Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2008

Spalte:

246–247

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Fistill, Ulrich

Titel/Untertitel:

Israel und das Ostjordanland. Untersuchungen zur Komposition von Num 21,21–36,13 im Hinblick auf die Entstehung des Buches Numeri.

Verlag:

Frankfurt u. a.: Lang 2007. 274 S. gr.8° = Österreichische Biblische Studien, 30. Kart. EUR 51,50. ISBN 3-631-55891-0.

Rezensent:

Ludwig Schmidt

Das Buch ist die leicht überarbeitete Dissertation von F. am Päpstlichen Bibelinstitut im Jahr 2003, die von J. L. Ska betreut wurde. F. vertritt die These, dass die Endgestalt von Numeri auf eine nach-priesterschriftliche Redaktion zurückgeht, die aus Überlieferungen und eigenen Texten ein Werk »mit eigenem Profil« komponierte (12). Zur Begründung untersucht F. nach der Einleitung (11–22) zunächst »1. Die Struktur des Buches Numeri« (23–44). Mit Knierim sei Numeri in die beiden Teile Vorbereitung (1,1–10,10) und Ausführung eines kultischen Feldzugs (10,11–36,13) zu gliedern. Die Ausführung enthalte aber die beiden Unterabschnitte Misslingen (10,11–21,20) und Erfolg der Militärkampagne (21,21–36,13).
Bereits ein Überblick über den Aufbau von 21,21–36,13 macht es für F. wahrscheinlich, dass hier die Anordnung der Texte auf eine einzige Redaktion zurückgeht. Dafür nennt er Querverweise und übergreifende Klammern. In »2. Die Spuren der nach-priesterschriftlichen Numeri-Redaktion in Num 21,21–36,13« (45–156) bestimmt F. für die einzelnen Texte ihren Anteil. Aus ihm ergebe sich, dass sie Vorlagen unterschiedlichen Alters aufnahm. Die Besiegung Sihons (21,21–24.25*) sei z. B. eine vor-priesterschriftliche Überlieferung. Der Heschbon-Spruch (21,27 ff.) und der nach F. ursprünglich selbständige Bileam-Komplex (22,4b–24,25*) seien nicht eindeutig älter als die Priesterschrift, aus der die Beauftragung Josuas (27,12–23) stamme. Jünger seien z. B. das Erbrecht der Töchter Zelofhads (27,1–11) und der ostjordanische Landbesitz von Gad und Ruben (32,1–4*.5–32). Dagegen habe die Redaktion u. a. die Midianiter-Texte (25,6–18; 31) selbst geschaffen (vgl. die Tabelle 147f.). Die Kompositionsarbeit in Num 21,21–36,13 spreche somit »insgesamt für eine relative Fragmenten-Hypothese«, relativ, weil die Redaktion das Grundgerüst der Priesterschrift ergänzte, aus der nach F. außer 27,12 ff. auch der priesterliche Faden der Kundschafter-Erzählung (Num 13 f.*), die Sünde von Mose und Aaron (20,1–13) und der Tod Aarons (20,22–29) stammen (150). Die Redaktion sei das Werk eines Einzelnen oder höchstens einer sehr kleinen Gruppe, da man in 21,21–36,13 »kein allmähliches Anwachsen der Traditionen erkennen kann« (156). In »3. Entstehungshintergrund und Absicht der nach-priesterschriftlichen Numeri-Redaktion« (157–216) untersucht F. die zentralen Themen in Num 21,21–36,13. Zu ihnen gehöre die Definition und Struktur der nachexilischen Kultgemeinde am Jerusalemer Tempel (158–173). Auch in Num 32 gehe es um die Zugehörigkeit zur Gemeinde (173–185). Hier seien die ostjordanischen Stämme das Sinnbild für »all jene ›Israeliten‹«, die zur Tempelgemeinde gerechnet wurden, aber außerhalb Judäas wohnten (184). Aus dem Krieg gegen die Midianiter (185–197) gehe hervor, dass es der Redaktion vor allem um die kultische Reinerhaltung der Gemeinde gegangen sei, die bei Verunreinigung kultisch entsühnt werden musste (Num 25,6 ff.) Deshalb trage der Krieg gegen die Midianiter kultische Züge (195). Die Midianiter als Feinde Israels (197–209) seien wohl ein Pseudonym für die südöstlichen Nachbarn, vermutlich aus dem arabischen Umfeld, »die es