachigen
Gegenwartsliteratur" erschien als Band 1 der Reihe Ökumenische
Theologie. Von daher erklärt sich wohl, daß sie gleich zwei Geleitworte
enthält: einmal das zur Reihe allgemein von den Herausgebern
Jüngel, Kasper, Küng und Moltmann und dann eines (wohl wegen des
Inhalts dieses 1. Bds) von Walter Jens. Davor steht noch ein Motto
von Heinrich Boll: „Ich glaube an Christus, und ich glaube, daß
achthundert Millionen Christen auf dieser Erde das Antlitz dieser
Erde verändern könnten." Mit alledem werden große Erwartungen
geweckt. Das Geleitwort der Herausgeber nennt Kuscheis Arbeit das
Paradigma einer ökumenischen Theologie, „der man die konfessionelle
Vergangenheit noch ruhig anmerken darf, die aber - der gemeinsamen
christlichen Sache verpflichtet - auf eine ökumenische Zukunft
ausgerichtet ist, indem sie die anderen konfessionellen Positionen in
der Gegenwart selbstverständlich mit einbezieht" (VI). Über den Verfasser
wird gesagt, er habe sich „in kritischer Offenheit auf die Probleme
der heutigen Literatur und Geistigkeit eingelassen ..., um
gerade so das zentral Christliche neu zum Leuchten zu bringen" (VI).
Im Geleitwort von Walter Jens fällt dann das Stichwort „Christliche
Literatur", das die eigentliche Problematik des Ganzen andeutet. Jens
selbst definiert sie einmal so, daß es dabei „in welcher Form auch
immer, um die Verdeutlichung von Jesu Sache geht" (XV). Diese Verdeutlichung
sieht Jens heute eher in der Literatur als in der Theologie
geleistet. Dabei unterlaufen allerdings sehr pauschale Formulierungen
: „Während die Theologie sich nur allzu häufig auf parate Formeln
zurückzieht - zum millionsten Mal die Zwei-Naturenlehre oder
das Dogma der Präexistenz Christi in Gott - sucht Literatur, den
Theologen provozierend, die Sache selbst ins Blickfeld zu rücken: das
Kind im Stall und den Mann am Galgen ..." (XVI). Immerhin räumt
Jens aber dann doch ein: „Der Jesus der Literaten: das ist gewiß nicht
der ganze, wohl aber der andere, der verkannte und vergessene
Jesus..."(XVIII).

Die Einleitung des Verfassers ist demgegenüber sachlich orientiert
und nennt eine doppelte Zielstellung: Repräsentative Darstellung des
Jesusbildes in der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur und
Neubestimmung des „Begriffs einer christlichen Literatur". Dabei soll
das Thema Theologie - Literatur (im Verhältnis gegenseitiger kritischer
Herausforderung) ebenso eine Rolle spielen wie der theologische
Neuansatz in der Diskussion um das „spezifisch Christliche"
sowie das Programm einer „Christologie von unten" (1). Wichtig sind
besonders zwei Feststellungen: „Christliche Literatur heute ist -
präzis definiert - möglich" (2) und: „Keine Vereinnahmung, keine
Instrumentalisierung von Literatur zu theologischen Zwecken ist also
hier das Ziel" (4). Die Einleitung enthält außerdem noch einen kurzen
Abschnitt über den Wandel theologischer Literaturkritik vor und
nach 1945.

