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Ausgabe:

1904 Nr. 24

Spalte:

665-668

Autor/Hrsg.:

Paulus, Nikolaus

Titel/Untertitel:

Die deutschen Dominikaner im Kampfe gegen Luther (1518 - 1563) 1904

Rezensent:

Köhler, Walther

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Theologifche Literaturzeitung. 1904. Nr. 24.

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auf der Jenaer Univerfitätsbibliothek auf ein zwar nicht
völlig unbekanntes — Bauch und Walther Schultze hatten
es erwähnt — aber unausgenutztes Büchlein des Wittenberger
Magifters Andreas Meinhardi: Dialogus illustra-
tae ac augustissimae urbis Albiorenae, vulgo Vittenberg
dictae situm, amocnitatem ac illustrationem docens tirocinia
nobilium artium iacicntium editus d. h. eine Empfehlungs-
fchrift für die junge Wittenberger Univerfität vom
Jahre 1507. Die von H. analyfierte Schrift, ein Gefpräch
zwifchen zwei Studenten, läßt in der Tat plaftifch-an-
fchaulich das Wittenberg zu Luthers Zeiten vor unfern
Augen entftehen und wird neben dem (für H. leider
nicht mehr benutzbaren f. S. 50 Anm.) vortrefflichen
Büchlein von Gurlitt: Die Lutherfladt Wittenberg (1902)
von der Lutherforfchung hoffentlich fleißig benutzt
werden. Über die Wittenberger Dozenten, das kurfürft-
liche Schloß mit feinen Gemälden, die berühmte Stiftskirche
mit ihren Abiäffen (vgl. den wörtlichen Auszug
S. 25), ftudentifche Depofition (der betr. Paffus wird im
Anhang wörtlich mitgeteilt) u. a. erfahren wir wertvolle
Nachrichten von einem Augenzeugen, von dem Sohne
des bekannten Petrus Ravennas hören wir eine Novelle
(mitgeteilt S. 84 fr.).

Gegen einen Paffus in H.s Schrift hat Denifle in
feiner Antwort an Harnack und Seeberg Proteft erhoben
(S. 72 f. genannter Schrift). Der Paffus ftellt eine Herabwürdigung
der Frau dar, auf der Kanzel vorgetragen,
und H. hatte durchaus recht, darin zugleich ein Lob des
Zölibates zu fehen. Direkt zwar wird ein folches nicht
ausgefprochen — darauf pocht Denifle —, aber indirekt
liegt ein folches zweifellos vor; dafür zeugt die Frivolität
der ganzen Äußerung. Vielleicht jedoch nicht ganz fo
tragifch zu nehmen ift das Spiel mit Schriftworten bei der
ftudentifchenDepofltion. ,Pietätslos'ift es gewiß, aber doch
wohl kaum fo fchwer zu wägen; man will doch fchwerlich
die Schrift herabfetzen, und kann E. m. auch nicht von einer
,Anleitung' (S. 38) zu folchem Schriftgebrauch reden. Das
ift ein Studentenjargon, den Meinhardi, wie H. felbft fagt,
(S. 39), unbefangen wiedergibt, der aber, wie ich gegen
H. behaupten möchte, auch durch die Reformation nicht
,weggefegt und unmöglich gemacht wurde' (S. 39); vgl.
nur die ,Fuxentaufe'. Sehr dankenswert ift übrigens der
Hinweis, daß die bekannte Formulierung Luthers in
Worms: Antwort ,ohne Hörner und Zähne' dem Depo-
fitionsbrauche angepaßt ift = nicht fchülerhaft, ohne
Merkmale des Beaniums (S. 35 vgl. S. 78 f.: Beaneos Mos
dentes primum eruere oportet. Cornua neprius resccasT)

Gießen. Köhler.

Paulus, Dr. Nikolaus, Die deutschen Dominikaner im Kampfe
gegen Luther (1518—1563). (Erläuterungen und Ergänzungen
zu Janffens Gefchichte des deutfchen Volkes.
Herausgegeben von Ludwig Paftor. IV. Band, 1. und
2. Heft.) Freiburg i. B. 1903, Herder. (XIV, 335 S.
gr. 8.) M. 5.-

Seit längerer Zeit hatte Nik. Paulus in den verfchie-
denen katholifchen Zeitfchriften Biographien von Dominikanern
aus der Reformationszeit veröffentlicht; umgearbeitet
und um neue Lebensbilder vermehrt, geben fie
in vorliegendem Bande einen Gefamtüberblick über die
literarifche und kirchenpolitifche Tätigkeit der deutfchen
Dominikaner in der Reformationszeit bis 1563 einfchl.
Nicht weniger als 33 Namen erfcheinen, und man kann
P. darin zuftimmen, daß .keine andere religiöfe Genoffen-
fchaft fo zahlreiche und fo treffliche literarifche Vorkämpfer
geftellt hat, wie der Orden des hl. Dominikus' (S. VI).
Eingeteilt hat Paulus nach Ordensverbänden: 1. die
fächfifche Ordensprovinz, 2. die oberdeutfche Provinz,
3) die oberdeutfche Kongregation (= die füddeutfchen
Konventualen); erfterer gehören acht, der mittleren 21,
der letzteren vier Dominikanerfchriftfteller an — in dem

