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Ausgabe:

1968

Spalte:

874-876

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bea, Augustin

Titel/Untertitel:

Einheit in Freiheit 1968

Rezensent:

Schweitzer, Wolfgang

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Damit ist das Programm aufgestellt, das nun in einzelnen
Kapiteln als Darstellung einer biblischen Theologie vorgelegt wird,
mit der den Aussagen des zweiten Vatikanischen Konzils ihre
Grundlage gegeben werden soll.

Wir greifen nur einiges heraus. Wir hörten schon von der
Unterscheidung zwischen horizontaler und vertikaler Universalität
des Gottesvolkes. Die kleine Herde des Gottesvolkes, das in der
römisch-katholischen Kirche zusammengeführt ist, ist mit der
großen Zahl der nichtkatholischen Christen verbunden, die in einer
gewissen Gemeinschaft mit den katholischen Christen stehen, und
zwar durch die Taufe und andere liturgische Handlungen. Die
katholische Kirche ist aber auch mit denen verbunden, die von
Christus nichts wissen, aber dennoch „zur Kirche gehören" - das
ist der Ausdruck von Paul VI. - kraft „einer geheimnisvollen
Barmherzigkeit Gottes, die mit der von Christus erlösten Menschheit
und folglich mit der Kirche auch die unermeßlichen Mengen
von Menschen verbinden kann, ,die in Todesschatten sitzen' und
dennoch von der göttlichen Güte geschaffen worden sind und geliebt
werden" (S. 124). Es legt sich also um die Kirche eine „unbestimmbare
Zone der Heilszugehörigkeit", wodurch sie sich ausgedehnter
vorkommt, als sie erscheint. Es wird Cardinal Journet
zitiert: „Sie weiß, daß das, was in ihr sichtbar und ganz verwirklicht
ist, nur der Kern einer unermeßlichen Nebelwolke des Heils
ist" (S. 124).

Aber ist dieser Heilsuniversalismus, der durch die vertikale
Universalität nun auch die Menschen aller Zeiten mit der jetzt
auf Erden existierenden pilgernden Kirche in Verbindung bringt
und die ganze Menschheitsfamilie nicht nur potentiell, sondern
wirklich zur Familie des himmlischen Vaters und zur Familie der
Brüder Christi macht, wirklich biblisch begründet?

Die Einbeziehung in das Heil geschieht allerdings nicht voraussetzungslos
. Voraussetzung - wieder nach den Worten des
Papstes Paul - ist: eine ehrliche Orientierung des Lebens, die
Bereitschaft zu einer sittlichen Rechtschaffenheit gegenüber jener
geheimnisvollen Barmherzigkeit Gottes. Aber wird hier nicht das
Heil in Christus umgedeutet in einen Heils zustand, der sich
über das Ganze der Menschheit aller Zeiten und Räume legt und
diese in verschiedenen Graden in sich einbezieht? Ist hier nicht
das Heil von seinem Ruf zur Entscheidung, von seinem Gerichtsund
Gnadencharakter gelöst? Gewiß wird die pilgernde Kirche
hier auf Erden, die noch nicht zu Hause ist, von der „Wiederherstellung
" aller Dinge unterschieden, aber diese hat nach Bea schon
begonnen und überlagert geradezu als Verheißung das Dasein der
pilgernden Kirche, so daß aus dieser nun schon fast die triumphierende
wird, in der der Menschheit als ganzer - auf geheimnisvolle
Weise - das Heil schon zuteil geworden ist. Damit scheint
die Gegensätzlichkeit von Kirche und Menschheit geradezu aufgehoben
zu sein, obwohl davon auch geredet wird. Man bedenke
die möglichen Konsequenzen dieser Theologie für moderne theologische
Parolen, nach denen das Heil in Christus, wenn davon
überhaupt noch pointiert gesprochen wird, in einer Christusimmanenz
in den geschichtlichen Gegebenheiten des Wandels der
Gesellschaft gefunden wird. Bea gibt - wie mir scheint - von
ganz anderen Voraussetzungen her dieser irreführenden Geschichtstheologie
eine Rechtfertigung, die er sicher nicht die Absicht
hat zu stützen.

Man hätte sich gewünscht, daß die massive und oft wenig
transponierte Sprache des Konzils bei der biblisch-theologischen
Durchleuchtung aufgelockert und differenziert worden wäre.

Das geschieht weithin nicht, weil das biblische Zeugnis selbst
nicht in seinen verschiedenen und auf besondere Situationen zugespitzte
Pointierungen vorgetragen wird, sondern meist in un
transponierter Argumentation.

Kann zum Beispiel das Kapitel „Die Kirche als Braut und Mutter
" so noch verstanden werden, wie es geschrieben ist? Und der
Interpretationsraum ist doch, wie wir gelernt haben, in der
römisch-katholischen Kirche von erheblicher Breite.

Kann man so unübersetzt von der „Welt der Geister" reden,
wie es zum Beispiel in Kapitel 7 geschieht, selbst wenn auch nicht
mehr „Engelabbildungen mit den Flügeln" oder der Vorstellung
von Geistern überhaupt das Wort geredet wird, die geoffenbartc
Wahrheit über die Geisterwelt dann aber doch zum Wesensbestandteil
der christlichen Auffassung vom Leben erklärt wird?