Es folgen zwei Hauptteile: l. Formen traditioneller christlicher
Literatur (23-89) - 2. Formen neuer Annäherung: Themenkreise -
Figuren - Knotenpunkte (91-297). Zeitlicher Ausgangspunkt ist das
Jahr 1945. Der erste Hauptteil beginnt demgemäß mit einer Skizze
der literarisch-gesellschaftlichen Lage nach 1945, wobei sehr kritisch
die „erschreckende Kontinuität" in der christlichen Lyrik nachgewiesen
wird. Was Kuschel hier meint, faßt er u. a. so zusammen:
„Rückgriffe auf vertrautes Bild- und Sprachmaterial, Rückgriffe auf
traditionelle Gedichtformen" (dies zu R. Schneider, Bergengruen
u. a.). Schwerwiegender noch ist allerdings der folgende Vorwurf:
„Nein, ein scharfäugiger Blick auf die Wirklichkeit der Nachkriegszeit
wird hier nicht geworfen, und das Grauen des Krieges, das Verbrechen
des Faschismus wird hier in metaphorischer Verschlüsselung eher
pathetisch ,verdunkelt' als in seinen historischen und politischen
Voraussetzungen, Bedingungen und Konsequenzen aufgehellt" (32).
Demgegenüber werden die Beispiele moderner Literatur (Celan, Eich,
I. Bachmann u. a.) hervorgehoben, die der Wirklichkeit entsprechen,
die Wirklichkeit enthalten. Was für die Lyrik gilt, wird auch im
Hinblick auf den traditionellen Jesus-Roman vorgeführt sowie am
Beispiel weiterer christlicher Romane traditioneller Observanz (Ber-
nanos. Greene, Langgässer) erläutert. Allerdings ist hier die Kritik
nicht so scharf und einseitig wie hinsichtlich der traditionellen
Lyriker. So wird u. a. ökumenische und christologische Bedeutsamkeit
eingeräumt, auch die literarische Qualität wird höher angesetzt
(82). Die wichtigsten kritischen Einwände werden in folgenden Fragen
zusammengefaßt: Drohbotschaft statt Frohbotschaft? - Abstraktion
vom spezifisch Christlichen? (85ff). Kuschel nennt hier auch noch
einmal sein kritisches Prinzip: „Maßstab unserer theologischen Kritik
[bezogen auf das christliche Selbstverständnis dieser christlichen Literatur
] ist das Evangelium Jesu Christi selber, wie es im Neuen Testament
bezeugt ist" (87). Das Ergebnis dieses 1. Hauptteils lautet:
„Traditionelle christliche Literatur scheint... am Ende. Aber auch
christliche Literatur schlechthin? Es gilt nun, nach einer neuen Art
christlicher Literatur zu suchen: d. h., die moderne Literatur ist zu
befragen nach Themen und Motiven, Figuren und Formen der Interpretation
des Jesus von Nazaret" (89).

Der 2. Hauptteil ist in diesem Sinne der modernen Literatur
gewidmet. Kuschel hat sich hier für eine systematische Gliederung
entschieden, beginnend mit Themenkreisen. Innerhalb des 1. Themenkreises
„Drittes Reich - Zweiter Weltkrieg" gibt er Beispiele aus
den Werken von Frisch, Borchert, Boll, Andersch, Hochhuth und
Anna Seghers. Der Themenkreis „Nachkriegsgesellschaft" vereinigt
L. Frank, Koeppen und (wiederum) Boll. „Kritik an Religion und
Kirche" (3. Themenkreis): Der Zusammenhang mit dem Jesus-
Thema wird hergestellt durch die Fragestellung: „Was hat die Kirche
aus Jesus gemacht, und welche positive Rolle kann er für sie spielen?"
(177). Hier findet sich eine Fülle von Beobachtungen und Beispielen.
Nur zweierlei sei genannt: Die feministische Thematik klingt im
Jesus-Roman von G. Herburger an: „Warum soll ich Gottes Sohn
sein? Warum bin ich nicht Gottes Tochter oder seine Mutter oder
seine Schwester?" (193). Obwohl der Verfasser dazu offenbar etwas
ungehalten anmerkt, dieser Jesus rede, „als sei er Anhänger von
,Woman's Liberation'" (193), anerkennt er doch bei Herburger einen
„ausdrücklich positive(n) Bezug zur Figur Jesu von Nazaret". Dieser
liege aber z. B. bei G. Grass nicht vor. So schlußfolgert Kuschel: „Von
christlicher Literatur kann hier [bei Grass] keine Rede mehr sein"
(203). Diese Feststellung scheint mir wichtig für das die vorliegende
Arbeit durchziehende Problem der Bestimmung und Abgrenzung von
„christlicher Literatur". Der letzte (4.) Themenkreis ist ganz einem
Schriftsteller gewidmet: Walter Jens („Die Jesusfigur im Werk von
Walter Jens"). Hier besonders gewinnt der Verfasser weitere Kriterien
und neue Fragestellungen und auch den Übergang zum nächsten
Abschnitt des 2. Hauptteils, überschrieben „Figuren" (228ff). Jens
hatte von Jesus als dem Bruder des Judas gesprochen. Jetzt stellt der
Vf. weitere Belege zum Thema „Jesus der Bruder" aus der modernen
Literatur zusammen (Marie Luise Kaschnitz, Ernst Eggimann u. a.),
nachdem ein Rückgriff auf ein frühes Hesse-Gedicht („Jesus und die
Armen") erfolgt war - gemäß der Grundeinstellung des Verfassers zur
traditionellen Literatur erwartungsgemäß kritisch (Schwarz-Weiß-
Kontraste, Duldung und Resignation, 229ff). Weitere Materialien
werden auch zu den Themen „Jesus und die Revolutionären unserer
Zeit" (hier ist die Auswahl und die Interpretation einseitig und keines-