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Ausgabe:

1879 Nr. 11

Spalte:

248-249

Autor/Hrsg.:

Schmiedel, Paul Wilh.

Titel/Untertitel:

Quae intercedat ratio inter doctrinam epistolae ad Hebraeos missae et Pauli apostoli doctrinam 1879

Rezensent:

Weiß, Bernhard

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247

Theologifche Literaturzeitung. 1879. Nr. Ii.

248

mehr zum erften Handelsvolk der Welt zu werden, traten
ohne Zweifel fchon bei den alten Ifraeliten an den Tag',
und wenn er dann nach Anführung einer Reihe A.-
Tlicher Stellen von diefen Belegen urtheilt: ,fie zeigen
genugfam, wie viel Gewinnfucht und ebenfo gefchickte
als rückfichtslofe Ausbeutung günftiger Verhältnifse, namentlich
auch der Noth anderer, fchon damals mit dem
Handel verbunden war'. Gewifs wurden die Juden erft
in der Diaspora, getragen (S. 207) ,von dem Bewufstfein,
fowiefo in der Fremde zu fein', zu einem Handelsvolk;
aber dafs fie das thatfächlich wurden, wäre ja ohne ,eine
befondere Naturanlage für Handelsthätigkeit', welche
Herzfeld S. 271 fo ängftlich in Abrede ftellt, fchlechter-
dings unbegreiflich.

Es wäre Unrecht, wollte ich nicht Herzfeld's (S. 273)
,Zugeftändnifs, dafs es an Gefchick zur Handelsthätigkeit
den Juden niemals gefehlt habe' hier anführen; aber
im Grunde meint der Verf. doch nur ,Gefchick zum ehrlichen
Handel', gerade wie er S. 63 die Juden ,ein Völkchen
' nennt, ,das fich in allem Zuläffigen ftets fo gern
den Anfchauungen der herrfchenden Kafte anbequemte'.
Auch fchreibt er feinen Landsleuten nicht fowohl die
Initiative in der Eröffnung neuer Handelswege zu, als
vielmehr die gefchickte Ausbeutung und Belebung des
fchon vorhandenen Handelsverkehrs (nach S. 245. 253
konnten doch die Juden diefem Verkehr , nicht wohl
ftumpf zufehen, ohne gleichfalls in ihn irgendwie einzugreifen
'), obgleich er S. 275 für die alten Juden ,ihren
vollen Antheil an dem Werke der Völkergefittung' auch
auf dem Wege des Handels in Anfpruch nimmt. Wohl
mehr tadelnd als lobend heifst es hier von unferer Zeit,
fie habe ,erkannt, wenn auch noch nicht bis zu der
Anwendung auf Juden, dafs der ehrliche Handelsbetrieb
um kein Haar beffer oder fchlechter als jede andere
rechtliche Erwerbsthätigkcit ift'. Ich bedauere aufrichtig,
dafs Herzfeld durch die apologetifche Tendenz feines
Buches wohl das Gegentheil von dem, was er wünfeht,
erreichen wird. Er empfindet es felbft (S. 62) als ein
Verhängnifs, dafs die Juden (S. 273) ,zu den mechanifchen
und zugleich nur geringen Verdienft zufichernden Lebensberufen
fich nicht fonderlich hingezogen' fühlten, dafs
vielmehr ,Ifrael' durch die gröfseren Vortheile des
Handels (S. 202 ff.) angelockt, nicht blofs durch den ja
unleugbar oft mitwirkenden Zwang der Umftände ge-
nöthigt, ,unwiderftehlich feinem Schickfale zugetrieben
wurde, im eminenteften Sinne des
Wortes ein Handelsvolk zu werden', und er tröffet
fich, da ihm die Gefahren des Handels nicht unbekannt
find (vgl. S. 50. 62 f. 72. 95. 219) mit der Wahrheit, dafs
,dies Verhängnifs auch manche gute Früchte gereift' habe.
Aber die weniger guten Früchte empfangen bei der Solidarität
des Verfaffers mit den alten Juden, über die er
glimpflicher urtheilt, als das A. T. felbft uns geblattet,
nicht das gebührende Licht. Wenn ein fo edler Mann
wie der feiige Bunfen, dem Judenhafs wahrlich fehr ferne
lag, zu Gen. 30, 31 ff. die Bemerkung machte: ,Das cha-
rakteriffifch Jüdifche in dem Benehmen unter harten
und drückenden Umbänden ift unverkennbar', fo könnte
ein unbefangener jüdifcher Gelehrter unferer Tage daraus
doch wohl die Hoffnungslofigkeit einer gefchichtswidrigen
Apologetik entnehmen, welche die alten Juden möglichft
als Normalmänner hinzuftellen fucht. Uebrigens mufs
zur Entfchuldigung der jüdifchen Apologeten, deren
Verfahren einen gewiffen Patriotismus für fich zu haben
fcheint, auf den Vorgang folcher chriftlichen Apologeten
hingewiefen werden, die vom Boden des mechanifchen
Infpirationsbegriffs aus gerne jeden ATlichen Frommen
zum chriftlichen Mufterheiligen ftempeln möchten. Die
von unferem Verf. ficherlich nicht anerkannte, aber darum
nicht minder feftftehende Ueberlegenheit der chriftlichen
Ethik über diejenige des A. T.'s und vollends des Judenthums
, von welcher allerdings die Ethik der heidnifchen
Religionen an Reinheit, wie ich natürlich nicht leugne,

