Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1983

Spalte:

607-610

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Wendebourg, Dorothea

Titel/Untertitel:

Geist oder Energie 1983

Rezensent:

Ullmann, Wolfgang

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

607

Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 8

608

beispielhaftes Buch, das jeder Erforscher der christlichen Lehre von
Herzen gern geschrieben hätte und jeder Erforscher der frühchristlichen
Welt lesen muß." Vielleicht stimmt, was Professor Brown da
schreibt, für den Westen der USA; er kennt sich dort besser aus als der
Rezensent. Vielleicht ist ihm auch bloß eine Verwechslung unterlaufen
. Denn für das vorliegende Buch stimmt eigentlich nicht, was er
alles zu loben und preisen findet. Dabei handelt es sich keineswegs um
ein wirklich schlechtes Buch. Seine Qualität entspricht der einer fleißigen
, unnötig breit angelegten Seminararbeit. Der Hauptmangel ist,
daß der Disposition Klarheit und Folgerichtigkeit abgeht.

Die Verfasser haben entdeckt, daß zweimal zwei vier ist, und sind
von ihrer Entdeckung derart fasziniert, daß sie auf jeder Seite erneut
darauf verweisen. Sie haben nämlich herausgefunden, daß die ersten
Arianer - Arius, Asterius und Euseb von Nikomedien - beim Entwurf
ihrer Trinitätslehre nicht von kosmologischen, sondern soteriolo-
gischen Absichten geleitet waren. Das entspricht etwa der Entdek-
kung, daß ein Auto kein Fahrzeug, sondern aus Blech ist. Bis zur Mitte
des vierten Jahrhunderts ist jede Trinitätslehre in soteriologischer Absicht
entworfen. Das steht nicht immer in den Dogmengeschichten,
weil es eine Binsenwahrheit ist. Erst die Kappadokier haben unter
Heranziehung neuplatonischer Gedanken die Entfaltung Gottes von
der Einheit zur Dreiheit in die Transzendenz verlegt. Damit machten
sie das trinitarische Problem lösbar, und die sabellianische Formel
von Nicaea konnte nach geringfügiger Modifikation (Unterscheidung
von Usia und Hypostasis) zur Norm der Rechtgläubigkeit werden. In
soteriologischer Hinsicht war die Trinitätslehre jedoch unfruchtbar
geworden. Gar so aufregend war die Entdeckung der beiden Verfasser
also nicht.

Was aber nun die Disposition anlangt, so kann sich der Rezensent
an keinen Gaul erinnern, der so konsequent vom Schwanz her aufgezäumt
worden wäre. Alles, was hergehört, findet sich - wenn es
überhaupt da ist - an einer Stelle, wo es nicht hingehört. Man sollte
meinen, das Thema lasse sich nicht ohne ausführliche Darstellung der
Entstehung des arianischen Streites abhandeln. Das wenige, was darüber
aber mitgeteilt wird, findet sich zusammenhanglos im letzten der
fünf Kapitel. Das vorausgehende vierte Kapitel behandelt die Vita
Antonii. Diese ist eine der wenigen Schriften des Athanasius, die
nichts mit dem arianischen Streit zu tun hatten. Die Verfasser haben
sie mit der Behauptung an den Haaren herbeigeschleift, die ägyptischen
Mönche hätten im Arianismus einen Heilsweg sehen können,
und das habe Athanasius zur Abfassung dieser Schrift veranlaßt. Mit
der systematischen Darstellung der arianischen Theologie steht es
nicht besser als mit der historischen. Sie steht im dritten Kapitel, hilft
also ebenfalls, die Vita Antonii einzurahmen, und ist im übrigen nicht
besser geordnet als der Rest. - Billigerweise muß man allerdings einrechnen
, daß sich die arianische Theologie möglicherweise gar nicht
systematisch beschreiben läßt. Denn wir sind über Arius und seine
Parteigänger ganz überwiegend durch seine Gegner unterrichtet. Die
Verfasser haben diesen Sachverhalt zwar zur Kenntnis genommen,
haben es aber unterlassen, methodische Konsequenzen daraus zu
ziehen. - Zusammengefaßt: ein Buch, dessen Lektüre viel Mühe
macht und diese Mühe wenig lohnt.

Kiel Heinrich Kraft

Wendebourg, Dorothea: Geist oder Energie. Zur Frage der innergöttlichen
Verankerung des christlichen Lebens in der byzantinischen
Theologie. München: Kaiser 1980. IV, 255 S. 8' = Münchener
Monographien zur historischen und systematischen Theologie, 4.
Kart. DM 42,-.

