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Ausgabe:

März/2008

Spalte:

322–324

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Frieling, Reinhard

Titel/Untertitel:

Im Glauben eins – in Kirchen getrennt? Visionen einer realistischen Ökumene.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006. 309 S. 8° = Bensheimer Hefte, 106. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-525-87199-6.

Rezensent:

Ulrich Kühn

»Wo ... unser konfessionelles und nationalkirchliches Gegeneinander oder unsere Selbstgenügsamkeit der Wirkung des Evangeliums im Wege steht, da sündigen wir.« (280) Dieses ökumenische Plä­doyer steht am Ende des Schlussbeitrags dieser Aufsatzsammlung, der der Festschrift für Hans-Martin Barth (zum 65. Geburtstag) entnommen ist. Hans-Martin Barth seinerseits hat in seinem »Geleitwort« zu diesem Band, der aus Anlass des 70. Geburtstages von Reinhard Frieling erschienen ist, eine Art »Homepage« für den Jubilar geschrieben, die das Curriculum (den Lebensweg), die Publikationen, die Literatur über F. sowie seine theologischen Anliegen darstellt und bündelt: eine Laudatio des Präsidenten des Evangelischen Bundes für den (früheren) Direktor des Bensheimer Konfessionskundlichen Instituts.
Das Buch stellt eine Sammlung von Aufsätzen und Beiträgen von F. dar, die in drei Abteilungen geordnet wurden: I. Mehr evangelische Einheit. II. Mehr evangelisch-katholische Gemeinschaft. III. Mehr konziliare Ökumene. Zu jedem dieser großen Kapitel (und auch zu wenigen Einzelbeiträgen) formuliert F. aus Anlass der Wiederveröffentlichung dieser Aufsätze eine Einleitung, die die Impulse zusammenfassend benennen, die der Leser den dann jeweils folgenden Beiträgen entnehmen kann. Vorgeschaltet ist ein Essay, der ursprünglich (2003) im evangelischen Magazin »Chrismon« erschienen ist. Er trägt den Titel »Ökumene? Warum Konfessionen so hartnäckig sind und Visionen ohne Illusionen so selten« (11–16). In diesem Titel drückt sich die das Buch durchziehende Leidenschaft F.s aus: eine »Selbstgenügsamkeit« und einen »Provinzialismus« der Kirchen und Konfessionen gilt es zu überwinden, die auch dort noch bestehen, wo auf Verketzerungen verzichtet wird und wo offensichtlich manche nichttheologischen Faktoren im Spiel sind. Gleichzeitig jedoch gilt es, von überstiegenen Erwartungen (etwa im Blick auf eine weltweite Einheitskirche) Abstand zu nehmen und eine »realistische« Zielvorstellung der Ökumene ins Auge zu fassen. Sie bündelt sich für F. im »Traum« eines »großen ökumenischen Konzils« (14), in dem die Kirchen in aller bleibenden Unterschiedlichkeit auf gleicher Ebene miteinander verbunden sind.
Dieser ökumenischen Grundidee sind die drei Abteilungen dieser Aufsatzsammlung verpflichtet. Im Mittelpunkt des I. Teils steht das »Plädoyer für eine Europäische Evangelische Synode« als Weiterentwicklung der bestehenden Leuenberger Kirchengemeinschaft. Nicht im Sinne einer problematischen »evangelischen Block­bildung« ist das zu verstehen, sondern als eine Orientierung dort, wo »die evangelische Vielfalt als ein Hindernis für ökumenische Verständigungen« erfahren wird (17). Das evangelische Kirchesein als »Kirche im eigentlichen Sinn« realisiert sich »auf allen geographischen Ebenen« und ist in seiner Gestalt dort »unerträglich und unevangelisch« verkümmert, wo diese sich auf die ge­schichtlich zufällig gewordenen Landeskirchen beschränkt (27). Nur in der Überwindung solcher Verkümmerung wird die evangelische Christenheit die nötigen und fälligen Impulse in die europäische Gesellschaft (bis hin zu einer Verfassung) geben können.
