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Ausgabe:

März/2008

Spalte:

297–299

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Obenauer, Klaus

Titel/Untertitel:

Rückgang auf die Evidenz. Eine Reflexion zur Grundlegung und Bedeutung einer thomistisch orientierten Metaphysik im Kontext der systematisch-theologischen Letztbegründungsdebatte.

Verlag:

Würzburg: Echter 2006. 441 S. gr.8° = Bonner Dogmatische Studien, 40. Kart. EUR 35,00. ISBN 978-3-429-02799-5.

Rezensent:

Malte Dominik Krüger

Die Studie ist die überarbeitete Fassung einer an der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Bonn angenommenen Habilitationsschrift. Sie stellt einen Diskussionsbeitrag zur Letztbegründungsdebatte dar, wie sie gegenwärtig in der deutschsprachigen katholisch-systematischen Theologie geführt wird. Diese Debatte ist durch die Beiträge von Thomas Pröpper und Hansjürgen Verweyen bestimmt, die letztlich im Versuch übereinkommen, einen transzendentalphilosophisch – und nicht metaphysisch – gerechtfertigten Begriff letztgültigen Sinns auszuweisen, auf den sich dann der Anspruch der christlichen Offenbarung beziehen und so heute legitimieren lassen soll. Dieses Konzept schließt eine Absage an den transzendentalen Thomismus und seine Metaphysik ein.
Genau an diesem Punkt erhebt O. Einspruch. Ihm geht es in Nähe zu Karl Rahner (vgl. 288.420) um die Rehabilitierung einer transzendental-thomistischen Seins-Metaphysik. Dies erklärt zwei Charakteristika von O.s Studie. Zum einen bezieht sie sich durchgehend auf Thomas von Aquin, dessen Einsichten den »autoritativen... Hintergrund« (21) bilden, und sucht immer wieder das Gespräch mit Kant. Zum anderen argumentiert die Studie unter sprichwörtlicher Anstrengung des Begriffs sehr dicht, um vor dem heutigen Problembewusstsein bestehen zu können. Dieses letztere Interesse unterstreichen nicht nur zahlreiche kritische Bezugnahmen auf Thomas Pröpper und Hansjürgen Verweyen, sondern auch Exkurse zu Vittorio Hösle und Alvin Plantinga. Über das Personen- und Sachregister sind weitere Referenzen gut zu identifi­zieren.
Die Studie gliedert sich in sechs Teile. Der erste Teil thematisiert die »Vorbedingungen der erstphilosophischen Reflexion« (25–42). Der Ausgangspunkt ist die Einsicht in das Ungenügen retorsiver Argumentation, wie sie in transzendental-thomistischen Entwür­fen bemüht wird. So reicht es zur Rechtfertigung »trans-subjektiv wie trans-mundan« (25) geltenden »An-sich-Seins« (27 f.) nicht aus, in der transzendentalen Reflexion dessen unabweisbare Beanspruchung aufzuzeigen. Gerade diese Unhintergehbarkeit verdankt sich, so der neuzeitliche Kritizismus, der Subjektivität. Entscheidend ist es daher, nicht bloß das Faktum von transzendental mitgesetzten Geltungsansprüchen im Sinne des An-sich-Seins zu eruieren, sondern eigens ihre Evidenz auszuweisen (vgl. 31 f.74.415 u. ö.). Um die Gültigkeit des An-sich-Seins zu ermitteln, empfiehlt sich die Untersuchung des Denkens. Dies geschieht im zweiten Teil unter der Überschrift »Durchführung der transzendentalen Reflexion« (43–135). Dabei ergeben sich vier »transzendental-reduktive Basisaxiome« (46.61.87.109). Für sie wird detailliert argumentiert.
Grundlegend sind folgende Überlegungen: Wenn man nach dem Inhalt des Denkens fragt, dann kann dieser nicht nichts sein, da die Nichtgültigkeit von etwas allein für das Denken keinen Inhalt darstellt. Was gedacht wird, so das erste Basisaxiom, muss zumindest in Bezugnahme auf Sein gedacht werden. Dieses Sein kann nicht bloße Möglichkeit sein, weil auch die Möglichkeit nur ist, insofern sie auf wirkliches Sein hin gedacht wird. Nur in Referenz auf ihre mögliche Verwirklichung ist die Möglichkeit von der Nichtigkeit des Unmöglichen unterschieden. Das gedachte Sein ist daher das wirkliche Sein. Es muss, so lautet das zweite Basis­axiom, letztlich an sich selbst wirklich sein. Andernfalls würde das Denken nicht verstehen, wie es sich auf etwas bezieht, was von ihm unterschieden ist. Den Bezug auf das An-sich-Sein zeigt die Kopula »ist« in jedem Urteil an. So führt der Weg zum Sein ganz neuthomistisch über das Argument der Retorsion und die Einsicht der in jedem Urteil hintergründig mitgesetzten Urbejahung des Seins. Darüber hinaus bedarf es aber, so O.s drittes Basisaxiom, der Ausweisung der Evidenz des An-sich-Seins als Bedingung der Möglichkeit von Denken überhaupt (vgl. 73 f.). Diese Evidenz des An-sich-Seins ist die letzte Gewissheit. Sie ist, wie das vierte Basisaxiom besagt, im Selbstbewusstsein erschlossen: »In meinem Denken bin Ich« (117). Damit ist das Denken als Seins-Denken erfasst.
