01.02.2013

»Christliche und islamische Religionspädagogik im Dialog« Tagungsbericht von der Jahrestagung der Gesellschaft für wissenschaftliche Religionspädagogik, 14.–16. September 2012 in Berlin

Während die Frage interreligiöser Bildung in der Religionspädagogik seit Jahren intensiv diskutiert wird, steht der wissenschaftliche Austausch zwischen der islamischen und christlichen Religionspädagogik erst in den Anfängen. Vor diesem Hintergrund markierte die diesjährige Jahrestagung der »Gesellschaft für wissenschaftliche Religionspädagogik« ein Novum in der religionspädagogischen Wissenschaftsgeschichte. Nicht die Beziehung Christentum – Islam stand auf der Tagungsordnung, sondern das Verhältnis zwischen christlicher und islamischer Religionspädagogik, das unter Beteiligung von Vertreterinnen und Vertretern beider Wissenschaftskontexte konstruktiv und erfreulich vielschichtig erörtert wurde. Sinnbildlich wurde der angestrebte Dialog auf Augenhöhe in der Vollzugsform dieses interreligiösen Austausches: Die Vorträge erfolgten durchgängig im Tandem.
Auch verbandsgeschichtlich erbrachte die Tagung eine einschneidende Veränderung: Auf der von Manfred Pirner (Erlangen-Nürnberg) geleiteten Mitgliederversammlung wurde ein Namenswechsel beschlossen. Der vormalige »Arbeitskreis für Religionspädagogik« heißt nun »Gesellschaft für wissenschaftliche Religionspädagogik« – eine Bezeichnung, die zur Profilierung nach außen und zur Profilklärung nach innen beitragen soll.
Der interdisziplinäre Verständigungsprozess begann mit einer Bestandsaufnahme, die von Ednan Aslan (Wien) und Friedrich Schweitzer (Tübingen) vorgenommen wurde. Aslan bot in seinem Vortrag einen instruktiven Einblick in die gegenwärtige Aufbruchsphase der islamischen Religionspädagogik in Deutschland, schlug aber auch grundsätzlichere Töne an: Er warnte vor der latenten Gefahr einer politischen Funktionalisierung und theologischen Fremdbestimmung, die nur gebannt werden könne, wenn die islamische Religionspädagogik den Subjekten und ihrer Lebenswelt einen substanziellen Einfluss auf die Bestimmung des Islamischen gewährt – eine Forderung, die im islamischen Kontext weitaus mehr Kontroverspotenzial birgt als in der christlichen Religionspädagogik, wo sie sich, wie Schweitzer resümierte, weitgehend durchgesetzt hat. Gerade im Vergleich der beiden Vorträge tat sich eine aufschlussreiche Differenz auf: Während die Konstitutionsdiskurse der islamischen Religionspädagogik stark grundsätzliche Züge tragen, steht die Theorieentwicklung auf evangelischer Seite im Zeichen disziplinärer Ausdifferenzierung – mit einem entsprechend zerklüfteten Forschungsfeld.
Das zweite Tandem stand unter der religionsdidaktischen Leitfrage »Voneinander lernen im Religionsunterricht«. Der Vortrag von Jörg Imran Schröter (Karlsruhe) kreiste ebenfalls um die von Aslan aufgeworfene Frage nach der Autonomie der islamischen Religionspädagogik, allerdings nun im Verhältnis und, was die Richtung betrifft, in deutlicher Abgrenzung zur christlichen Religionspädagogik. In Schröters Sicht verfehlt die islamische Religionspädagogik ihre Aufgabe und auch Identität, wenn sie sich – etwa in der Rezeption der Korrelationsdidaktik – unreflektiert der theoretischen und didaktischen Vorarbeiten der christlichen Religionspädagogik bedient. Demgegenüber legte Karlo Meyer (Saarbrücken) den Akzent auf den Aspekt der Fremdwahrnehmung. Sein Vortrag zielte auf eine alteritätstheoretische Klärung der hermeneutischen Ausgangsbedingungen interreligiöser Bildungsprozesse – mit der auch didaktisch anregungsreichen Pointe, dass die Begegnung und Auseinandersetzung mit dem Islam im Religionsunterricht unter gegenwärtigen Bedingungen immer mehr selbstreflexive Züge gewinnen muss.
