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Ausgabe: | 1934 Nr. 20 |
Spalte: | 363-364 |
Autor/Hrsg.: | Schöffel, Johann Simon |
Titel/Untertitel: | Luthertum und soziale Frage 1934 |
Rezensent: | Wünsch, Georg |
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Theologische Literaturzeitung 1934 Nr. 20.
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Schöf f el, D. Dr. J. S., und Dr. theol. Adolf Köberle: Luther- Abgrenzung erkennen: z.B. das Verhältnis von Reich
tum undsoziale Frage. Leipzig: Dörffling & Franke 1931. (HOS.) Gottes und Welt, von Autonomie und Glaube von
8°. = Sonderdr. a. d. „Verhandln, d XXI. Haupttagung d• Luth. Eni- Schöpfungsordnung und Sünde, von „Reich Gottes, Kir-
gungsw5rkes(Allg.Evang.Lnther Konferenzen Augsburg 1930 RM2-. che und staat«_ ^icht ^erzeugend sind die Bemerkun-
Zwei Vortrage, deren Verfasser die Aufgabe erhalten gen über „Eigengesetzlichkeit" (S. 88 ff.), die aus mora-
hatten, die soziale Frage im Lichte der Augsburgischen lischen Forderungen bestehen, ohne Rücksicht auf ihre
Konfession auf der Allgem. Evang.-Luth Konferenz Möglichkeit. Das Ergebnis der Schrift ist, genau be-
"e/bst 1930 zu behandeln Der erste Vortrag von sehe prophetische Behauptung und moralische Forde-
Schoffel wurde stark erweitert und bildet eine Skizze , rung) aber keine Lösung. derm daß im Letzten" alle
der lutherischen Sozialethik, die das Thema beginnend J Spannungen aufgehoben sind, ist eine Selbstverständlich-
bei der Klarung der Aufgabe über die Auseinander- , keit für den Glaub€n. Diese Mängel teilt Schöffel mit
setzung mit aktuellen Lösungsversuchen bis zur eige- ■ den m,ejsten theologischen Darstellungen dieser Art-
nen Losung aus dem Geiste des Luthertums umspannt. , man springt von der Not gleich zur Lösung „im Letz-
Das Wesen der sozialen Frage wird an der Lage des ten« ab,er das Zwischenstück fehlt, das eigentlich ProProletariers
nach ihrer materiellen und seelischen Seite bi,em ^
geschildert. Sie ist gestellt durch die ungeheure mensch- Das " gilt in noch stärkerem Maß vom Beitrat
liehe Not, zu der die Schopfungsordnung ein entschie- Köberles. Er muß als homiletisches Bekenntnis ge"
denes Nein sagt. Die Ursache dieser Not wird nicht , wertet W€rden nicht als sachlicher Beitrag zur Beant-
primär in wirtschaftlichen oder politischen Verhältnissen wortung der soziai,eri Frage. Aber auch da ware aneriei
gesehen, sondern in Glaube und Weltanschauung. Der i auS2US,etzen; denn diese fromme Eschatologie, die in
Mensch — im weiteren Verlauf der Darstellung wird
der Mensch zum modernen kapitalistischen oder sozialistischen
Menschen — meistert die soziale Not nicht,
weil er in autonomer Selbstherrlich keit sich
der Bosheit der Welt hofft auf den „Abend der Welt"
in der Betonung, daß die Kirchen zur Lösung der sozialen
Fragen nichts beitragen können, verrät die Neigung
zu jener resignierten Innerlichkeit, die beliebter Aus-
Der Titel des Ganzen ist zu anspruchsvoll. Weder
kommt hier das ganze Luthertum, noch die ganze
soziale Frage zur Geltung. Ich hoffe, daß bei dem starken
Willen zur Kirche, der aus Schöffeis Ausführungen
spricht, das Luthertum noch sehr Wesentliches zu diesen
Fragen sagen wird; denn es kann es sagen, wenn
es sich selbst recht versteht.
Marburg a. L._ Georg Wünsch.
nicht unter Gott beugt. „Die Sündhaftigkeit des j druck ein,es aten Luthertums und höchst gefährlich
Menschen also die tiefste Ursache der sozialen Not ! ist wenn man sie nicht in ihren Gr€nzen würdigt
(S. 29), ihr Ausdruck ist der religionslose Staat, der
drohende Bolschewismus, überhaupt der Säkularismus.
Also muß „die Kirche dem Menschen sagen, daß er
auch in sozialer Not nur von Gott her, nur vom Ewigen
her, seine Hilfe zu erwarten hat" (S. 59). Und wenn
nach Auseinandersetzung mit Kapitalismus und Sozialismus
zur „Gestaltung des sozialen Lebens" übergegangen
wird, erfahren einige christliche Lösungsversuche
ihre Ablehnung, und die eigene Position wird gefunden
in der lutherischen Rechtfertigungslehre. Ihre Konsequenz
ist die Unmöglichkeit der Verwirklichung des Reiches
Gottes; denn die Welt liegt „im Argen". Dennoch
aber Gehorsam gegen den Ruf zum Kampf gegen das
soziale Übel; denn die Wirtschaft darf sich nicht als
eigengesetzlich aufspielen, sie muß vielmehr den „Normen
" Gottes gehorchen. Zuletzt der Hinweis auf die
Notwendigkeit von Spannungen in dieser Welt, über der
die Verheißung der „Erlösung aus Unvollkommenheit
und Sünde und Not und Tod" steht.