Wenn nicht alles täuscht, ist die Zahl der Latinophrones unter den
westlichen Ostkirchenforschern wieder im Wachsen. Das zeigte schon
eine Reihe von Publikationen zum Bilderstreit, und auch die hier zu
besprechende Monographie über das Verhältnis des Palamismus zur
Trinitätstheologie, speziell zur Pneumatologie, kann dieser Tendenz

zugeordnet werden. Wir begrüßen diese Entwicklung, solange sie uns
nicht zurückwirft auf die Ritschlianische Abwertung griechischer
Theologie im Stil von Harnack und Kattenbusch. Denn sie ist eine
unvermeidliche Reaktion auf die bekannten Versuche der 60er Jahre,
„die Last des Augustinischen Erbes" abzuschütteln durch eine Rezeption
griechischer Traditionen, die weitgehend historisch-kritischer
Differenzierung ermangelte.

Nun macht uns die Vfn. in ihrer ebenso gelehrten wie engagierten
Studie darauf aufmerksam, daß nicht weniger als der Inhalt der ganzen
Trinitätslehre auf dem Spiele steht, wenn die Relation Gott-Welt
auch in der Gotteslehre selbst zu dominieren beginnt, so daß alle ihre
Aussagen fortan dem Systemzwang unterliegen, auf Innen- oder
Außenrelationen der Trinität aufgeteilt zu werden. Nicht nur die zentrale
Stellung des Neupalamismus in der orthodoxen Theologie von
heute, sondern auch die unlängst von der Kommission für Glaube und
Kirchenverfassung veröffentlichten Ergebnisse der Klingenthalcr
Beratungen über das Filioque-Problem verleihen der so schwer
zugänglichen Texten gewidmeten Arbeit der Vfn. unerwartete Aktualität
. Wir werden hierauf zurückzukommen haben, nachdem die
These der Vfn. und ihre Begründung vorgestellt worden sind.

Der Neupalamismus eines Lossky und vor allem die Palamas-Inter-
pretation von Meyendorff sind es, denen diese These gegenübergestellt
wird. Meyendorff hatte es in seinen Palamas-Studien unternommen
, aus der Zusammengehörigkeit von Trinitäts- und Energienlehre
in der Theologie des Hesychasmus zu zeigen, wie sie beherrscht
sei von einem personalen Gottesbild der existentiellen Realität des
lebendig Seienden (Wendebourg 43).

Ausgehend von der These, daß Gottes Personalität und Lebendigkeit
auf dem Boden des christlichen Bekenntnisses nicht anders als tri-
nitarisch ausgesagt werden können, meldet die Vfn. gerade an diesen
Feststellungen Meyendorffs Zweifel an. Diese Zweifel begründet sie
so, daß sie zeigt, wie die Energienlehre des Hesychasmus die Trinität
mit einem Funktionsverlust bedroht, weil die Unterscheidung von
Usia und Energien den Weltbezug Gottes den Energien zuweist, dergestalt
, daß das heilsökonomische Wirken der Trinität in dem Maß
hinter der Betonung der Energien zurücktritt, wie es Ausdruck der
dreihypostatischen Usia Gottes ist.

Der Nachweis wird so geführt, daß die Vfn. an Hand der Schriften
des Gregor Palamas erläutert, inwiefern die hesychastische Lehre von
der Vergottung dazu zwingt, in Gott ein Wesen (Usia) zu unterscheiden
, an dem schlechterdings keine Kreatur partizipieren kann, von
den Energien, in denen Gott so nach außen handelt, daß er auch Geschöpfe
wie den ihn schauenden Menschen vergotten kann, ohne daß
es zu einer Vermischung von Schöpfer und Geschöpf kommt. Denn
auch Schöpfung ist nichts anderes, als daß Gott an seinen Energien
Anteil gibt.

Der negative Teil der These besteht in einer Diskussion der christo-
logischen Relation Gottes zur Welt und in der Diskussion des Verhältnisses
von Energien und Trinität. Beide Arbeitsgänge bestätigen
das gewonnene Bild: Die Zweinaturenlehre nimmt im Denken des
Gregor Palamas die Gestalt des Urbildes und der Voraussetzung aller
Vergottung an, und die Energien als Gottes Sein nach außen hin
haben nur dann eine Funktion, wenn Gott sich nach seiner trinila-
risch-wesensmäßigen Seite nicht nach außen wendet. Hier wird der
Gegensatz gegen Meyendorffs Versuch, die Energien durch eine Verklammerung
mit der Trinitätslehre als konkret-personale Akte zu
deuten, besonders manifest. Es ist also sorgfältig begründet, wenn auf
S. 64 als Ergebnis die Hauptthese aufgestellt wird, „daß in Palamas'
Konzeption die soteriologische Funktion, die nach den angeführten
westlichen Stimmen der Trinität zukommt, den Energien in ihrem
Gegenüber zur Usia zugeschrieben wird".

Diesem Ergebnis kommt ein solches theologisches Gewicht zu, daß
die Vfn. sich mit Recht gefragt hat, wie tief die von ihr diagnostizierte
Tendenz in der Tradition der byzantinischen Theologie überhaupt
verankert und angelegt ist. Die Antwort auf diese Frage wird in den
drei folgenden Teilen des Buches in retrospektiven Schritten gegeben.