weniger militärisch als vielmehr kultisch zu bekämpfen gilt« (208). Für Pinhas (209–212) schließt F. aus Num 25 und 31, dass für die Redaktion der Hohepriester der Garant für das Einhalten von Rechtgläubigkeit und Kult war. Auf dieses Amt – und weniger auf die Person des Pinhas – beziehe sich die Zusage eines ewigen Priestertums (212). Für die Datierung der Redaktion (212–216) hält F. wegen der Problematik der Mischehen (Num 25), der Bedeutung des Hohepriesters, der Abgrenzung zwischen Priestern und Leviten und der Beobachtung, dass in Numeri Probleme abstrahiert und an Beispielfällen verdeutlicht würden (z. B. Num 27; 36), eine Ansetzung nach Nehemia und Esra im 4. Jh. für naheliegend. In »Zusammenfassung und Ausblick« (217–222) fasst F. zunächst seine Ergebnisse zusammen. Die weitere Forschung habe zu klären, inwieweit die nach-priesterschriftliche Redaktionstätigkeit in Num 21,21–36,13 auch im Rest von Numeri, in anderen Büchern des Pentateuch und eventuell auch außerhalb des Pentateuch nachweisbar sei (222).
Mit diesem Hinweis auf die weitere Forschung macht F. ungewollt auf das zentrale Problem seiner Untersuchung aufmerksam. Für die Entstehung der Endgestalt von Numeri muss m. E. zumindest Num 10,11–21,20 berücksichtigt werden, da häufig damit gerechnet wird, dass hier auch ein vor-priesterschriftlicher Erzählfaden enthalten ist. Außerdem ist umstritten, ob der Anordnung dieser Texte ein übergreifendes Konzept zu Grunde liegt. Aber auch aus Num 21,21–36,13 ergeben sich für die Auffassung von F. erhebliche Probleme.
So haben z. B. der Opferkalender in Num 28,1–30,1 und die Gelübdebestimmungen in 30,2–17 keine Beziehung zum Kontext, wie F. selbst feststellt (41–43). Bereits sie sprechen somit dagegen, dass die Endgestalt von Numeri auf eine einzige Redaktion zurückgeht. Die »relative Fragmenten-Hypothese« von F. bereitet u. a. bei der Sihon-Erzählung, zu deren Grundbestand Num 21,21–24bα.31 (gegen F. nicht 21,21–24.25*) gehört, erhebliche Schwierigkeiten. F. hält sie mit Recht für die älteste Tradition von dem Sieg über Sihon (67). Sie ist aber keine selbständige Überlieferung, da in ihr vorausgesetzt wird, dass Israel in Transjordanien unterwegs war. Die Erzählung bestätigt somit, dass in Numeri mit einem vor-priesterschriftlichen Erzählfaden zu rechnen ist. Auch die Erzählung in Num 32 von der Ansiedlung von Gad und Ruben im Ostjor­danland enthält m. E. einen vorpriesterlichen Grundbestand. Nach F. handelt es sich freilich um eine junge Einzelerzählung, die der Redaktion schriftlich vorlag (148), da Num 32,1–32 weitgehend literarisch einheitlich sei und die Priesterschrift voraussetze. Aber die Erzählung enthält, wie hier nicht gezeigt werden kann, erhebliche Spannungen. Außerdem ist sie nur verständlich, wenn man weiß, dass sich Israel damals unter Führung von Mose im Ostjor­danland aufhielt. Sie kann somit nicht für sich überliefert worden sein. Da auch in ihrer Endgestalt durchgehend betont wird, dass Gad und Ruben die anderen Stämme militärisch unterstützen müssen, sollte mit ihr schwerlich die Zugehörigkeit von »Israeliten« außerhalb von Judäa zur Tempelgemeinde begründet werden, wie F. annimmt. Problematisch ist z. B. auch seine Interpretation von Num 31. Schon aus der breiten Schilderung der Verteilung der Beute (V. 25–47) geht hervor, dass von der militärischen Vernichtung der Midianiter erzählt wird. Sie sind hier somit kein Pseudonym für die südöstlichen Nachbarn Judäas.
Die Beispiele zeigen, dass sich die äußerst schwierigen literarischen Probleme von Numeri nicht mit der relativen Fragmenten-Hypothese von F. lösen lassen.