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Ausgabe:

1932 Nr. 3

Spalte:

52-57

Autor/Hrsg.:

Baudissin, Wolf Wilhelm Graf

Titel/Untertitel:

Kyrios als Gottesname im Judentum und seine Stelle i. d. Religionsgeschichte. Hrsg. v. Otto Eißfeldt. 4 Bde 1932

Rezensent:

Bertholet, Alfred

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Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 3.

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risch im völligen Dunkel liegenden Vorgeschichte zugunsten
einer größeren Breite — und größerer geschichtlicher
Wahrscheinlichkeit verkürzt werden muß. Daß gerade
äg. Mentalität ein gleichzeitiges Nebeneinander verschiedener
Traditionen wohl erträgt, dürfte durch S.s
Ausführungen deutlich werden.

Ein grundsätzliches Bedenken sei hier noch angeschlossen
. Kees hat kürzlich im Zusammenhang der
Debatte über den Horusmythus von Edfu (Nachr. der
Ges. der Wiss. zu Göttingen Phil.-hist. Kl. 1930 S.
245 ff.: Kultlegende und Urgeschichte) davor gewarnt,
Kulttradition unbesehen, so wie sie vorliegt in politische
Geschichte zu übersetzen. S. dürfte dieser Gefahr nicht
immer entgangen sein. So wenn (§ 98. 100 f.) aus der
Osirislegende die Schicksale des Herrschers im großäg.
Osirisreich abgelesen werden. Oder wenn (§ 177) ein
Totenbuchtext, der Buto dem Horus als Entgelt für sein
von Seth verletztes Auge durch Re verliehen sein läßt,
auf die Auflösung des gesamtäg. Horusreiches von
Heliopolis durch das oä. Sethreich gedeutet wird, wobei
das uä. Horusreich „als Entgelt" Buto zur Hauptstadt
erhält. (Daß dies dazu in der Zeit der oä. Horusdiener
geschieht, wird nicht weiter beachtet.) Schließlich kann
noch auf die politische Auswertung des Horus-Seth-
mythus hingewiesen werden. — So richtig an sich der
Gedanke ist, daß eine Kulttradition (besonders unter
urspr. lokalen Gottheiten; der Naturmythus gehört nicht
hierher) sich nicht frei gestaltet, sondern auf irgendwelche
geschichtlichen Verhältnisse zurückweist, so sehr
ist doch in der Rückübersetzung kult. Tradition in politische
Vorgänge äußerste Vorsicht und Zurückhaltung
geboten. Die Tradition ist in den meisten Fällen nicht
an der gleichen Stelle gewachsen, an der sie nachher geschichtlich
wirksam wird. Das Bestreben der Tradition
geht dabei erfahrungsgemäß darauf aus, ihren Bereich
zu erweitern, in größeren Zusammenhängen Gültigkeit
zu bekommen. (Das vermögen at.liche Analogien, wenn
auch die Trad. hier von etwas anderer Art ist, zu illustrieren
: Die Exodustradition, einst wohl eine Stammtradition
, wird später auf das ganze Volk bezogen, ebenso
die Tradition von Josua, der Bundeslade, aber auch
die Traditionen von Abraham, Isaak und Jakob.) Jede
Traditionsdeutung, die eine spätere Großtradition (Ge-
samtvolkstr.) unbesehen auf frühere Gesamtvolksgeschichte
deutet, unterliegt daher berechtigtem Mißtrauen.
Aus der Regel ist kein Gesetz zu machen, aber für die
Großzahl der Fälle wird es seine Richtigkeit haben, daß
eine Großtradition — bes. im Zusammenhange rel. Tradition
— ihren Ursprung in kleineren Verhältnissen hatte
und durch die spätere Geschichte erst sekundär ausgeweitet
ist.

Döttingen. W. Z i m m e r 1 i.

Sethe, Kurt: Die Totenliteratur der alten Ägypter. Die Geschichte
einer Sitte. Berlin: Akademie d. Wiss., in Komm. b. W. de
Gruyter & Co. 1931. (24 S.) 4°. = Sonderausg. a. d. Sitzungsber.
d. Preuss. Akad. d. Wiss., Phil.-hist. Kl. 1931, XVIII. RM 2—.

In knapp gehaltener Darstellung gibt S. einen Überblick
über die Entwicklung der äg. Totenliteratur vom
A. R. bis in die Spätzeit unter Herausstellung der typischen
Vorgänge dieser Entwicklung und Berücksichtigung
der wichtigsten äußerlichen Merkmale (Schriftart,
Abfassungsform der Texte).

In der Pyramide des Onnos (letzter König der 5. Dynastie) tritt
die älteste Form von Totentexten (Pyramidentexte) ganz unvermittelt auf.
Offenbar veranlaßt die Unsicherheit der Zeiten, die selbst dem König
nicht mehr die „Ewigkeit" seines Totenkultes gewährleisten kann, zur
Mitnahme der nach ihrer Sprache viel älterer Zeit entstammenden Totentexte
ins Grab. Der Zerfall der Königsgewalt am Ende der 6. Dynastie
öffnet den Pyr. Texten den Weg in die Gräber Niedrigerstehender. Dort
treffen sie, die den Toten (König) den Göttern gleichsetzen, mit Totensprüchen
ganz anderer Herkunft zusammen. Die „Verklärungen"
(sahw), die (wie die Pyr. Texte) nach längerem Gebrauch im mündlichen
Ritual zuerst in der 6. Dynastie in den Gräbern aufgezeichnet
werden, verraten die Haltung des Menschen, der seines glücklichen
Jenseits nicht ohne weiteres gewiß ist, der die Götter anfleht und seine
Unschuld beteuert.