weit übertroffen wird, hindert durchaus nicht, dafs es
jetzt unter den fich zur chriftlichen Kirche haltenden
Menfchen Händler der allerfchlimmften Art giebt, die noch
ehrlofer find als der Durchfchnitt der gewiffenlofen Händler
des Alterthums, gefchweige denn, dafs man folchen
I Auswurf der Menfchheit mit den wahrhaft religiöfen
Händlern unter den alten Juden und Heiden zufammen-
ftellen dürfte. Aber es ift bekannt (vgl. Arnos 8, 5),
dafs man Anhänger einer ftatutarifchen Religion und zugleich
aller Religiofität baar fein kann, und noch felbft-
verftändlicher erfcheint die Thatfache, dafs fich oft ein
gewaltiger Unterfchied zeigt zwifchen den idealen Forderungen
des Gefetzes oder dem , Codex der reinften
kaufmännifchen Sittlichkeit' (S. 8) und zwifchen dem
wirklichen Thun der mit dem Gefetze bekannten fchwa-
chen Menfchenkinder. Anftatt ,fchon in der Einleitung'
(S. 8) den meines Erachtens weder bewiefenen, noch
an fich beweisbaren Satz auszufprechen, ,dafs der un-
parteiifche Forfcher die Juden auch im Handelsverkehr
eher über als unter dem Niveau der allgemeinen Moral
finden wird,' wofür es in der Schlufsbetrachtung (S. 276)
deutlicher heifst, ,dafs unter den Juden der Procent-
fatz der Unredlichen ein kleinerer war als unter den
übrigen Handelsvölkern des Alterthums', hätte der Verf.
wohl beffer gethan, wenn er mit Vermeidung der zur
Schau getragenen apologetifchen Tendenz einfach den
Pflichten des Hiftorikers zu genügen geftrebt hätte.

Bonn. Adolf Kamphaufen.

Schmiedel, Lic. Paul Wilh., Quae intercedat ratio inter
doctrinam epistolae ad Hebraeos missae et Pauli apostoli
doctrinam. Commentatio biblico-theologica. Jena 1878,
Deiftung. (65 S. gr. 8.) M. 1. —

Im engen Rahmen einer Differtation führt uns der
Verfaffer durch das ganze Gebiet der Lehranfchauung
des Hebräerbriefs, vergleicht diefelbe in allen Details
mit der paulinifchen, und kommt zu dem Refultat, dafs
diefelbe eine wefentlich Altteftamentlich-urapoftolifche,
aber vom Alexandrinismus beeinflufste fei; vom Paulinismus
fei fie nur fo weit berührt, als derfelbe in den Gemeinglauben
der Kirche überging, während die innerfte
Eigenthümlichkeit feiner Theologie dem Verf. des Briefs
verfchloffen blieb. Der Verfaffer zeigt offenbar Sinn für
die Erfaffung und Gefchick für die Darfteilung biblifch-
theologifcher Fragen; der frifch und klar fortfehreitende
Gang feiner Unterfuchung regt an, auch wo man feine
Refultate nicht theilt. Letzteres ift freilich um fo leichter
der Fall, da doch der Umfang der Aufgabe, die er fich
geftellt, nicht erlaubte, die einzelnen Fragen mehr
als fehr flüchtig zu berühren. Vielleicht hätte er beffer
gethan, fich auf diefe oder jene wichtigere Frage zu be-
fchränken, fie dann aber auch etwas tiefer und eingehender
zu behandeln. Wenn man freilich davon ausgeht,
dafs das himmlifche Heiligthum und die himmlifche
Gottesftadt dem Verf. des Hebräerbriefs nur ein anderer
Ausdruck für den neuen Bund oder, wie der Verfaffer
etwas ungefchickt fagt, für das Wefen der neuen Religion
ift, dann ift es vielleicht möglich, hier Einflüffe
des philonifchen XOOUQS vo/ßög nachzuweifen. Wenn
es erwiefen ift, dafs Exod. 25, 40, das der Hebräerbrief
keineswegs mit dem candemque ob causam unferes Verfaffers
(p. 13) anführt, und die Vorftellung der Apo-
kalypfe von dem urbildlichen himmlifchen Heiligthum,
fowie von dem himmlifchen Jerufalcm, nicht ausreicht
um diefe Anfchauungen zu erklären, dann mag man fich
vielleicht nach einer folchen Quelle umfehen; aber jene
Vorausfetzungen hat unfer Verf. p. 12. 16 eben auch
nur behauptet und nicht erwiefen. — Wenn es richtig
ift, dafs Paulus in der Präexiftenzlehre fo fehr der Vorgänger
gewefen, dafs jeder, der fie theilt, von ihm abhängig
fein müfste, wogegen doch wieder von Seiten der
Apokalypfe fich grofse Bedenken erheben, dann mag