Der Schwerpunkt des Bandes liegt auf den acht Beiträgen des II. Teils »Mehr evangelisch-katholische Gemeinschaft«. Hier hat ja auch der Akzent der Arbeit F.s als Direktor des Konfessionskundlichen Instituts gelegen. Wie ein roter Faden zieht sich gerade durch diesen Hauptteil die schon fast klassisch gewordene Formel F.s von der »Gemeinschaft mit, nicht unter dem Papst«. In immer neuen Anläufen macht er sie gegen die katholische Forderung einer »Gemeinschaft mit und unter dem Papst« geltend. Mit Recht erinnert er daran, dass nicht erst der Präfekt der Glaubenskongregation J. Ratzinger 1992 und 2000, sondern bereits das II. Vaticanum hier deutliche Grenzen gezogen hat. Wer gegenwärtig von einer ökumenischen »›Eiszeit‹ spricht, müsste diese Eiszeit dogmatisch auch im II. Vaticanum selbst erkennen. Wer enttäuscht ist, hat zuviel erwartet« (83). Was die Frage des Papsttums betrifft, so hat nach F. auch die evangelische Ekklesiologie zu beachten, dass »eine globale Struktur der kirchlichen Einheit unerläßlich« ist (120), und sie hat durchaus die Freiheit, über den Papst als »Sprecher und Oberhaupt der Christenheit« nach menschlichem Recht nachzudenken (117). F. selbst will jedoch nicht so weit gehen, sondern nur zugestehen, dass der Papst »in außergewöhnlichen Situationen in Absprache mit den anderen im Namen der ganzen Christenheit sprechen« darf (132), ohne dass damit die Forderung des obersten Jurisdiktionsprimats von anderen Kirchen akzeptiert werden muss (127). F. erwähnt in diesem Zusammenhang die Gespräche der 70er Jahre in den USA und in Deutschland zum Thema »Papsttum und Petrusdienst« (119 ff., Anm. 2–7). Leider fehlt ein Hinweis auf das Dokument »Communio Sanctorum« von 2000 (eine bekanntlich »heiße Kartoffel«), in dem sogar von katholischer Seite die evangelische Kritik am Jurisdiktionsprimat als »berechtigt« bezeichnet, andererseits aber eine ständige gesamtkirchliche Sprecherfunktion und ein Pastoralprimat (in konziliarer und kollegialer Einbindung) für denkbar gehalten wird.
Die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre (1999) wird von F. positiv gewürdigt, wobei die Kritik von deutschen evangelischen Theologen an ihr »einseitig vom Primat der Kontroversen aus nur Schatten auf das Gemeinsame wirft und uns rein methodisch um Jahrhunderte zurückwirft« (155). Ein diesen Teil abschließender Blick auf »Befreiungstheologien« (160–173) zeigt uns F. als ausgewiesenen Fachmann gerade auch auf diesem Gebiet.
Der III. Teil des Bandes »Mehr konziliare Ökumene« entfaltet in besonderem Maße die positive ökumenische Option F.s. »Meine evangelische Erwartung kann als eine Konziliare Gemeinschaft von Konfessionskirchen beschrieben werden, die ihre Exklusivansprüche aufgegeben haben.« (194) Einem Paradigmenwechsel weg von einer Konsensökumene hin zu einer Ökumene der Gegensätze widerspricht F. ebenso (266), wie er von CA VII her Strukturen für die sichtbare Einheit der Kirche fordert (246). In diesem Hauptteil begegnen bedenkenswerte Analysen nochmals gerade auch des katholisch-evangelischen Verhältnisses, das z. B. in unterschiedlichen christologischen Akzenten – hier die Inkarnation, dort das Kreuz – und in einer unterschiedlichen Anthropologie verortet wird (179–185). Ein Beitrag widmet sich dem anglikanisch-lutherischen Dialog zur Bischofsfrage (211–227). Und am Ende wird der Impuls der Charta Oecumenica gewürdigt (256–280), die nicht so sehr mit neuen theologischen Thesen aufwartet, sondern das konkrete konziliare Miteinander der Kirchen in Form von Selbstverpflichtungen voranbringen will.
Der hier angezeigte Band spiegelt in eindrucksvoller Weise das engagierte Denken und Wirken F.s als ein besonnenes, aber zu­gleich leidenschaftliches ökumenisches Denken und Wirken wi­der. »Konziliant sein genügt nicht. Wir müssen konziliar werden«– das ist eine auf der hinteren Umschlagseite zu lesende markante Formulierung F.s. Es gilt, sich nüchtern und »realistisch« füreinander zu öffnen, nach dem Gemeinsamen zu suchen und miteinander für ein glaubwürdiges Zeugnis des Evangeliums Sorge zu tragen. Was dabei zu bedenken ist, ist in diesem Buch vielfältig zu finden.
Druckfehler: S. 74, Z. 10: Benedikt »XVI.«; S. 129, Anm. 15: falsche Seitenzahl.