Die Bezeichnung der Totenliteratur des MR. als Sargtexte bedeutet
nicht so sehr eine Veränderung des Inhaltes der Texte, als vielmehr der
Art ihrer Aufzeichnung. Sie werden nicht mehr als Hieroglyphen in die
I Wände der Grabkammer eingehauen, sondern in einer alten Form des
Hieratischen (etwa der Kursive des AR.) auf getünchte Wände oder
dann bald an die Außen- oder Innenwandungen des Sarges geschrieben.

Das NR. schließlich schafft die Form des Totenbuches, einer zunächst
regellosen, nicht abgegrenzten Sammlung aller möglichen Totentexte, die
i auf Papyrusrollen dem Toten beigegeben werden. Hier läßt sich wieder
i der Versuch des Königtums feststellen, sich in der Verwendung der
i Totensprüche vom Volk zu distanzieren, wenn wie schon in den Pyr.
i Texten die ihrem Sinn nach in 1. Person zu erwartenden Sprüche in
I 3. Person abgefaßt und — Thutmoses III. -r auf das Leichentuch des
Königs geschrieben sind. —

Noch einmal vollzieht sich im NR. in kürzerer Zeit die gleiche
i Entwicklung wie seit dem AR.: In der 18. Dynastie findet sich an den
J Wänden der Königsgräber eine offenbar vom Königtum für sich allein
j beanspruchte Literatur, das Buch Am-Duat und das Pfortenbuch. Im
I Gegensatz zu den vom Toten selbst zu sprechenden Sprüchen, der
„subjektiven" Art aller bisher gebräuchlichen Totenliteratur handelt es
sich hier um rein sachliche Beschreibungen des Jenseits und der nächtlichen
Fahrt des Sonnengottes durch die Unterwelt (Amduat = das, was
j in der Unterwelt ist). — In der 21. Dynastie schon wird es dem Toten
| auf Papyrus mitgegeben und erscheint von nun ab auch in Privatgräbern.
Während das NR. das Totenbuch in seiner Schriftart (auch Beigabe
von erläuternden Kommentaren und Illustrationen) der Profanliteratur an-
| zugleichen sucht, vollzieht die Spätzeit eine entschiedene Rückwendung
! zu ältester Zeit (25./26. Dyn. z. T. wieder Hieroglyphenschrift). Älteste
j Texte, gerade aus der Onnospyramide, die damals offengestanden haben
| muß, erfahren ihre Wiederbelebung in Privatgräbern bei Sakkara und
i im Grab des Petamenophis in Theben.

| Göttingen. W. Zimmerli.

j Baudissin, Wolf Wilhelm Graf, weil. Prof.: Kyrios als Gottesname
im Judentum und seine Stelle i. d. Religionsgeschichte. Hrsg.
v. Otto Eißfeldt. 4 Bde. Gießen: A. Töpelmann 1926/29 (XVI,
602; VII, 316; XII, 710 u. IV, 228 S. 4°. RM 110—; geb. 135—.

Ich versuche zunächst, Gedankengang und Hauptresultate
des riesigen Werkes in großen Zügen herauszustellen
.

B. setzt sich zweierlei zur Aufgabe, nämlich eine
Antwort zu finden einmal auf die Frage, wie die Alexandriner
dazu kamen, für Gott den Namen j«5oios zu gebrauchen
, und dann auf die andere Frage, welche Gottesvorstellung
sie auf Grund der Entstehungsgeschichte
j dieses x. oder auch nur an sie anknüpfend mit dem
i Namen verbanden (I, S. 1 f.). Auf jene erste Frage
j liegt eine Antwort nahe genug: ist nicht die Aussprache
ädonäj für das mit der Zeit nicht mehr gesprochene
j Jahve das Vorbild des x. in LXX geworden? Daß diese
I nächstliegende und allgemein gegebene Antwort nicht
' zutreffe, ist das gewichtige Resultat der beiden ersten
[ Teile des Werkes. Sie gelten dem Nachweis, daß der
hellenistisch-jüdische Gottesname zu verstehen sei als
hervorgegangen aus der Entwickelung des Gottesbegriffs
bei den semitischen Völkern; und die Benennung
Gottes als des Herrn zu verstehen in ihrer Bedeutung
für die Entwickelung des Gottesbegriffs im gesamten
Semitismus, wird das eigentliche Ziel der Untersuchung
(vgl. I, S. 8).

Zunächst wird in einem ersten Teil (I, S. 12 bis
602) der Gebrauch des Gottesnamens x. in LXX auf
Grund einer Detailuntersuchung des gesamten vorliegenden
Materiales vorgeführt und zwar 1. x. in LXX an
Stelle von Jahve und andern Gottesbezeichnungen des
! MT. mit Ausschluß von ädön, ädonim und ädonäj (S.
12—480), 2. x. in LXX an Stelle der 3 letztgenannten
Bezeichnungen (S. 481—602). In einer Zusammenfassung
von 1., wo zunächst dem Gebrauch von x. und
f>EÖ5 in der Reihenfolge der biblischen Bücher nachge-
| gangen wird, ordnet sie B. nach ihrem verwandtschaft-
! liehen Verhältnis mit Bezug auf den Gebrauch der
j Gottesnamen 1. Pentateuch und Nebiim, deren Über-
j Setzung in eine gemeinsame ältere Periode als die der
Übersetzung der Hagiographen zu fallen scheine; 2.
Psalmen; 3. Daniel, Esra I, Ester und Sirach; 4. Pro-
verbien und Hiob; 5. Chronik, Esra II und Ruth. Wahr-
j scheinlich war bei den ersten Übersetzern die Verwen-
: dung von v.. als Gottesbezeichnung im Gegensatz zu