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Ausgabe:

1970

Spalte:

542-544

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Bauer, Armin Volkmar

Titel/Untertitel:

Freiheit zur Welt 1970

Rezensent:

Duensing, Friedrich

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541

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 7

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Was für Implikationen hat das für das Verhältnis von Ewigkeit
und Zeit und für die Beziehung der eschatologischen Vollendung
zum gegenwärtigen Leben und umgekehrt.

Einen frischen, neuen Zugang zu Fragen dieser Art sucht man
in dem Buch von Mouroux, dessen französische Ausgabe 1962 bei
Editions Montaigne-Aubier in Paris erschien, vergeblich. Die
Chance dazu ist verschüttet durch eine allzu unkritische Identifikation
mit der traditionellen Begriffsbildung. Bibelworte, Zitate
aus patristischen Werken, Aussagen des kirchlichen Lehramtes,
moderne Literatur und immer wieder Thomas von Aquin - all
das wird auf derselben eindimensionalen Linie, ohne historische
Differenzierung, aufgereiht. Daher bleibt der Raum für Rückfragen
von gegenwärtiger Erfahrung her an traditionelle Formulierungen
von vornherein verschlossen. Daß auch dieses Buch von
einer Gegenwartsperspektive geleitet ist, läßt sich nur mühsam
aus Implikationen und bestimmten Akzentsetzungen entnehmen.

Bereits der erste Teil - Gott und die Zeit (17-92) - überrascht
durch die Selbstverständlichkeit, mit der der Vf. die traditionellen
Kormein der Gotteslehre verwendet, ohne sie auch nur nochmaliger
Begründung für bedürftig zu halten. Die scharfe Luft der atheistischen
Kritik ist hier so gründlich ausgesperrt, daß besonders
das erste Kapitel (Der ewige Gott) geradezu ein Bedürfnis nach
der reinigenden Kraft der atheistischen Argumente provoziert. Mit
der Gotteslehre werden Schöpfung und Anthropologie unter dem
Gesichtspunkt der Zeitproblematik erörtert. Dabei heben sich die
anthropologischen Ausführungen (70-92) vom Rest des Buches ab
durch ihre phänomenologische Orientierung, die die Lektüre hier
wirklich interessant macht. Hätte doch der Autor sein Buch von
den hier gewonnenen Gesichtspunkten her geschrieben! Es wäre
ihm vielleicht gelungen, den traditionellen Formeln neue Aspekte
abzugewinnen. So lohnte es sich, den freilich nicht völlig neuen
Gedanken, dafj der Mensch durch sein Ich in der Zeit die Zeit
transzendiere (82 f.) und so „Fragmente der Ewigkeit" realisiere
(73), weiterzuverfolgcn. Allerdings müßte dabei das Reden von
Ewigkeit erst aus diesen Phänomenen und also aus der Zeiterfahrung
des Menschen, gerechtfertigt werden, während M. durch
seine unproblematische Einführung des Begriffs Ewigkeit über die
Problematik des Phänomens (Verhältnis jener Sclbsttranszendcnz
des Menschen zu den Zeitmodi) weggleitet.

Die Darstellung folgt weiter der traditionellen Reihenfolge der
dogmatischen Traktate: Der zweite Teil behandelt „Christus und
die Zeit" (93-198), wobei der Einsatzpunkt so „hoch" wie möglich
bei Spekulationen über das ewige Wort Gottes genommen, die
Konkretion der historischen Gestalt Jesu dagegen kaum erreicht
wird, obwohl der in der katholischen Christologie aktuellen
Problematik des Bewußtseins Christi ein eigenes Kapitel gewidmet
wird: Das vorgegebene Zeit'Ewigkeit-Schema verstellt auch h;cr
die Möglichkeit weiterführender Beleuchtung von der Zeitthematik
her. Die orthodox thomistische, aber monophysitischer Implikationen
verdächtige Wendung, es sei „das Wort, das sich durch se;n
menschliches Bewußtsein denkt, und nicht umgekehrt" (116), wird
wie selbstverständlich eingeführt. Die Sendung Christi wird ohne
weiteres auf seinen Tod bezogen, im Sinne der Satisfaktionslehrc,
ohne daß die Problematik einer solchen Behauptung mit einem
Wort erwähnt würde (122 ff.). Besonders bezeichnend ist die
dogmatische Unbekümmertheit, mit der Christi „Wissen und
Zukunft" behandelt wird (133 ff.), ohne jede Rücksicht auf die
Frage, ob Jesus sich nicht über den Zeitpunkt des Vollanbruchs
der Gottesherrschaft getäuscht hat, indem er dieses Ereignis für
die damals lebende Generation erwartete.

Im Anschluß an die Christologie wird die Ekklesioloaie auf
ihren Zeitbezug untersucht (Die Kirche und die Zeit, 199-327).
Das „schon" und „noch nicht" der christlichen Existenz kommt
wieder nur in der vorgegebenen Zuordnung von Zeit und Ewigkeit
zur Sprache. Originelle Akzente finden sich hier nur in dem
Kapitel über die Zeiterfahrung der christlichen Mystik, die am
Beispiel des Johannes vom Kreuz erörtert wird. Beim Schiuliabschnitt
über „die Zeit der Hoffnung im Tode" (331-3.50) ble;bt
lediglich die auch sonst in der katholischen Theoloqie zu beobachtende
Neigung zu verzeichnen, die Auferstehungshoffnung in
eine christliche intorpretatio mortis zu verwandeln.