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Bea stellt gelegentlich selbst die Frage, die man bezüglich der
Methode an das ganze Buch stellen möchte, wie diese Gedanken,
die „nach Phantasterei riechen oder wie reine Utopie vorkommen"
dem Skeptiker von heute nahegebracht werden können. Allerdings
ist diese Frage zu stellen, und man kann sie kaum so schnell
damit beantworten, daß es sich hier um klare Lehre der Heiligen
Schrift handle, bei der einem nichts anderes übrig bleibe, „als
sie mit erleuchtetem, zugleich aber demütigem Glauben anzunehmen
" (S. 149). Die differenziertere biblisch-theologische Darlegung
hätte hier helfen können, das komplexe Material des Konzils besser
verarbeiten zu können, abgesehen von den sachlichen Einwänden.
Von großer Wichtigkeit ist nun der Gedanke, daß die dargestellten
Wirklichkeiten, die das Geheimnis von Kirche und Menschheit betreffen
, nicht von abstrakter theologischer Art sind, sondern in
der Liturgie der Kirche gelebt und eingeübt werden. „Wenn
es wahr ist, daß das Erlösungswerk sich durch die Liturgie
vollzieht" - Liturgie natürlich im Sinne des vollen Verkündi-
gungs- und Sakramentsgottesdienstes - „dann bildet überdies die
bewußte, tätige und fruchtbare Teilnahme der Glieder der Kirche
an den liturgischen Feiern den ersten, grundlegendsten und stärksten
Beitrag zur Verwirklichung des Reiches Gottes in der Menschheit
, damit diese zur Familie Gottes, zum Volk Gottes werde"
(S. 201). Vielleicht liegt gerade hier ein wichtiger ökumenischer
Anstoß des Buches, obwohl auch zum Beispiel im Protestantismus
nicht unbekannt ist, daß die Heilswahrheit immer Wahrheit im
Vollzug ist, im gottesdienstlichen Vollzug, sei es in der besonderen
gottesdienstlichen Feier oder im Gottesdienst „im Alltag
der Welt".

Was unsere Gottesdienste davon gewinnen könnten, wenn sie
diese Dimension Kirche-Menschheit-Reich Gottes wirklich mit in
ihre Gestaltung hineinnähmen, wenn es zu einer beständigen
„Osmose" zwischen Kirche und Menschheit käme!

Aber ob man nicht kritischer von dem reden müßte, was die
Kirche Förderliches für die Einheit der Menschheitsfamilie tun
kann? Gibt die Kirche wirklich ein Beispiel? „Die Kirche zeigt
nicht nur das wahre Bild der Einheit, sondern gibt der menschlichen
Gemeinschaft lebendige Kräfte, um sie zu verwirklichen"
(S. 235). Ist das nun nur wiederum von der römisch-katholischen
Kirche her gesagt und nicht von einem ökumenischen Aspekt der
Christenheit, bei dem man dann allerdings nicht so leicht vom
Beispiel der Einheit sprechen könnte?

Das Buch rührt ein wichtiges Thema an, das mit dem zweiten
Vatikanischen Konzil neu gestellt ist und für die gegenwärtige
Situation von Kirche und Theologie wichtigste Konsequenzen hat.
Kritische Fragen sowohl zur Sache wie zur Methode der Argumentation
mußten gestellt werden, ohne daß Details berücksichtigt
werden konnten. Gerade der hohe Respekt vor der großen ökumenisch
-theologischen Leistung des Verfassers gebietet es, diese
in Freimut zu äußern.

Bochum Hans Heinrich Wolf

Bea, Augustin, Kardinal: Einheit in Freiheit. Betrachtungen über
die menschliche Familie. Aus dem Englischen übertragen. Stuttgart
, Berlin, Köln, Mainz: Kohlhammer 1964/65. VII, 304 S. 8°.
Lw. DM 19,80.

Wenn man verstehen will, wie der Leiter des Sekretariats für
die katholischen Einheitsbemühungen seine Arbeit theologisch begründete
und in welchen Zusammenhängen er sie sah, ist dies
Buch wohl unentbehrlich. Differenzierte theologische Diskussionen
enthält es freilich kaum: die Argumentation ist eher allgemeinverständlich
und thetisch zu nennen. Vielleicht wäre das anders
ausgefallen, wenn das Original nicht in englischer, sondern in
deutscher Sprache abgefaßt worden wäre.

Die zwölf locker aneinandergereihten Kapitel tragen folgende
Überschriften: 1. Begegnungen freier Menschen, 2. Wahrheitsliebe
und Nächstenliebe, 3. Die „Massenmedien" der Kommunikation,
4. Die Wirkung von Papst Johannes XXIII., 5. Weltprobleme in
einer Weltversammlung, 6. Die dynamische Einheit der Kirche,
7. Die Verteidigung der Freiheit, 8. Kirche und Freiheit, 9. Das
Ärgernis der kirchlichen Spaltungen, 10. Das Konzil und die Einheit
der Christen, 11. Unterwegs zur Einheit der Christen, 12. Doppelte
oder einfache Einheit. Dazu kommen drei Dokumente im
Anhang: I. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (UNO 1948),
II. Das Gebet von Major Gordon Cooper (bei seinem Weltraum-

Theologische Literaturzeitung 93. Jahrgang 1968 Nr. 11