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Ausgabe:

1965

Spalte:

29-32

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Heschel, Abraham Joshua

Titel/Untertitel:

The prophets 1965

Rezensent:

Fohrer, Georg

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1965 Nr. 1

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alttestamentlichen Psalmen fest, daß auch jenen Äußerungen
der Gesinnungsethik nicht fehlen, daß sie aber in diesen viel
stärker zum Ausdruck kommt. Brongers, Die Rache- und
Fluchpsalmen im Alten Testament (S. 21—42), zeigt, daß die in
diesen Psalmen geäußerten Verwünschungen der Verletzer von
Recht und Gerechtigkeit nicht als Ausdruck „einer banalen
Racheübung" verstanden werden dürfen, daß es vielmehr um
das unter allen Umständen aufrechtzuerhaltende Recht Jahwes
geht. Ridderbos, The Psalms: Style-Figures and Structure
(certain considerations, with special reference to Pss. XXII,
XXV, and XLV) (S. 43—76), hält die Beachtung des Inhalts der
Psalmen für eine wichtigere Vorbedingung zu ihrem Verständnis
als die Untersuchung ihrer äußeren Form und erläutert das
an jenen drei Psalmen. T h i e r r y, Remarks on Various
Passagcs of the Psalms (S. 77—97), bringt Bemerkungen zu
Ps 7, 15; Ps 10, 3; Ps 22, 10 und zu Ps 23. Dabei ist nach ihm
in Ps 23, 3—4 der Sprecher nicht das Schaf, sondern eine Person;
hier liegt also nicht mehr das Bild von Hirt und Schaf vor.
K o o 1 e, Psalm XV — eine königliche Einzugsliteratur? (S. 98
—III), will Ps 15 ähnlich wie den Regentenspiegel von Ps 101
auf den König, insbesondere auf dessen Thronbesteigung, bezogen
und an die Überreichung eines die Obliegenheiten des
Königs enthaltenden Dokumentes von der Art der IIKönll,12
genannten nw gedacht wissen. Nach L. A. S n i j d e r s,

Psaume XXVI et l'Innocence (S. 112-130), betont der Verwandtschaft
mit Jer 9, 23—24 und mit Jeremia überhaupt aufweisende
Ps 26 weniger die Unschuld des — offenbar als leitender
Mann, etwa als Richter zu denkenden — Beters als vielmehr
seine Überzeugung, daß Gott ihn vor falschem Verdacht
bewahren werde. Van der W o u d e, Zwei alte cruces im
Psalter (S. 131—136), zieht in Ps 32,6 das 1 von pl zu NJW
und sein p zu BOOb :PtJtJ bp "KtttM ,,Not donnernde Flut"
und sieht in dem IT» von 89, 20 nicht Ht9 „Hilfe", sondern

das Äquivalent des ugaritischen gzr „junger Mann". Van der
Ploeg, Notes sur le Psaume XLIX (S. 137-172), findet in
diesem Psalm mehr als den Ausdruck der Gewißheit, daß der
Beter vor einem unerwarteten oder schrecklichen Tode bewahrt
werden würde, nämlich, wie namentlich v. 16 zeigt, die Hoffnung
, daß er der Scheol entgehen werde. De B o e r, Confirma-
tum est cor meum. Remarks on the Old Latin text of the Song
of Hannah (S. 173-192), schließlich behandelt den auf Folio
386b. 387b. 388b des im 6. oder 7. Jahrhundert n. Chr. geschriebenen
, 1740 von Bianchini herausgegebenen griechisch-
altlateinischen Psalters von Verona stehenden altlateinischen
Text von l.Sam 2, 1—10, druckt ihn ab und versieht ihn mit
einem ausgiebigen textkritischen Apparat. Das den Abschluß
des Bandes (S. 193—199) bildende Verzeichnis der in ihm genannten
Bibelstcllen erleichtert die Auswertung der in ihm vereinten
Aufsätze.

Halle/Saale OttoEiflfeldt

Heschel, Abraham ].: The Prophets. New York and Evanston:
Harpcr & Row [1962]. XIX, 518 S. gr. 8°. Lw. $ 6—.

Im Jahre 1936 erschien unter dem Titel „Die Prophetie"
(Verlag der Polnischen Akademie der Wissenschaften, Krakau,
VI, 197 S.) die Berliner philosophische Dissertation von
A. Heschel: „Das prophetische Bewußtsein" (Referenten M. Des-
soir und A. Bcrtholet), die in der Folgezeit freilich nicht die
gebührende Beachtung gefunden hat. Suchte sie doch die Art
und Struktur des prophetischen Bewußtseins unter Abgrenzung
gegen Offenbarungstheologie und Psychologie mit wesentlich
philosophischen Methoden zu erfassen. Mehr als ein Vierteljahrhundert
danach hat der am Jewish Theological Seminary in
New York tätige Verfasser als reife Frucht der ständigen Beschäftigung
mit seinem Thema das vorliegende Buch veröffentlicht
. Es enthält nach Abkürzungs-, Inhaltsverzeichnis und Vorwort
(S. I-XIX) nicht weniger als 28 Kapitel (S. 1—488) 60wie
abschließend einen Anhang über den Begriff Pathos und zwei
Register (S. 489-518). Das 1. Kapitel führt in die Welt der
Propheten ein, das 2.-8. Kapitel vermitteln einen Überblick