Die Ausführungen Schöffeis sind außerordentlich
lehrreich für die Art, wie ein gewisser Typus des modernen
Luthertums das soziale Problem behandelt. Charakteristisch
ist der Ernst und die Offenheit gegenüber
der weltlichen Not, ebenso auch das Bestreben, darüber
die letzten Quellen des Glaubens nicht zu vergessen, die
Pestalozzis sämtliche Werke. Hrsg. von A. Buchenau, E.
Spranger, H. Stettbacher. 11. Band: Schriften aus der Zeit
von 1795 — 1797. Bearb. von Emanuel De jung und Hinrich
Knittermeyer. Berlin: W. de O r u y te r & Co. 1933. (VII, 543 S.)
gr. 8°. RM 24—.
Nach längerer Pause ist wieder ein neuer Band, der
elfte, der großen neuen Pestalozzi-Ausgabe erschienen,
von der nun nur noch Band 6, 7 und 12 ausstehen. Es
gilt auch von diesem Band, was früher von den ersten
Bänden gesagt ist (vgl. ThLZtg. 1931 u. 1933). Der
vorliegende Band enthält zunächst neun Beiträge, meist
kürzeren Umfangs. Erstmalig werden veröffentlicht Notizen
zu Briefen über die Schweiz aus den Jahren 1795/6,
eine „Mahnung zur Verständigung", ferner die interessante
„Predigt an die Franzosen" (1797). (S. 41 ff.). Sie
zeigt die Bibelfestigkeit Pestalozzis. Die Darstellung ist
mit BegriffelTwie Mn^S^Hö^ ReSToottes viel ,lronie S^a{J». die gleichmäßig gegen, die Jako-
Kp.PinhLr .inH Haie ia in rW Tat das ZweniKch* Pm- bincr und gegen den Konigspratendenten Ludwigs XVIII.
bezeichnet sind. Das ist in der Tat das eigentliche Problem
für die theologische Behandlung der sozialen Frage
: Wie gewinnt der Gläubige die Verbindung der irdischen
Not mit Gott und den letzten Dingen? Und zumal
der Lutheraner wird die soziale Frage eschatologisch
behandeln müssen, wie Schöffel es auch getan hat. Er
hat dabei viel Gutes und Richtiges gesagt, so, daß die
Kirche ihren Platz bei den Schwachen haben muß (S.
76), daß „das Wort Gottes" auf die Frage nach der
besten Wirtschaftsordnung keine Antwort gibt (S. 66).
Aber im Ganzen ist Schöffeis Darstellung so schwer mit
den üblichen theologischen Schwächen behaftet, daß darüber
— fürchte ich — auch der Eindruck von der Dringlichkeit
seines Anliegens verloren geht. Sie enthält die
üblichen Kurzschlüsse von der sozialen Not als Folge
der Sünde und des Mangels an Glauben; arbeitet mit den
heute verbreiteten Schlagworten von „Autonomie" und
„Ichsucht" und „Säkularismus", die bei tieferer Kenntnis
der Wirklichkeit des sozialen und geistigen Lebens eben
versagen. Als ob es in „gläubigen" Zeitaltern keine sozialen
Nöte gegeben hätte! Man spürt den Mangel an
tieferer Kenntnis der Sozial-, Geistes- und wirtschaftlichen
Systemgeschichte. Wichtige Unterscheidungen von
theologischen Begriffen lassen keine klare systematische
gerichtet ist. Auch zur Judenfrage werden beiläufige
Bemerkungen gemacht, wie S. 45. Die Oratio pro domo
richtet sich gegen die innere Hohlheit der Zeit, vor allem
die einer Pseudo-Demokratie.
Den größten Umfang des Bandes nimmt die Schrift
ein „Figuren zu meinem ABC-Buch oder zu den Anfangsgründen
meines Denkens" (1797). Die Vorrede enthält
den Satz: „Wenn du nichts hinzudenkst, Leser, so wirst
du ihre Einfalt unerträglich finden; wenn aber deine Erfahrungen
ähnliche Gefühle bei dir rege machen werden,
so wirst du ihre Einfalt lieben." Pestalozzi hat dem
Leser, auch in seiner „neuen Ausgabe", Freiheit in der
Auffassung und Auslegung gelassen, und die jetzigen
Herausgeber sagen mit Recht, daß „eine kritische Ausgabe
sich nicht zum Richter über das Widerstreitende
der mancherlei seither erfolgten Erklärungen machen
darf und der Zukunft die eigene Erklärung frei lassen
muß" (S. 502). Den Schluß des Bandes bildet die
„Nachlese der schon veröffentlichten und einiger noch
unveröffentlichter, in den Handschriften verstreuter Fabeln
" (S. 333—363). Die Textkritik, die Sach- und Worterklärung
, sowie die Register sind mustergültig.
Dortmund. H. Werdermann.