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Ausgabe:

1983

Spalte:

573-576

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Titel/Untertitel:

The Bible and social reform 1983

Rezensent:

Wendelborn, Gert

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573

Theologische Literaturzeitung 108. Jahrgang 1983 Nr. 8

574

Bibelwissenschaft

Barr, David L., and Nicholas Piediscalzi [Eds.]: The Bible in
American Education: From Source Book to Textbook. Philadelphia
, Pa.: Fortress Press; Chico, CA: Scholars Press 1982. X,204 S.
8" = The Bible in American Culture, 5. Lw. $ 12.95.

Sandeen. Ernest R. [Ed.]: The Bible and Social Reform. Philadelphia,
Pa.: Fortress Press; Chico, CA: Scholars Press 1982. VII, 184 S. 8" =
The Bible in American Culture, 6. geb. $ 12.95.

Unter dem Gesamttitel „The Bible in American Culture" gab die
Society of Biblical Literature unter Edwin S. Gaustad und Walter
Harrelson eine Reihe von 6 Aufsatzbänden heraus. Die ersten 4 von
ihnen behandeln: "The Bible and Bibles in America", "The Bible and
Populär Culture in America", "The Bible in Letters and the Arts"
und "The Bible in American Law, Politics, and Rhetoric". Die beiden
abschließenden Bde. der Reihe liegen mir zur Rez. vor. Auch ihr
Thema ist die Frage, in welchem Maße und auf welche Weise die
Bibel sich in den einzelnen Lebensbereichen der USA Geltung verschafft
hat, eine Frage, die in dieser Intensität wohl nur von den Erben
des Puritan Mainstream gestellt werden kann. Die Aufsätze, durchweg
von vorzüglichen Kennern der Materie verfaßt, die selbst mit
ihren Arbeiten den Forschungsstand in jüngster Zeit bereichert haben,
zeichnen sich wie so viele historische Veröffentlichungen in den USA
durch Sachlichkeit und einen hohen Informationswert aus, sind zugleich
aber auch weithin dadurch gekennzeichnet, daß sie die frühere
christliche Haupttradition ihres Landes mit Skepsis betrachten, abgesehen
von deren Anzweiflung auf der Grundlage eines geistigen Pluralismus
indes klare Wertungen vermeiden und lieber Unterschiedliches
gleichsam narrativ nebeneinanderstellen.

Zum Einfluß der Bibel auf die Erziehung in den USA zeigt W. Clark
Gi Ipi n für das 17. und 18. Jh. den für die reformierte Tradition überhaupt
typischen Versuch auf, auf die Unterscheidung der beiden Regimenter
Gottes zugunsten der Schaffung von Holy Commonwealths
v. a. in den Neu-England-Kolonien bewußt zu verzichten. So wurde
die Bibel zum im Grunde einzigen Lehrbuch nicht nur für den Glauben
, sondern auch für die Moral, ja auch für die politische Gestaltung
im weitesten Sinne erklärt, und Kirche, der durch sie geformte Haushalt
und Schule erzogen in engstem Zusammenwirken, wobei letztere
ohnehin im Rückstand war. John H. Westerhoff III legt dar, wie
sich dieses Verhältnis im 19. Jh. allmählich, aber durchgreifend
änderte, indem die Rolle der öffentlichen Schulen zunahm und diese
nicht mehr durch die Kirche, sondern durch den Staat kontrolliert
wurden. Dies führte nicht zur Absage an christlichen Geist an sich,
jedoch zu zunehmender theologischer Entleerung zugunsten von
Ethos und Wertsystem der Mittelklasse im Zeichen der "civic reli-
gion". Hinsichtlich der Kritik des Vf. an der autoritären und repressiven
Prägung der Ethik wird man differenzieren müssen. Wertvoll ist
die Analyse der religiösen Lehrbücher, v. a. der einzelnen Auflagen
des besonders verbreiteten Werkes von McGuffey, auf die in ihm verarbeiteten
- erstaunlich wenigen - biblischen Stoffe und deren Verständnis
hin. Sehr erhellend sind Virginia L. Breretons inhaltsreiche
Ausführungen über jene konfessionellen Schulen, die nicht nur
wie die Sonntagsschulen eine Ergänzung, sondern als Ganztagsschulen
eine Alternative zu den als säkularisiert oder einseitig evangelisch
empfundenen öffentlichen Schulen darstellen wollen. Ein solcher Ersatz
wurde unter zunächst schwierigen finanziellen Bedingungen von
der katholischen Kirche des Landes von Anfang an für erforderlich
gehalten, doch erlangte die Bibel in den katholischen Konfessionsschulen
erst seit Pius XII. Enzyklika „Divino Afflante Spiritu" und
vollends seit dem 2. Vatikanum eine faktische eigenständige Bedeutung
. Erstaunlich ausführlich beschäftigt sich Vfn. mit den mannigfachen
Formen eines eigenständigen jüdischen Schulwesens, das sich
aber lange Zeit hindurch mehr als Ergänzung des öffentlichen verstand
. Evangelische Tagesschulen setzten sich mit Ausnahme konfes-
sionalistisch lutherischer im 19. Jh. nicht durch, doch begriffen sich

die Ende des 19. Jh. entstehenden Bibelschulen und -institute oft
überkonfessioneller Art zunehmend als Alternative zu den Colleges
und Hochschulen mit theologischer Ausbildung, die in schwächerem
oder stärkerem Grade historisch-kritische Bibelbetrachtung rezipiert
hatten. Licht und Schatten ihrer Beschäftigung mit der Bibel werden
überzeugend dargelegt. Schließlich zeigt Vfn., daß nach dem 2. Weltkrieg
v. a. von konservativen Evangelikaien ein nicht unproblematisches
eigenes Netz von Tagesschulen aufgebaut wurde, das die Zahl
dieser Schüler 1945-69 von 10 000 auf80 000 anwachsen ließ.

