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Ausgabe:

1968

Spalte:

110-111

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Gogarten, Friedrich

Titel/Untertitel:

Die Verkündigung Jesu Christi 1968

Rezensent:

Schulze-Kadelbach, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 2

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eschatologischen Größen „Gottesreich" und „kommender Menschensohn
" in der Verkündigung Jesu und in der syn. Redaktion
unverbunden nebeneinanderstehen, stellt dann die Unechtheit
der Worte vom kommenden Menschensohn fest (womit dann
alle Menschensohn-Worte unecht sind) und prüft schließlich die
jüdische Eschatologie: Auch hier gibt es nur das unverbundene
Nebeneinander von Gottesreich und Menschensohn. Das Ergebnis
: „Da Jesus die Gottesherrschaft verkündigt hat, hat er nicht
den Menschensohn verkündigt" (S. 114). Ein Schlufjabschnitt skizziert
schließlich noch, „warum der strenge Begriff der Gottesherrschaft
die Erwartung des Menschensohnes ausschloß und wie es
in der ältesten Gemeinde zur Entstehung der Menschensohn-Erwartung
sowie zur Bildung von Menschensohn-Worten gekommen
ist" (S. 93). Dieser Aufsatz hat die kritischste Diskussion
ausgelöst, wie sofort

der fünfte Aufsatz (Jesus und der Menschensohn. Zur Diskussion
mit Heinz Eduard Tödt und Eduard Schweizer) zeigt.
Es geht hier allein um die Menschensohn-Worte: Tödt hält die
vom kommenden für echt, Schweizer die vom gegenwärtig wirkenden
, Vielhauer gar keine. Die glänzende Apologie der eigenen
Position zeigt eindrucksvoll, wie schwer die historisch, formgeschichtlich
und traditionsgeschichtlich abgesicherten Argumente
V.s ernsthaft zu erschüttern sind.

Der sechste Aufsatz (Ein Weg zur neutestamentiiehen Chri-
stologie? Prüiung der Thesen Ferdinand Hahns) holt eine zum
Teil hochgelobte Arbeit mit messerscharfer Kritik in ihre Schranken
zurück. Der Titel zeigt an, worin V. das Fragliche der
Arbeit Hahns über die „christologischen Hoheitstitel" (1963) sieht:
„Die Frage, die vor 50 Jahren durch Boussets Kyrios Christos
gestellt worden war, ist hier nicht beantwortet, sondern einfach
ignoriert. Abgesehen von den. .. Beobachtungen zur hellenistisch
-judenchristlichen Christologie führt H.s Buch weder historisch
noch theologisch über die einschlägigen Abschnitte in
Rudolf Bultmanns Theologie des Neuen Testaments hinaus" (S.
198). Die Länge des Aufsatzes (58 S.!) zeigt, daß V. die Bedeutung
des Buches wohl zu würdigen weiß: „Scharfsinn, Kenntnis
und Fleiß des Verfassers verdienen vorbehaltlose Anerkennung"
(S. 195).

Im siebenten Aufsatz (Erwägungen zur Christologie des
Markus-Evangeliums) geht es „um die Frage nach der Bedeutung
der Geschichte Jesu für die Christologie des Markus"
(S. 199). Hier bietet V. eine neue Hypothese an: Markus komponiert
den Traditionsstoff nach dem Schema eines Inthronisationsaktes
(vgl. 1. Tim. 3, 16; Hebr. 1, 5-13; Apk. 5) mit den
deutlich zäsurierten Stufen „Adoption" 1, 11; „Proklamation" 9, 7
und „Akklamation" 15, 39, über die Jesus zum eschatologischen
König und Kosmokrator eingesetzt wird (S. 213). Das bedeutet
für die obengcstellte Frage: „Die irdische Geschichte Jesu ist für
Markus nicht Gegenstand der Apologetik, sondern Heilsgeschehen
; das .Buch der geheimen Epiphanien' ist Heilsverkündigung,
cvayyeXtov" (S. 214). Damit stellt V. eine andere Markus-Deutung
zur Diskussion als G. Bornkamm und W. Marxsen. Die Hypothese
ist bestechend. Selbst wenn sich das Inthronisationsschema
als unhaltbare Konstruktion herausstellen sollte: Der theologische
Wille des Evangelisten scheint mir hier überzeugend erfaßt
.

Der achte Aufsatz (ANAIIAYSIS. Zum gnostischen Hintergrund
des Thomas-Evangeliums) bietet zunächst eine Materialsammlung
der bisher bekannten gnostischen „Ruhe"-Spekula-
tionen und versucht dann von hier aus die fünf „Ruhe"-Logicn
des Thomas-Evangeliums „deutlicher und farbiger" werden zu
lassen (S. 227). Das Ergebnis: „Das Verständnis der ,Ruhe' im
ThEv zeigt eine starke Verwandtschaft mit dem der anderen
hier behandelten gnostischen Texte und ist doch ganz eigenständig
. Besonders auffällig ist das Zurücktreten der mythologischen
Spekulation, das Zurückdrängen der futurischen zugunsten der
präsentischen Eschatologie und das Fehlen der mystisch-ekstatischen
Prolepscn. Die durch ,Gnosis' gewonnene ,Ruhe' ist die
in diesem Leben schon vollzogene Rückkehr des Ich zu seinem
göttlichen Ursprung, d. h. zu sich selbst" (S. 234).

