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Ausgabe: | 1955 |
Spalte: | 705-714 |
Autor/Hrsg.: | Thielicke, Helmut |
Titel/Untertitel: | Erwägungen zu Bultmanns Hermeneutik 1955 |
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Ponatefdjrift für Da* gefamte ©ebiet Her €J)eoIogfe und KelfötomsöJiffenfdjaft
Begründet von Emil Schürer und Adolf von Harnack
Unter Mitwirkung von Professor D. Ernst Sommerlath, Leipzig
HERAUSGEGEBEN VON PROFESSOR D. KURT ALAND, HALLE «BERLIN
NUMMER 12
Spalte
Erwägungen zu Bultmanns Hermeneutik.
Von H. Thiel icke.........705
Über den Sinn des MoQ<povo$cu Xqioxov
cv v/iTv in Oal. 4, 19. Von Rud. Hermann 713
Zum Problem der Zeit.
Von H. Echternach........ 727
Blanke, F.: Kirchen und Sekten (E.Schott) 755
Bliss, K.: Frauen in den Kirchen der Welt
(M. v. Tiling)............ 752
Clement d'Alexandrie: Les Stromates
(L. Früchtel)............748
Dalbert, P.: Die Theologie der hellenistisch-
jüdischen Missionsliteratur unter Ausschiuli
von Philo und Josephus (O. Delling) ... 745
Dodd, C. H.: New Testament Studies
(J. Jeremias)............743
Karner, K.: Bevezetes A Teolögiäba
(Spiegel-Schmidt)..........754
Kunz, U.: Viele Olieder — ein Leib (E.Schott) 756
ACHTZIGSTER JAHRGANG
Spalte
Labourdette, M.-M.: Foi catliolique et pro-
blemes modernes (E. Schott)......755
Leipoldt, ].: Die Frau in der antiken Welt
und im Urchristentum (E. Fascher) .... 750
Möller, H.: Sinn und Aufbau des Buches
Hiob (A.Weiser)..........740
Piaget, J.: Das moralische Urteil beim Kinde
(H. March).............758
Rendtorff, H.: Hörer und Täter (L. Fendt) 746
— Von den guten Werken des Olaubens
(L. Fendt)............746
Richardsoii, A., u. Schweitzer, W.:
Die Autorität der Bibel heute (W. Wiesner) 734
Roberts, C. H.: The Antinoopolis Papyri. I.
(P. Katz).............737
Schmitt, E.: Leben in den Weisheitsbüchern
Job, Sprüche und Jesus Sirach (J. Fichtner) 741
Schmoldt, B.: Die deutsche Begriffssprache
Meister Eckharts (K. Weiss)......751
Schoch, M.: Evangelisches Kirchenrecht und
biblische Weisung (E.Wolf)......760
DEZEMBER 11)55
Spalte
Schumpeter, J. A.: Dogmeiihistorische und
biographische Aufsätze (E. Wolf) .... 734
[Schweitzer, A.:] Ehrfurcht vor dem Leben.
Albert Schweitzer zum 80. Qebartstag
(E. Fascher)............731
Schweitzer, W., s. Richardson, A. . . . 734
Trillhaas, W.: Die innere Welt. 2. Aufl.
(E. Jahn).............757
Vinay, V.: Facolta Valdese di Teologia
1855—1955 (F. Lau).........753
Berichte und Mitteilungen:
Second International Conference on Patristic
Studies. Oxford (W. Schneemelcher) ... 761
Zeitschriftenschau:
Zurnal Moskovskoy Patriarchii.....763
Neue Bücher............765
Zum vorliegenden Heft.......767
Erwägungen zu Bultmanns Hermeneutik
Von Helmut T h i e 1 i c k e, Hamburg
Die Wirkung Bultmanns ist nur vor dem Hintergrund der
neueren Theologiegeschichte zu sehen:
Ehe die Probleme des Historismus erledigt waren, wurden
die historisch-kritischen Probleme durch den Schlachtruf „pneumatische
Exegese", durch die dialektische Theologie also, gleichsam
weggeschockt und für theologisch irrelevant erklärt. Dadurch
entzog man sie der theologischen Kontrolle. Und nun hat sich
gleichsam ein Heer unerledigter historischer Argumente als eine
Partisanenarmee feindlicher und destruktiver Gedanken im
Rücken der theologischen Front angesammelt. Das ist alles ganz
natürlich zugegangen und mußte auch so kommen. Wer ein bißchen
tiefer sah, hat einen ungeheuren historisch-kritischen Rückschlag
seit langem erwarten müssen.
