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Ausgabe:

Juli/August/2007

Spalte:

803–805

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Zimmermann, Ruben

Titel/Untertitel:

Christologie der Bilder im Johannesevangelium. Die Christopoetik des vierten Evangeliums unter besonderer Berücksichtigung von Joh 10.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2004. XX, 551 S. m Abb. u. Tab. gr.8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 171. Lw. EUR 99,00. ISBN 3-16-148388-X.

Rezensent:

Rainer Hirsch-Luipold

Ruben Zimmermann geht in seiner Habilitationsschrift program­matisch von der »Bildhaftigkeit der johanneischen Sprache als besonderem Ausdrucksmedium joh Christologie« aus (22). Mit dem Begriff »Bilder« wählt Z. eine übergreifende Terminologie gegenüber den formkritisch enger abgegrenzten Begriffen »Metapher«, »Symbol« oder »Allegorie«. Die Entscheidung rechtfertigt er vom sprachlichen Befund des Evangeliums her. Es zeige »schon ein flüchtiger Blick in das JohEv, dass Jesusbilder in ganz verschiedenen sprachlichen Formen erscheinen, sei es in offensichtlichen Metaphern, in symbolhaften Leitmotiven, die zum Teil in Reden breit entfaltet werden, in Erzählungen und Zeichenhandlungen oder auch in subtilen Andeutungen und ironischen Verkehrungen« (2).
Gegenüber einer formkritischen (oder vorgängigen literarkritischen) Scheidung und Zergliederung der johanneischen Bildersprache wie auch des Evangeliums insgesamt will Z. die literarische Einheit und das literarische Geflecht aus Motivzusammenhängen und Motivbögen ins Zentrum des Interesses rücken. Diesen übergreifenden, von »Bildern« ausgehenden Blickwinkel spitzt Z. be­reits im Titel thetisch zu: »Christologie der Bilder«: Die Bildhaftigkeit er­scheint insbesondere als Ausdrucksmedium johanneischer Chris­tologie. Diese Zuspitzung wird in einem einleitenden Kapitel »Perspektiven johanneischer Christologie« im ersten Buchteil (»Grundlagen«) reflektiert. Die übergreifende Begrifflichkeit (»Bilder«) sucht Z. durch seine – in einem gewissen Kontrast zur skizzierten Programmatik der Zusam­menschau stehende – deutliche Verbundenheit mit formkritischer Methodik auszudifferenzieren. Das »Chris­tusbild« des Evangeliums sei als »Mosaik« aus unterschiedlichen formalen Mosaiksteinchen zu begreifen (vgl. Schaubild, 383), die je für sich untersucht werden könnten: »Statt der Festlegung auf eine einzige Methodik oder der Etablierung eines übergeordneten Konzepts wie z. B. der Metapher oder des Symbols halte ich ausgehend von der Sprach- und Denkweise des Evangeliums eine methodische Pluralität für angebracht, die es erlaubt den verschiedenen Gestaltungsformen bildlicher Christologie aus je unterschiedlicher Perspektive gerecht zu werden« (101).
Diese Grundentscheidung prägt den Aufbau des Buches. Im einleitenden ersten Buchteil zu den »Grundlagen« (1–87) hält sich Z. nicht mit einer Forschungsgeschichte moderner Metapherntheorien auf, wie sie in einer ganzen Reihe neuerer Arbeiten geboten wird (zumal er hier auf eine Reihe eigener Arbeiten bis hin zur Dissertation verweisen kann; 28). Statt dessen bietet er einen Überblick über die Forschungsdiskussion zur johanneischen Christologie (Kapitel 1), zur Hermeneutik des Rätselhaften und Visuellen im Evangelium (Kapitel 2) und zu antiken Bildtheorien bei Platon und Aristoteles sowie deren Umsetzung in der Zeit des Neuen Testaments in der bildhaften Philosophie des mittelplatonischen Philosophen und delphischen Priesters Plutarch (Kapitel 3).
Im Teil II »Johanneische Bilderchristologie in ihrer Formenvielfalt« klassifiziert Z. unterschiedliche Formen der Bildersprache des Johannes, denen jeweils ein eigenes Kapitel gewidmet ist: metaphorische, symbolische, titulare, narrative und konzeptuelle Bildlichkeit. Metaphorische Bildlichkeit (105–136) stellt nach Z. die »offensichtlichste Gestalt uneigentlich-bildlichen Sprechens dar«, die er ganz synchron betrachten will. Sie sei dann gegeben, »wenn ein wörtliches Verständnis des vorliegenden Textes nicht möglich ist« bzw. »wenn eine semantische Spannung zweier oder mehrerer, syntaktisch eindeutig miteinander verknüpfter Sinnbereiche erkennbar ist« (137). Als Beispiel untersucht Z. die Prädikation Christi als Lamm Gottes und als sterbendes Weizenkorn sowie die Ich-bin-Worte. Symbolische Bildlichkeit (137–156) sei demgegenüber primär traditionell und historisch geprägt: »Der Tiefensinn eines Symbols ist nicht bereits durch den Text vorgegeben, sondern wird ausschließlich über die Konvention einer Sprach- und Kulturgemeinschaft geprägt« (137). Als Beispiele dienen hier die Symbole des Wassers und des Gartens. Schwierigkeiten der Zuordnung ergeben sich im dritten Bereich Titulare Bildlichkeit (167–195), der von klassischen Hoheitstiteln ausgeht und den Z. durch Konventionalität bestimmt sieht (durch einen Aspekt also, der bereits in der symbolischen Bildlichkeit gegenwärtig war). Die entsprechenden bildhaften Attribute werden »durch den Gebrauch innerhalb einer Sprachgemeinschaft erst zu ›Titeln‹, d. h. zu geprägten Deutekonzepten bzw. linguistisch betrachtet zu lexikalisierten Metaphern« (167). Dabei sei es dem Verfasser des Evange­liums besonders daran gelegen, »die hinter den geprägten Hoheitstiteln stehenden ursprünglichen Sinngehalte eines Würdenamens wieder transparent zu machen«, ein Vorgang, den Z. in Anlehnung an H. Blumenberg als »Re-Metaphorisierung« bezeichnet (ebd.). Als Beispiel narrativer Bildlichkeit diskutiert Z. die »Bräutigamschristologie« in Joh 2,1–11 (197–217), bei der es – wiederum vorwiegend literarisch – um die Umsetzung eines Erzählmotivs in Christologie geht, als Beispiel konzeptueller Bildlichkeit (219–237), die in der kognitivis­tischen Metapherntheorie von Lakoff und Johnson als Grundzug menschlichen Sprechens überhaupt aufgewiesen wurde, führt er schließlich die grundsätzlichen Erfahrungen des Raumes (unten – oben) und des Lichts (hell – dunkel) an, die im Evangelium verschiedentlich bildhaft ausgedeutet werden.
In Teil III des Buches (241–404) wird die im Untertitel in Aussicht gestellte exemplarische Behandlung von Joh 10 eingelöst, bei der die verschiedenen Formen bildhafter Christologie zu einem »Mosaik« zusammengefügt werden sollen. Es handelt sich dabei um eine eigene kleine Monographie mit einer Analyse des Kapitels und einer Fülle literarischer und motivgeschichtlicher Überlegungen – die Darstellung der Kohärenz der unterschiedlichen Formen der Bildhaftigkeit und entsprechend die Präsentation des aus den Mosaiksteinen sich ergebenden Christusbildes indes tritt hinter der Fülle der Detailinformation zurück.
Ein zusammenfassender vierter Teil (407–446) sowie ein Epilog zur Frage des Bilderverbots (447–449) schließen das Buch ab. Mit den darin enthaltenen besonders wertvollen Überlegungen zum Verhältnis von Christologie und Theologie (431–437) nimmt Z. die hermeneutische Grundfrage zur Bildsprache des Johannesevangeliums auf, die er bereits am Anfang auf den Punkt gebracht hatte und die wohl im Sinne einer These zu verstehen war: »Ist die bildliche Sprache gerade deshalb die angemessene Darstellungsform, weil Christus selbst ›Bild (Gottes)‹ ( εἰκών; Kol 1,15; 2Kor 4,4) genannt werden kann?« (24) Die Frage wie Z. zu bejahen heißt, der Christus-Hermeneutik des Evangeliums auf die Spur zu kommen, und impliziert zugleich das Ziel dieser Hermeneutik: Gott, den keiner jemals gesehen hat (Joh 1,18; vgl 1Joh 4,12), in seinem Bild sichtbar zu machen!
Es ist das Verdienst des Buches, nicht nur allgemein die Bedeutung der Bildlichkeit für das Johannesevangelium und seine Theologie aufzuzeigen, sondern auch die Übergänge zwischen verschiedenen Formen der Bildlichkeit deutlich zu machen. Durch die formkritischen Differenzierungen und Klassifizierungen und durch eine Fülle von Literatur, die vorgeführt wird, erreicht Z. eine überschaubare Systematisierung des Geflechts der johanneischen Bildersprache. Es bleibt indes ein Unbehagen: Genau in der gattungskritischen Scheidung nämlich besteht ein Problem, insofern die methodische Ausdifferenzierung und darstellerische Aufteilung in unterschied­liche Kapitel eben das scheidet, was im Evangelium (von Z. aufgenommen durch die Rede vom »Mosaik«) zu­sammengeschaut ist. Die Herausforderung besteht darin, über den Blick auf die einzelnen Steinchen doch das »Mosaik« in seiner Gesamtwirkung in den Blick kommen zu lassen. Der Erklärungswert der analytischen Differenzierung muss also sorgfältig gegen die Gefahr einer dem Text entgegenlaufenden Zergliederung der Bildersprache abgewogen werden. Das Problem ist Z. bewusst und wird an verschiedenen Stellen angesprochen; gelöst erscheint es indes nicht.
Solche Diskussionspunkte sollen aber nicht darüber hinwegtäuschen, das hier eine eindrucksvolle, überaus materialreiche Arbeit zur Interpretation des Johannesevangeliums wie zur Frage der Interpretierbarkeit religiöser Bildersprache vorliegt, die das Thema in alle Richtungen auslotet. Neben einer großen Fülle von Einzelbeobachtungen bietet das Buch eine umfangreiche Präsentation der Sekundärliteratur und eine Bibliographie, die weit über die Grenzen der engeren exegetischen Diskussion hinausreicht. Wichtiger noch erscheint dem Rezensenten allerdings die Leistung Z.s, die Frage nach der Bedeutung der Bildhaftigkeit im Johannesevangelium nachdrücklich auf die Tagesordnung der exegetischen Diskussion gesetzt zu haben. Das Thema wurde auf einer von ihm (mit J. Frey und J. van der Watt) konzipierten und organisierten internationalen Tagung zum Thema »Imagery in the Gospel of John« im Sommer 2005 weiter ausgearbeitet, deren Ergebnisse jüngst ebenfalls in WUNT erschienen sind.