William L. Sachs widmet sich den seit Ende des 18. Jh. aufgekommenen
evangelischen Sonntagsschulcn und zeigt deren Entwicklungsetappen
auf: Am Anfang ersetzten sie besonders für die arme Bevölkerung
nach englischem Vorbild weithin die fehlende schulische Ausbildung
und waren so Schrittmacher auf dem Weg zur allgemeinen
Schulpflicht, die aber zwecks Vermeidung gesellschaftsgefährdender
Konflikte ebenso großen Wert auf die moralische Besserung wie auf
die geistliche Unterrichtung legten. In der l. Hälfte des 19. Jh. waren
die überkonfessionellen Gesellschaften auch in diesem Bereich besonders
aktiv, während ihre Arbeit in der 2. Hälfte dieses Jahrhunderts
großenteils von den Denominationen übernommen wurde, die jetzt
stärker die kindliche Psyche berücksichtigten und die Bibel historischer
als zuvor zu verstehen suchten, zugleich aber Laienevangelisten
große Möglichkeiten boten. Wie sich - weithin in Rezeption,
wenn auch zugleich in Abschwächung der Erkenntnisse deutscher kritischer
Theologie - an Hochschulen der USA die Einsicht in die historischen
und literarischen Prozesse der Entstehung biblischer Texte
und in ersten Ansätzen auch die in soziale Gegebenheiten ihrer Umwelt
herausbildete, veranschaulicht Thomas H. Olbricht am Beispiel
von 6 Hochschultheologen, die im letzten Viertel des 19. Jh.
wirkten: William H. Green (Princeton), Joseph Henry Thayer(Ando-
ver), Crawford Howell Toy (Harvard), Charles A. Briggs (Union
Theol. Sem.), Benjamin W. Bacon (Yale) und Shailer Mathews (Chicago
). Charles R. Kniker zeigt, wie unterschiedlich die 3 Hauptgruppen
in den Kirchen in ihrer Sicht der Bibel auf die geistigen Wandlungen
1880-1920 reagierten: Fundamentalisten bestanden darauf, daß
die Bibel Gottes Wort sei und deshalb keinerlei Irrtümer aufweise,
statt daß sie richtig festgestellt hätten, daß sie Gottes Wort enthalte.
Eine breite Mittelgruppe, die den Ausschlag gab, grenzte sich nach
beiden Seiten ab und verstand die Bibel als Lebensführer, wenn ihr
liberalerer Flügel auch meinte, daß es schwer sei, sie in das Alltagsleben
umzusetzen. Die 3. Gruppe wissenschaftlich gebildeter Modernisten
wertete sie als besonders wertvollen Bestandteil der Weltliteratur
, wenn man sich auch an Lebensformen des Alten Orients, die auch
im AT ihren Widerhall fanden, stieß. Boardman W. Kathan untersucht
das Herangehen an die Bibel in der heutigen kirchlichen Unterweisung
in seiner Vielfalt. Er berichtet über den fortbestehenden
Gegensatz von Konservativen und Liberalen, aber auch über Versuche
des Brückenbaus, über das Streben, die historisch-kritische
Methode durch andere zu ergänzen oder auch zu ersetzen, sowie über
zunehmend ökumenische, katholische Christen einbeziehende Bibelstudiengruppen
und vergleicht die in den evangelischen Sonntagsschulen
verwandten Lehrmaterialien. Peter S. Bracher und David
L. Barr schließlich kennzeichnen die gegenwärtige Situation an den
öffentlichen Schulen, wo die Bibel in pluralistischer Fortsetzung früherer
Trends des US-Schulsystems nicht mehr konfessionell, sondern
als Grundbestandteil westlicher Kultur gesehen wird, wo nicht eigentlich
mehr die von biblischen Texten gegebenen Antworten wichtig
sind, sondern die Sensibilisierung für eine Vielzahl möglicher Verständnisse
und Entscheidungen. Die Vff. stellen sich voll hinter dieses
Programm, aber dem Theologen, der nicht in einer spätbürgerlichen
Gesellschaft lebt, stellen sich hier schwerwiegende theologische Fragen
. Für Luthers Einsicht, daß Tumulte unvermeidlich sind, wo der
Hl. Geist wirkt, und daß die Geister aufeinander platzen müssen, ist in
dieser Atmosphäre neutralistisch verstandener Toleranz kein Raum.

Den 2. Bd. über das Verhältnis von Bibel und sozialer Reform in der
US-Geschichte eröffnet James P. Ron da mit einem - weithin mit