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1967

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Kirchengeschichte: Neuzeit

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Theologische Literaturzeirung 92. Jahrgang 1967 Nr. 2

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bevor man etwas von seinen Schriften wußte, kein Unbekannter.
Man weiß aus anderen Quellen schon lange, daß er zunächst ein
prominenter Anhänger des Petrus Waldes war; erst 1207 wurde
er bei einem Streitgespräch in Pamiers zusammen mit einer
Gruppe von Anhängern durch den Bischof Diego von Osma für
die Kirche zurückgewonnen, um dann mit seinen Anhängern die
Genossenschaft der „Katholischen Armen" zu bilden, deren Aufgabe
unter anderem die Bekämpfung der Katharer war'. Das war
keineswegs eine neue Aufgabe für diese Gruppe, denn bekanntlich
standen die frühen Waldenser in der Bekämpfung der Katharer
keineswegs hinter den Vertretern der Kirche zurück. Dementsprechend
besteht heute kein Zweifel mehr, daß Durand bereits in
seiner waldensischen Periode, und zwar wahrscheinlich zwischen
1190 und 1200 eine größere antikatharische Schrift verfaßte, den
Liber antihaeresis, dessen Auffindung wir ebenfalls A. Dondaine
verdanken1. Bezeichnenderweise hat Durand in seinem späteren,
nach Ansicht der Herausgeberin etwa 1222/2 3 abgefaßten L. c. M.
in beträchtlichem Umfange auf das Material zurückgegriffen, das
er bereits — etwa 30 Jahre früher — im Liber antihaeresis zur Bekämpfung
bzw. Widerlegung der Katharer zusammengestellt
hatte. Das ist nicht allzu überraschend, da die Waldenser in ihrer
Frühperiode durchaus auf dem Boden der kirchlichen Lehre standen
und vorwiegend Mißstände in der kirchlichen Praxis scharf
bekämpften. Dankenswerterweise hat die Herausgeberin derartige
Parallelen zum Liber antihaeresis im Anmerkungsapparat der
Ausgabe des L. c. M. jeweils verzeichnet.

Durand von Huesca hat also jahrzehntelang — erst als
Waldenser, dann als Mann der Kirche — in intensiver Auseinandersetzung
mit den Katharern gestanden und ist so ein ausgezeichneter
Kenner des Katharertums geworden. Man darf ihm
deshalb sicher glauben, wenn er im Prolog des L. c. M. ausdrücklich
feststellt, daß er in der folgenden Darlegung die Ketzer nicht
auf einen bloßen Verdacht hin bekämpfte, sondern nur gegen
solche irrigen Auffassungen polemisiere, die er bei Disputationen
selbst von führenden Vertretern der Ketzer gehört oder in ihren
Schriften gefunden habe (S. 82). Daher trägt nicht nur der teilweise
aufgenommene katharische Traktat, sondern durchaus auch
die Darlegung des Durand selbst dazu bei, unsere Kenntnis von
den Katharern bzw. ihren Anschauungen zuverlässig zu erweitern.
So bietet Durand z. B. nunmehr den frühesten Beleg für die Benutzung
der apokryphen Visio Isaiae durch die Katharer, die er
übrigens selbst gelesen hat (S. 256 f.). Im übrigen bezeugen sowohl
die Ausführungen des katharischen Traktats als auch die
des Durand selbst, daß die südfranzösischen Katharer damals
noch immer eine radikaldualistische Weltauffassung vertreten. Da
jedoch die katharische Traktat nur einzelne wesentliche Artikel
der katharischen Lehre nebeneinandergestellt bzw. diese als
richtig zu erweisen sucht und auch Durand dieses Schema übernimmt
, um dann seinerseits den Gegenbeweis — wiederum mit
Hilfe von Zitaten aus der Heiligen Schrift — zu führen, tritt
nirgends das gesamte katharische Lehrgebäude in seinem inneren
Zusammenhang hervor, was für den heutigen Leser natürlich
manche Schwierigkeiten mit sich bringt.

Aus diesem Grunde sei hier noch auf die Manifestatio haeresis Al-
bigensium et Lugdunensium verwiesen, die wiederum A. Dondaine vor
nicht langer Zeit in einer aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts stammenden
Handschrift der Reimser Stadtbibliothek fand und 1959 veröffentlichte5
. Diese Schrift eines Vertreters der Kirche faßt in überaus prä-

3) Vgl. dazu die Darstellung von H. Grundmann, Religiöse Bewegungen
im Mittelalter, Berlin 1935, S. 100 f. (auch Neudruck, Hildesheim
1961); ders., Ketzergeschichte des Mittelalters (= Die Kirdie in
ihrer Geschichte, Bd. II, Lief. G), Göttingen 1963, S. 36.

4) Mitgeteilt im Archivum Fratrum Praedicatorum 1946. Einzelne
Kapitel des Liber antihaeresis edierte Ch. Thouzellier, La profession
trinitaire du vaudois Durand de Huesca, Recherches de theologie
ancienne et medievale 27, 1960, S. 283 ff.; dieselbe, Controverses
vaudoises-cathares ä la fin du XIIe siecle, Archives d'histoire doctrinale
et litteraire du Moyen Age 35, 1960, S. 206 ff. (ebenda, S. 141 zur
Datierung der Schrift).