Daran anschließend macht der dritte Teil die Prinzipien vom ausgeschlossenen Widerspruch, vom ausgeschlossenen Dritten und von der Substanz als »Die grundlegenden Gesetze des Seins« (137–175) namhaft. Der vierte Teil untersucht »Die Erschlossenheit der transsubjektiven Wirklichkeit« (177–290). Er kann dafür an die ausgewiesene Evidenz des An-sich-Seins im Selbstbewusstsein anknüpfen, die Thomas von Aquin und Karl Rahner nicht recht sahen (279–290). Vor allem in Auseinandersetzung mit Kant erhärtet O. die Überlegung, dass die Evidenz des »Ich bin« wesentlich nichtgeistige Vollzüge impliziert. Dies führt zur Einsicht, dass sich die transsubjektive Wirklichkeit im Selbstbewusstsein erschließt, dessen Integration in die Leiblichkeit den Bezug auf die interpersonale Umwelt umfasst. Damit ist die »Grundlegung einer Metaphysik« (289) an ihr Ende gekommen. Der fünfte Teil geht zu »An­ schluß­überlegungen zur religionsphilosophisch-theologischen Re­levanz« (291–350) über. Zu diesem Zweck verortet sich O. im Kontext der Letztbegründungsdebatte. Er bekennt sich zum Programm der theologia naturalis, sich vernunftautonom der Existenz Gottes zu vergewissern, um so hinreichend Aufmerksamkeit für die christliche Offenbarung zu wecken. Damit ist theologia naturalis die Alternative zum Konzept eines letzten Sinns, das »der Offenbarung im Geheimnis des dreifaltigen Gottes« (302) nicht gerecht wird. Zwar liegt diese Offenbarung gleichsam auf einer Linie mit der Sinnbestimmtheit der menschlichen Subjektivität, doch sie »reicht ... unermesslich über dieselbe hinaus, insofern sie nicht (unter allen Umständen) substantiell unabdingbar für die Konsis­tenz des Subjekts in seiner Sinnbestimmtheit sein kann« (308). Die Annahme einer strikten Korrelation zwischen aktual Unendlichem und Endlichem bringt also einen Funktionalismus ins Spiel, der beiden Seiten Unrecht tut. Angesichts dieser Problematik votiert O. im sechsten Teil unter der Überschrift »Zur Gottesbeweisthematik« (351–412) für den thomistischen Weg: Die Kontingenz des endlichen Seienden bedarf der Begründung durch den Gedanken des an sich selbst existierenden und notwendigen Seins, das Gott genannt zu werden verdient. Daher ist Gott als »die absolute Notwendigkeit seines Seins« (386) zu bestimmen. Die Erkenntnis der engen Verbindung von Sein und Gott führt – sogar unter Berufung auf den Aquinaten (vgl. 411 f.) – zur Frage, ob der ontologische Gottesbeweis reformuliert werden kann. Die Antwort klingt bei allen Einschränkungen am Ende positiv. So ist »die autonome Gotteserkenntnis ... die Möglichkeit unserer Vernunft ..., nichts anderes als deren evidentiale Bestimmtheit durch das An-Sich-Sein in letzter Konsequenz« (409). Ein abschließender Abschnitt unter der Überschrift »Kurze Zusammenfassung und Ausblick« (413–420) bietet einen ersten Überblick, der allerdings ohne vorangegangene Lek­türe nicht wirklich verständlich ist. Ferner werden Fragen be­nannt, welche die Studie offen lässt.
Darunter fällt die Frage nach der Vermittlung einer vernunft­autonomen Metaphysik mit einer trinitarischen Ontologie erheblich ins Gewicht. Sollte sich dieser von O. selbst diagnostizierte »Ausstand« (420) nicht beheben lassen, dürfte sein Programm theologisch an Attraktivität verlieren. Doch darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass O. mit großer Übersicht und kundiger Hand ein glänzender Beitrag zur Frage der Letztbegründung gelungen ist – aus Sicht eines transzendentalen Thomismus, dessen argumentative Ausrichtung auch und gerade im »postmetaphysischen« Zeitalter zu faszinieren vermag und herausfordert. Man wünscht dem Buch einen schnellen Weg in die Diskussion.