Die beiden letzten Aufsätze (Franz Overbeck und die neu-
lestamentliche Wissenschalt; ferner: Urchristentum und Christentum
in der Sicht Wilhelm Kamlahs) sind mehr systematischer
Natur. Die Studie über F. Overbeck stellt dessen Arbeit,
Motive und Problemstellungen dar, und zwar unter dem ausdrücklichen
Desiderat, sie möchten zäun Nutzen der neutestamentiiehen
Wissenschaft heute wieder aufgenommen werden. Der
Aufsatz ist eine Verneigung vor dem „kritischen Theologen, dem
Basler Ordinarius für Neues Testament und Alte Kirchengeschichte
" (S. 236). Und es mag kein Zufall sein, daß sie gerade
vor diesem Theologen geschieht! Denn aus der „rein historischen
Betrachtung" des Neuen Testamentes (Overbeck) gewinnt
auch V. selbst die für die Theologie eigentlich relevanten Fragestellungen
.

Der letzte Aufsatz ehrt den Lehrer R. Bultmann zum 70. Geburtstag
. Er stellt eine Prüfung der Thesen von Kamlahs Buch
„Christentum und Geschichtlichkeit" (1951) dar, das ja im Titel
Bultmanns ureigenstes Thema angibt. Es geht um die Frage, wie
aus dem eschatologisch bestimmten Urchristentum die Weltreligion
des Christentums werden konnte. V. beurteilt die Thesen
durchaus kritisch, bekennt sich aber doch zum Ernstnehmen des
hier auftauchenden Selbstverständnisses heutiger Philosophie,
weil das der Theologie zu größerer Klarheit ihrer eigenen Problematik
verhilft (S. 282).

Die Aufsätze haben eine zum Teil sehr lebhafte kritische Diskussion
ausgelöst. Aber sie behaupten darin eine bemerkenswert
feste Position. Man mag in Einzelheiten anders urteilen. Aufs
Ganze gesehen sind durch die exegetische Arbeit V.s historische
und theologische Kenntnisse vermittelt worden, die fester Bestandteil
der gegenwärtigen historisch-kritischen Erforschung des
Neuen Testamentes sind. Der schmale Aufsatzband ist darum
eine Kostbarkeit in jeder wissenschaftlich-theologischen Handbibliothek
.

Bochum Erich Größer

Gogarten, Friedrich: Die Verkündigung Jesu Christi. Grundlagen
und Aufgabe. 2. Aufl., durch ein Register erweitert. Tübingen
: Mohr 1965. 568 S. gr. 8° = Hermeneutische Untersuchungen
z. Theologie, hrsg. v. G. Ebeling, E. Fuchs, M.
Mezger, 3. Kart. DM 29.-; Lw. DM 34.-.

Vor 18 Jahren erschien die 1. Auflage dieses umfangreichen
Werkes in Heidelberg bei L. Schneider. Seine Herausgabe wurde
damals ermöglicht durch eine Rohstoffspende der Amerikanischen
Sektion des Lutherischen Weltbundes an das Hilfswerk der Evangelischen
Kirchen in Deutschland. Dieses lebhafte Interesse an
seiner Veröffentlichung hat sich als durchaus berechtigt erwiesen
, und es ist sehr wohl verständlich, daß es jetzt in die Hermeneutischen
Untersuchungen zur Theologie, herausgegeben von
Gerhard Ebeling, Ernst Fuchs, Manfred Mezger, als Bd. 3 aufgenommen
worden ist. War das Werk G. bei seinem ersten Erscheinen
ein Buch von erregender Aktualität, so ist heute die in
ihrem Text unveränderte 2. Auflage ein bedeutsames theologie-
geschichtliches Ereignis. Es lohnt ein aufmerksames Studium,
wenn ein Forscher und Denker wie Friedrich Gogarten angesichts
der lebhaften Erörterungen, die die von ihm behandelten
historischen, exegetischen und hermeneutischen Probleme inzwischen
gebunden haben, seine durch jahrelange, eingehende Beschäftigung
mit dem Stoff gewonnenen Erkenntnisse nicht nur
festhält, sondern durch ihre wörtliche Wiederholung ausdrücklich
betont.

Als wertvolle Hilfe für eine Arbeit mit G. Werk erweisen
sich die drei in der 2. Aufl. neu hinzugekommenen Register.

Beim Stellenregister überrascht die große Zahl der Anführungen
aus dem AT. Vor allem sind die Psalmen und das Jesaia-
buch berücksichtigt. Die Zitate dienen aber nie als bloße dicta
probantia, sondern werden stets theologisch ausgewertet, so daß
sie nicht nur selbst in ihrem Sinngehalt oft neu erschlossen werden
, sondern dadurch auch die Gedankengänge, in die sie eingefügt
sind, wesentlich erhellen. Es ist nicht auffallend, daß vom
NT vor allem Stellen aus den Synoptikern und Paulus erscheinen
, verarbeitet doch G. je in einem Buch seines Werkes diese
ntl. Schriften, aber es ist für das Verständnis des Verfassers und
seines Anliegens wichtig, zu sehen, daß und wie das Joh.-Ev. benutzt
wird. Es geschieht nicht, um die in den Synoptikern er-