Bultmann hat für diese Partisanenarmee unter anderem (d. h.
neben einem außerordentlich starken Sachbeitrag) die Fahne gestiftet
, auf der die Farben „Entmythologisierung" ziemlich brennend
und schwefelgelb leuchten. Aber diese Armee wäre auch
ohne jene Fahne da — obwohl man zugeben muß, daß Fahnen
und Parolen eine sehr starke mobilisierende Kraft besitzen. In
diesem Sinne führe ich die Dynamik der ganzen Bewegung nicht
nur, aber doch zu einem nicht geringen Teil, auf die magische
Geladenheit dieses Stichwortes zurück.
Bultmann sagt im übrigen schon seit Jahrzehnten genau dasselbe
. Er hat sich eine geradezu starre Kontinuität der Gedanken
und sogar der Terminologie bewahrt. Hätte Bultmann dieses
Stichwort nicht gefunden, wäre sein ganzes Unternehmen möglicherweise
ziemlich „akademisch" geblieben. Das, was ihm auch
dann einen gewissen überragenden Einfluß innerhalb der Uni-
versitas besorgt hätte, wäre lediglich die zauberhafte Einfachheit
seiner Methode und seine konsequent durchgehaltene Idee des
hermeneutischen Prinzips gewesen. Dadurch hat er die philologische
, die literar-historische und die theologische Problematik
einem universalen Griff zugängig gemacht, der intelligenten jungen
Leuten imponieren mußte, und der ihnen angesichts der so
schwer überschaubaren Komplexität neutestamentlich-exegetischer
Probleme eine Erleichterung und eine Überschaubarkeit anbot,
die der Faszination nicht entbehrt. Außerdem bot sich eine Syn-
705
V*." I V. lJ.
these exegetischer Forschung und systematischer Fragestellungen
an, über die unsere Neutestamentier im allgemeinen so nicht
verfügen.
Heute möchte ich nun einige kritische Anmerkungen zu dem
hermeneutischen Programme Bultmanns machen.
Ich setze ein mit einer These, die Bultmann in Auseinandersetzung
mit anderen Verstehcnsweisen (wie sie vor allem von
Schleiermacher und Dilthey vertreten werden) aufgestellt: „Ein
Verstehen, eine Interpretation, ist. . . stets an einer bestimmten
Fragestellung, an einem bestimmten Woraufhin orientiert" (ThK,
1950, S. 51). Ich verstehe Jesaja, wenn ich ihn nach seiner
Sache frage, von der er bestimmt ist. Ich verstehe ihn nicht,
wenn ich nach seinen psychischen Voraussetzungen frage oder
wenn ich ihn als Quelle für Religions- und Kulturgeschichte Israels
verwende. Das kann ich freilich auch, das muß ich sogar.
Aber wenn ich ihn so als Historiker verwende, d. h. wenn ich
ihn als Quellen-,Mittel' zu bestimmten von mir erfragten Zwek-
ken, z. B. zu kulturhistorischen Zwecken, verwende, so erhebe
ich nicht den Anspruch, Jesaja zu „verstehen". Ich gleiche dann
dem Garderoben-Fachmann eines Schauspielhauses, der Schillers
Kabale und Liebe kostümlich auszustatten hat, und der auf zeitgenössischen
Bildern Friedrichs des Großen feststellt, wie damals
eine Offiziers-Uniform aussah und wie die Damen des Rokoko
gekleidet waren. Und warum soll ein Garderoben-Fachmann nicht
auch Historien und Bildmaterial über den Alten Fritz, warum soll
er nicht Friedrich den Großen selbst als Quelle für seine zweifellos
honorige Branche verwenden? Aber er wird kaum — im Unterschied
zu vielen Historikern, die da einen blinden Fleck im
Auge haben — den Anspruch erheben, sich mit dieser Uniformbefragung
nun divinatorisch zu Friedrich dem Großen selbst zu
verhalten und also sein Wesen damit zu erhellen.
Nein: wirkliches Verstehen vollzieht sich nur in einer Befragung
„Woraufhin". Ganz bestimmt jedenfalls gilt das für
kerygmatische Texte, deren Autor sich in Dienst genommen weiß.
Wenn für mich das Thema, über das der Apostel Paulus schreibt,
wenn Schuld und Rechtfertigung für mich belanglos sind, dann
nehme ich den Schlüssel zu seiner Existenz nicht in Anspruch
706
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