München Wolfhnrl PnimPiilnTK

Bauer, Armin Volkmar: Freiheit zur Welt. Zum Weltverständnis
und Weltverhältnis des Christen nach der Theologie Friedrich
Gogartens. Paderborn: Verlag Bonifacius-Druckerei [1967].
284 S. gr. 8° = Konfessionskundl. u. kontroverstheologische
Studien, hrsg. v. Johann-Adam-Möhler-Institut, 25. Lw. DM 19,80.

Auch der katholische Theologe steht, wenn er das weit verbreitete
„Unbehagen des Glaubens angesichts einer verweltlichten
Welt" (15) aufhellen möchte, vor dem Datum der Reformation und
der Aufklärung. Der Ratzinger-Schüler A. V. Bauer möchte sie
geradezu als „unbeantwortete Anrufe Gottes" (198) an seine Kirche
verstehen und bringt von daher eine vorbildliche Aufgeschlossenheit
für Gogartens Theologie mit, in der er vereinigt findet
„die reformatorische Erkenntnis von der personalen, schenkenden
... Liebe Gottes.. mit dem Erbe der Aufklärung, dem Ausgang
der Vernunft. . aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit"
(198). Hauptertrag ist eine gut lesbare und im wesentlichen
zutreffende Darstellung dessen, was der ältere G. als das
christliche Weltverständnis und Wcltverhältnis herausgearbeitet
hat - so breit angelegt, daf3 im Zusammenhang mit diesem Thema
die wichtigsten Positionen von G.s Spätwerk überhaupt deutlich
werden.

Bereits die Ausführungen über „die Welt als das dem mündigen
Sohn zur Verwaltung anvertraute Erbe" (48 ff) und über den
dreifachen Sinn der „im Glauben erschlossenen Freiheit des
Christen" (von der Welt - für Gott - für die Welt, 52 ff) gelangen
zu der Feststellung: der konsequente „Dualismus von Glauben urd
Werk, Heilsbezug zu Gott und Sachbezug zur Welt, macht einen
Wesenszug seiner Theologie aus" (55). B. verdeutlicht von hier aus
G.s unermüdlichen Einspruch gegen jede materiale „christliche"
Ethik zugunsten der vernünftig-sachlichen Erkenntnis als e;nziger
sachlicher Norm. Dem „unvermischt" dieses Dualismus entspricht
das „ungetrennt": „So bildet der Glaube für das Tun des Menschen
keinen Inhalt, gibt keine Anweisung, sondern bildet nur einen
klärenden; befreienden Horizont, ein Strukturprinzip des Handelns
" (59). - Wie sehr G.s Personalismus, sein Glaubensverständnis
und sein Weltbegriff einander tragen und bedingen,
macht der Abschnitt über „Das geschichtliche Verständnis des Heils
als Kernstück des christlichen Glaubens" (73 ff) klar: »geschichtlich"
meint bei G., dafj sich „das heilsbedcutsame Geschehen in unserm
unveränderten Menschentum, in der Subjektivität, als personales
Geschehen zuträgt" und als solches „nicht sachlich feststellbar,
objektivierbar, nachprüfbar ist" und drittens die menschliche
„Verantwortung für die Welt als Gottes Schöpfung" (78) einschi ebt.
Die Eröffnung dieser „Geschichtlichkeit", die „Erschließung dieser
Subjektivität ist die Weltwende, die in Jesus Christus geschah.
Seit Christus ist der Mensch geschichtlich", so umreißt B. diese
Sicht und ihre geistesgeschichtliche Abzweckung: „In Christus
geschieht der Umschlag vom naturalistisch-kosmischen ins personal
-geschichtliche Denken (79). Im Zusammenhang damit
kommt auch G.s scheinbar mühelose Verrechnung der ntl. Escha-
tologie auf die eigene Fragestellung zur Sprache, daß nämlich
Weltende und neue Welt wesentlich das zu beendende alte bzw.
das zu gewinnende neue Welt v e r h ä 11 n i s meinen (80 ff).
Verräterisch nachträglich wird in diese Darstellung dann G.s
„theologische Leitlinie Gesetz und Evangelium" eingezeichnet,
wie sie nach B.s doch wohl zu günstigem Urteil gradlinig aus
der frühen „dialektischen" und mittleren „ethischen" Theologie
zum Spätwerk führen und auch die Interpretation der Weltwende
tragen soll (85 ff). Sinnvollerweise wird im weiteren auch das
spezifische Geschichtsbild skizziert, mit dem G.s Konzeption
auf Gedeih oder auch Verderb verwoben ist und dessen so
anregendes Grundprinzip dahin lautet, „daß immer neue Ge
stalten des Gesetzes heraufziehen und vom Evangelium entlarvt
und überwunden werden müssen" (95). Auch die an der
Unterscheidung von legitimer, heilsnotwendigcr Säkularisierung
und illegitimem, heillosen Säkularismus orientierte Bestands
aufnähme der neuzeitlichen Welt und Kultur ist zutreffend
gesichtet, ehe sich die Darstellung im Sinne des Buchtitels zusammenfaßt
und der „personal-geschichtliche Glaube" dargetan
wird als die Antwort auf die heute notvolle Frage nach dem
richtigen Weltverhältnis des Menschen (141 ff, 156 ff). Mit einem
früheren Satz: „Sohnschaft zu Gott schließt religiöse Weltverchrung
aus und begründet sachliches Weltverhältnis" (48).