über die herangezogenen Propheten des 8.—7. Jhs. und Deutero-
jesaja, wonach das 9.—11. Kapitel mit den Überschriften „Geschichte
", „Züchtigung" und „Gerechtigkeit" als eine Art Zusammenfassung
und Überleitung einen Querschnitt durch die
prophetische Verkündigung geben. Seine eigentlichen Thesen
legt Heschel im 12.-17. und im 18.-25. Kapitel dar, die die
Eigenart des göttlichen „Pathos" und der prophetischen „Sympathie
" behandeln. Lose angefügt sind das 26. Kapitel über die
Formen der Prophetie in der Welt, das 27. Kapitel über das
Verhältnis des Propheten zu Priester und König und das 28.
Kapitel mit einer kurzen Zusammenfassung. Ungeachtet des
flüssigen Stils, der glänzenden Formulierung und faszinierenden
Darstellung (z. B. S. 5: „Prophecy is the voice that God has
Jent to the silent agony, a voice to the plundered poor, to the
profaned riches of the world . . . God is raging in the prophet's
words.") ist das Ganze mangels einer Zusammenfassung mehrerer
Kapitel zu größeren Teilen (2.—11., 12.—17. und 18.-25.
Kap.) unübersichtlich und wirkt eher als die künstliche Vereinigung
von zwei Büchern, da das 2.—11. Kapitel mit der historisch-
beschreibenden Art und den zahlreichen Zitaten prophetischer
Texte sich methodisch und formal stark vom 12.—2 5. Kapitel
mit den systematisch-religionsphilosophischen Erwägungen und
nur wenigen größeren Zitaten unterscheiden. Eine klarere Gliederung
, wie man sie von einem so systematisch denkenden Mann
wie Heschel hätte erwarten dürfen, wäre für den Leser des
keineswegs leichten Buches eine große Hilfe gewesen.

Das Ziel Heschels besteht darin, den Propheten durch eine
Analyse und Beschreibung seines Bewußtseins zu verstehen, wobei
außer den Augenblicken der Inspiration die Gesamtheit der
Eindrücke, Gedanken und Gefühle eingeschlossen ist. Er will verstehen
, was es bedeutet, als ein Prophet zu denken, zu fühlen,
zu antworten und zu handeln; zwischen den Extremen einer die
Person des Propheten außer acht lassenden Offenbarungstheologie
und einer die Prophetie auf das innere Leben des Propheten
reduzierenden Psychologie die „exegesis of existence from a
divine perspective" durch den Propheten zu erfassen, dessen
„Situation is composed of revelation and response, of reeeptivity
and spontaneity, of event and experience". Von da aus gilt —
dies mit Recht — als die wesentliche Aufgabe des Propheten,
das Gotteswort für das Hier und Jetzt zu verkündigen, die Zukunft
zu erschließen, um zu erhellen, was in der Gegenwart beschlossen
liegt, zumal alle Unheilsankündigung nicht bloße Vorhersage
, sondern Mahnung zur Umkehr ist. Dabei ist der
Prophet nicht allein Bote und Mund Gottes, sondern zugleich
dessen Mitberater, weil er an der himmlischen Ratsversammlung
teilnimmt, und der Zeuge für den göttlichen Ursprung seiner
Verkündigung. Wird in dieser der unsichtbare Gott hörbar, so
ist ihr eigentliches Thema Gott selbst. Sie ist Offenbarung eines
göttlichen „Pathos" und Echo von Liebe und Enttäuschung,
Gnade und Unwille Gottes. „This divine pathos is the key to
inspired prophecy." Beim Propheten entspricht dem ,,a fellow-
ship with the feelings of God, a sympathy with the divine
pathos" als Antwort auf die Inspiration und als Korrelation
zur Offenbarung.

Zum Nachweis dessen stellt Heschel zunächst die Verkündigung
mehrerer Propheten in ihrer zeitgeschichtlichen Lage dar:
Arnos, Hosea, Jesaja, Micha, Jeremia, Habakuk und Deutero-
jesaja. Weithin hält er sich im Rahmen des allgemein Bekannten
und Anerkannten, so daß es unnötig ist, auf Einzelheiten einzugehen
. Wo er aber eigene Wege einschlägt oder über nicht
unwichtige Dinge hinweggeht, ergibt sich trotz aller Vorzüge
seiner Darstellungsweise Änlaß zur Kritik: 1. Auffällig ist die
mangelnde wissenschaftliche Würdigung der Prophetentexte. Als
habe es noch keine historisch-kritische Forschung gegeben,
schreibt Heschel den gesamten Inhalt der Prophetenbücher den
jeweiligen Propheten zu — so dem Arnos außer dem zumindest
umstrittenen Schluß des Buches (9, 11 ff.) die eingefügten Doxo-
logien, dem Jesaja das Ganze von Kap. 1—39 und dem Deutero-
jesaja Kap. 40—66 des Jesajabuchs — und nimmt von der gat-
tungs- und formgeschichtlichen Untersuchung keine Notiz, so
daß er z. B. für Jesaja 1, 2 f.; 5, 1—7 zu recht fragwürdigen Folgerungen
gelangt. Dem entspricht manchmal die übrige Exegese.