5) A. Dondaine, Durand de Huesca et la polemique anti-cathare,
Arch. Frat. Praed. 29, 1959, S. 268—271.

ziser und zuverlässiger Form die Lehren der südfranzösischen Katharer
zusammen, und Dondaine vermutet wohl mit Recht, daß diese Quelle
ebenso wie andere Werke in der Reimser Handschrift aus dem Kreise
der Katholischen Armen bzw. des Durand von Huesca stammt". Diese
Manifestatio erleichtert in manchen Fällen ganz eindeutig das Verständnis
von anscheinend widerspruchsvollen Aussagen im L. c. M. So wird
die Behauptung des L. c. M., daß Jesus nicht in diese böse Welt gekommen
sei, sondern in jener anderen besseren Welt gewirkt habe, aber
nichtsdestoweniger den gefallenen Seelen den Weg aus der bösen Welt
in die bessere gewiesen habe (S. 160, 197f., 255), verständlich, wenn
man in der Manifestatio liest, daß Christus in jener guten Welt geboren
sei sowie dort gelitten habe und daß er nur „spiritualiter" in Paulus in
diese Welt gekommen sei7.

Abschließend seien noch einige Bemerkungen zur Textausgabe
selbst hinzugefügt. Die Herausgeberin legt für den Druck
nicht die zuerst entdeckte Pariser Handschrift zugrunde, die
bereits kurz vor dem Ende des 5. Kapitels abbricht, sondern eine
Handschrift aus der Prager Kapitelbibliothek, die offensichtlich
eine gegenüber der Pariser Handschrift leicht überarbeitete
Fassung repräsentiert (S. 30 f.). Die Prager Handschrift überliefert
21 Kapitel und schließt mit dem Hinweis, daß damit das 1. Buch
des L. c. M. ende und ein 2. Buch ebensoviele Kapitel enthalte.
Dieses 2. Buch ist bisher nicht entdeckt worden. Die Ausgabe
kann vorbehaltlos als vorbildlich bezeichnet werden, was um so
höher zu bewerten ist, da der Text beträchtliche Schwierigkeiten
aufweist. Denn der Verf. schreibt in jenem Latein, das im französisch
-spanischen Grenzgebiet beiderseits der Pyrenäen im Einflußbereich
des Königreichs Aragon üblich war und das in Orthographie
und Wortgebrauch beträchtliche Abweichungen von dem
etwa in Mitteleuropa gebräulichen Mittellatein zeigt (S. 59).
Daher ist es besonders zu begrüßen, daß die Herausgeberin sonst
ungebräuchliche Worte des L. c. M. in einem besonderen Index
zusammenstellt und dem Prolog eine Übersetzung ins Französische
beigibt, die dem Benutzer ein Einlesen in jenes eigentümliche
„latin hispano-catalan" wesentlich erleichtert. So kann man nur
feststellen, daß sich die Herausgeberin ein großes Verdienst erworben
hat, indem sie diesen wichtigen Text zur mittelalterlichen
Ketzergeschichte in einwandfreier Form der Wissenschaft zur Verfügung
gestellt hat.

e) Ebenda, S. 260 f.

7) Ebenda, S. 269 f. In der diesbezüglichen Darlegung von
Ch. Thouzellier, Un traite cathare inedit . . ., 1961, S. 76, 80 f., bleibt
diese Problematik unklar.

Berlin Bernhard Töpfer

Auer, Johann: Das Theologieverständnis des Johannes Duns Scotus
und die theologischen Anliegen unserer Zeit (Wissenschaft und Weisheit
29, 1966 S. 161—177).

Balic, Carolus: lohannes Duns Scotus und die Lehrentscheidung von
1277 (Wissenschaft und Weisheit 29, 1966 S. 210—229).

Ho eres, Walter: Wille und Person bei Scotus (Wissenschaft und
Weisheit 29, 1966 S. 188—210).

Kluxen, Wolfgang: Johannes Duns Scotus: Philosophie als Wissenschaft
von Gott (Wissenschaft und Weisheit 29. 1966 S. 177—188).

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

Meyer, Harding: Das Wort Pius' IX: „Die Tradition bin ich".
Päpstliche Unfehlbarkeit und apostolische Tradition in den Debatten
und Dekreten des Vatikanums. I. München: Kaiser 1965. 79 S. gr.
8° = Theologische Existenz heute, hrsg. v. K. G. Steck u. G. Eichholz
, 122. DM 5.40.

Am Nachmittag des 18. Juni 1870 fand ein Gespräch zwischen
Pius IX. und Maria Guidi, dem Erzbischof von Bologna,
statt, in dem das berühmte Wort: „Die Tradition bin ich" gefallen
sein soll. Die Echtheit dieses oder eines ähnlich formulierten
Wortes kann nicht bezweifelt werden. Die Studie von
H. Meyer fragt nach dem theologischen Ort, den dieses Wort in
der innerkonziliaren Diskussion über die Definition der Unfehlbarkeit
einnimmt. Durch sorgfältige Analyse sowohl der Primatsdebatte
als der über die Constitutio de fide gelangt der Vf. zu
dem Ergebnis: Das Wort ist ein pointierter Ausdruck für die
„intransigente" Auffassung; es hat zum Sieg der „intransigenten