Im weiteren Verlauf der Tagung wurde der Dialog zwischen christlicher und islamischer Religionspädagogik schrittweise konkretisiert und vertieft: In einer von Bernd Schröder (Göttingen) moderierten Podiumsdiskussion loteten Fahimah Ulfat (Erlangen-Nürnberg), Mouhanad Khorchide (Münster), Birgit Sendler (EKD Hannover) und Andreas Verhülsdonk (DBK Bonn) gemeinsame Perspektiven und spezifische Herausforderungen des christlichen und islamischen Religionsunterrichts aus. Eine Reihe von Workshops schloss sich an, die ermutigende Einblicke in verschiedene Praxiskontexte islamisch-christlicher Verständigung und Bildung gewährten. Das Spektrum an Wirklichkeitsausschnitten war breit angelegt und reichte von aktuellen islamischen Religionsbüchern (Rabeya Müller, IPD Köln) über multireligiöse Schulfeier (Johannes Lähnemann, Erlangen-Nürnberg) und die islamische ReligionslehrerInnenausbildung (Reinhold Mokrosch, Osnabrück) bis zur interreligiösen Lernpraxis in islamischen und christlichen Gemeinden (Emin Tuncay, Hildesheim, und Dirk Siedler, Düren).
Abgerundet wurde der zweite Tag durch einen Info-Vortrag von Joachim Willems (Berlin), der die lokalen und grundsätzlichen Hintergründe der Berliner Auseinandersetzung um den Religionsunterricht beleuchtete. Besonders eindrücklich war sein abschließendes Plädoyer für eine stärkere innerstädtische Regionalisierung, an dem deutlich wurde, wie kontextuell Religionspädagogik mittlerweile gedacht und angelegt werden muss.
Am letzten Tagungsvormittag richtete sich der Blick dann nach vorne. Mouhanad Khorchide (Münster) und Wolfram Weiße (Hamburg) versuchten in ihren Vorträgen, gemeinsame Forschungshorizonte islamischer und christlicher Religionspädagogik zu umreißen. Beide sprachen sich dafür aus, die anzustrebende Subjektorientierung stärker empirisch zu fundieren, wobei sich diese Forderung bei Weiße mit einer weiteren verband: Ob nun christlich oder islamisch, die deutschsprachige Religionspädagogik müsse ihren Forschungsradius nicht nur interreligiös, sondern auch international ausweiten. Khorchides stärker systematisch-theologisch ausgerichteten Überlegungen brachten den gemeinsamen Bewährungshorizont von islamischer und christlicher Religionspädagogik noch einmal prägnant zum Vorschein: Beide bewegen sich in der Spannung von Theologie und Pädagogik, aber mit je spezifischen Herausforderungen. Während die Subjektorientierung, um die auf der islamischen Seite theologisch und didaktisch gerungen wird, in christlichen Forschungskontexten kaum mehr in Frage gestellt wird, tut sich die christliche Religionspädagogik derzeit eher schwer damit, ihre erkenntnisleitende Orientierung am Subjekt mit dem systematischen Anspruch christlicher Theologie auszubalancieren. Es sind also unterschiedliche Facetten eines gemeinsamen Problembestandes, die hier zutage treten.
In diesem Sinne – so die Quintessenz des dialogischen Tagungsrückblicks von Elif Medeni (Wien) und Henrik Simojoki (Bamberg) – demonstrierte diese »Pioniertagung« nicht nur die Fruchtbarkeit christlich-islamischer Verständigung über religiöse Bildung, sondern auch die Notwendigkeit eines vertiefenden, auch konkreter geführten Gesprächs.

Bamberg
Henrik Simojoki