Zahlenverhältnis fpiegelt fleh deutlich das Konfeffionen-
verhältnis in Deutfchland wieder. Die 40 Klöfter der
fächfifch-norddeutfehen Provinz haben faft alle vor dem
Anfturm der Reformation die Waffen ftrecken müffen
(S. 1), während die oberdeutfche Provinz die rheinifche
Pfaffengaffe, darunter als Hauptftützpunkt Köln, und Süd-
deutfchland bis hin nach Wien umfaßte (S. 87). Die
zahlreichen, z. Tl. fehr feltenen Drucke der Dominikaner-
fchriften war Paulus faft alle in München (Staats- und
Univerfitätsbibliothek) einzufehen in der glücklichen Lage;
Reicherts monumenta taten natürlich auch vortreffliche
Dienfte.

Neu bearbeitet find von P. die Biographien von
Hermann Rab, dem Leipziger Theologieprofeffor, bei dem
P. den Ausdruck ,Übermenfch' nachweift (S. 12), von
Petrus Rauch, Balthafar Fannemann, Johann Heym, Konrad
Necrofius, Georg Neudorfer, Petrus Hutz, Paul Hug,
Balthafar Werlin, Johann Greffenikus, Antonius Pirata,
Wendelin Oswald, Johann Burchard; der Artikel über
Joh. Dietenberger ift ein etwas fehr knapper Auszug aus
Wedewers Biographie, der über Tetzel ein Abriß der
eingehenden Biographie des Verf.s, die er im .Katholik'
1899 und 1901 ergänzt hatte. Die bekannte Gründlichkeit
und ftaunenswerte Literaturkenntnis bewährt P. auch
wieder in vorliegendem Werke, und allzu viele Ergänzungen
zu demfelben werden fchwerlich zu geben fein.
Einige Punkte feien hier notiert: Über Johann Fabers
consilium cuiusdam ex animo cupientis esse consultum et
R. Pontificis dignitati et Christianae religionis tranquilli-
tati hat inzwifchen Kalkoff im Archiv für Reformations-
gefchichte I H. 1 eingehend gehandelt und dasfelbe dem
Erasmus zugefchrieben, der es Faber in die Feder diktiert
habe (a. a. O. S. 12 ff.). Wie mir fcheint, mit durch-
fchlagenden Gründen. P. unterfchätzt die fprachlichen
Berührungen mit Erasmus; es find nicht nur ,verfchie-
dene Stellen, die fleh faft wörtlich in gleichzeitigen Briefen
des Erasmus wiederfinden' (S. 304), fondern ,faft Satz für
Satz' kehren , wie Kalkoff (S. 13 Anm. i; vgl. S. 42 ff.)
zeigt, Erasmifche Redewendungen wieder. Dem gegenüber
will es nicht allzuviel befagen, daß Erasmus felbft feine
Autorfchaft ableugnete und fie auf quidam ex ordiitc
Dominicalium — man beachte die vorfichtige Ausdrucksweife
! — abfehob. Das consilium war ihm unbequem geworden
, und in derartigen Fällen hat der gelehrte, aber
nicht mannhafte Herr die Verleugnung nicht gefcheut,
wie ja auch Luther gegenüber. Im vorliegenden Falle
mochte fie um fo leichter werden, als ja, wie Kalkoff
nachweift, Erasmus feine Gedanken mit folchen Fabers
verknüpft hatte. Und daß hvrasmus in dem von P. S. 305
Anm. 1 zitierten Briefe fich direkt als Verf. des consilium
bezeichne, ift doch immerhin möglich. — Über die angebliche
Epiftel des Bifchofs Ulrich v. Augsburg hat am
eirtgehendften Haußleiter in Beitr. z. bayr. K.-G. Bd. 6,
121 ff. gehandelt (zu S. 253). — Zu S. 102 Anm. 2 hätte
die auffallende Parallele der Hochftratenfchen admonitio:
Exurgc landein leonino animo fidei christianae turbatorestur-
baturus. Tempusprofecto expostulat, quod vulpeculae vincam
domini carptim demolientes capiantur zur Bannandrohungsbulle
gegen Luther vom 15. Juni notiert werden müflen.
Die Parallele ift fo auffallend, daß wohl ein urfächlicher
Zufammenhang vorliegt, zumal die Hochftratenfche Schrift
Leo X. gewidmet war.1) Über die von Paulus weiter nicht
erwähnte Satire Hochstratus ovans hat Kalkoff a. a. O.
S. 63 ff. gehandelt. — Etwas vorfichtiger als in feiner
Biographie (S. 70 ff.) drückt fich P. über die von Miltitz
gegen Tetzel erhobenen Befchuldigungen aus. Wir hören
das Zugeftändnis: .Sicher ift, daß verfchiedene Mißbräuche
vorgekommen waren'. Aber wenn nun P. den Zufatz:
,Doch muß man fich hüten, mit Miltitz die gegen Tetzel
von deffen Widerfachern erhobenen Anfchuldigungen
allzu leichtgläubig anzunehmen', durch Ausfagen verfchie-

1) Inzwifchen hat darüber Kalkoff in ZKG 1904 gehandelt.